Was, schon wieder im Urlaub? Instagram-Posts können schnell zu falschen Schlüssen führen, wie ein kleiner Selbstversuch beweist. Wer Instagram-Bilder postet, scheint immer den aktuellen Augenblick abzubilden, glauben offenbar viele Nutzer. Ganz nebenbei killt das mobile Foto-Netzwerk mit seinem neuen Posting-Dogma das Facebook-Album.
„Aaaah, der Weltenbummler! Doch pünktlich zurück in Hamburg zum Klassentreffen?“ Das bekam ich heute als WhatsApp-Nachricht von einem früheren Schulfreund zu lesen. Und es war keine Ausnahme: „Schönen Urlaub noch, Nils“, kommentierte eine frühere Kollegin ein Kopenhagen-Foto vom vorherigen Wochenende. Auch in der CURVED-Redaktion sorgen Instagram-Bilder für Irritationen. „Wieder zurück aus Paris?“ fragt mich unsere US-Korrespondentin noch knapp zwei Wochen nach meiner Rückkehr.
Was für eine Verwirrung ein paar Instagram-Fotos doch verursachen können! Allein: Es lag weniger an den Bildern als am Zeitpunkt der Veröffentlichung. Vor ein, zwei Jahren wäre das noch nicht passiert. Reise gemacht, 100 Bilder-Album auf Facebook hochgeladen, zurück im Alltag, alle wissen Bescheid.
Live is life 2014: Was wir posten, das muss offenkundig unser Leben sein
Doch 2014 ist bekanntlich nicht 2012. Es ist Instagrams Sommer, wir alle posten wie verrückt unsere tollsten Sommersonnenstrand-Selfies – Poser, die wir sind. Doch hier fängt das Wahrnehmungs-Problem an.
Live is life: Was die schlimmsten Kindheitserinnerungen zurückbringt, ist tatsächlich unser Lebensmotto geworden. Was wir posten, das muss offenkundig unser Leben sein. Jetzt. In diesem Augenblick. Und keine Stunde, erst recht keinen Tag später.
Wie 6 Tage Urlaub nach einem Monat Ferien aussehen
Das bestätigt der Selbstversuch, den ich anlässlich dreier Wochenendtrips im letzten Monat untergenommen habe: 3 Tage Paris, 2 Tage Kopenhagen, 24 Stunden Sylt = 3 Wochenenden, 6 Tage unterwegs, etwa 1000 iPhone-Bilder Material geschossen, die jeweils ein Facebook-Album mit den besten 20, 30 Bildern befüllen könnten. Doch die interessieren ja keinen mehr, seitdem wir Instagram zum besseren Facebook erkoren haben.
Warum also nicht eine Auswahl treffen und jeden Tag auf Instagram ein Foto posten, das auch auf Facebook einfließt? Dieses kleine soziale Experiment habe ich mir fast einen Monat über in Form des Fotos des Tages erlaubt. Und tatsächlich: Der Live-Effekt greift sofort. Mit der Ausnahme eines Beats-Bildes aus der Redaktion sieht mein Instagram im Juni so aus, als hätte ich den schönsten Monat des Jahres zum totalen Ferienmonat gemacht. Ach, was – es sieht aus wie: Ferien für immer!
Instagram ist unser Livestream: Wir sind, was wir posten
Natürlich gibt es eine dezente Hinweismöglichkeit, um den Realitätsbezug zu wahren. Der Hashtag #latergram gibt klar zu erkennen, dass das gepostete Foto früher entstanden ist, als es veröffentlicht wurde. Was wäre die Alternative: Dass wir aus purem Authentizitätszwang ständig Live-Posten, was wir gerade erleben - und stattdessen nichts mehr erleben, weil wir mit dem Live-Posten beschäftigt sind?
Was nach dem "Look up"-Dilemma klingt, sagt am Ende viel über unsere Smartphone-Nutzung 2014 aus: Wir sind längst zu permanenten Live-Berichterstattern unsers eigenen Lebens geworden. Instagram ist unser Livestream: Wir sind, was wir posten.