Eine Plattform, sie alle zu binden: Facebooks Messenger-Pläne machen aus der App ein Ökosystem - mit Vorteilen für Entwickler, Unternehmen und Nutzer.
Software-Firmen werden nie zu Internet-Firmen. Internet-Firmen werden nie “social”. Und “Social”-Companies kriegen nie die Kurve zu “Mobile”. Was bislang als Mantra für Probleme von Web-Unternehmen galt, sich von der ursprünglichen Firmen-Philosophie zu lösen und eine Trendwende herbeizuführen, wurde spätestens am Mittwochabend deutscher Zeit durch Gründer Mark Zuckerberg widerlegt.
Facebook ist nach jahrelangen Problemen mit seiner Haupt-App, die bei Nutzer wegen schlechter Performance immer wieder in der Kritik stand, eine Mobile-Company geworden. Das deutete sich zwar schon mit dem Release etlicher Standalone-Apps, darunter unter großer Kritik ausgegliedert und zur Haupt-Anwendung für mobile Facebook-Chats auserkoren, wird künftig stark ausgebaut.
600 Millionen nutzen den Messenger bereits. Auf der Entwicklerkonferenz F8 verkündete Zuckerberg das, was viele schon wussten: Aus dem Facebook Messenger wird eine Plattform - mit Apps und Services, an die Entwickler mit ihren Programmen andocken können. Damit hat sich der blaue Messenger schlagartig zum wichtigsten Produkt innerhalb der Facebook-Familie entwickelt.
Was heißt das für Euch als Nutzer?
Das Social Network bringt dazu keinen neuen Messenger heraus, allerdings wird die App künftig wenig mit der bisherigen Chat-Anwendung zu tun haben. “Plattform” bedeutet, dass Facebook dem Messenger eine ganze Reihe weiterer Apps zur Seite stellt, die ihn um Funktionen erweitern. Über einen eigenen Appstore lassen sich dann Dienste, zum Start in den USA etwa der Sportsender ESPN und der Weather Channel, integrieren. Darüber hinaus gab Zuckerberg bekannt, dass Ihr bald Gifs nicht nur anschauen, sondern auch erstellen und Videos einfacher mit Freunden teilen könnt. Gleichzeitig soll der Messenger auch für Unternehmen der Draht zum Kunden werden, die sie etwa mit Versandinformationen über bestellte Produkte versorgen können. Andersherum könnten sich Kunden auf diesem Wege bei Reklamationen oder Support-Fragen einfacher an Unternehmen wenden.
Der Messenger als Support-Hotline
Das klingt nach einem lapidaren Zusatzfeature, könnte aber durchaus das Zeug zum Gamechanger haben. Denn von Amazons Kundenservice einmal abgesehen bedeutet Support bei Onlinebestellung oft noch die Suche nach Hotline-Nummern und Support-Email-Adressen, gepaart mit dem Versand von Mails über Kontaktformulare, begleitet von Anrufen etwaiger Support-Dienstleister der betreffenden Unternehmen. Gelingt es Facebook, seinen Messenger als Standard für den Kundensupport zu etablieren, würde das Unternehmen auch abseits von Social Media zur Infrastruktur gehören.
Ein Modell nach asiatischem Vorbild
Wie gut das funktionieren kann, belegt derzeit WeChat in China. Wer dort ein Web-Business startet, der launcht nicht zuerst eine Webseite, sondern eröffnet ein WeChat-Profil. Tatsächlich werden dort täglich mehr Profile angelegt als Webseiten registriert. In Zahlen: Im zweiten Quartal dieses Jahres kam der chinesische Messenger schon auf auf 438 Millionen aktive Nutzer pro Monat - 100 Millionen außerhalb Chinas. Denn WeChat ist mehr als nur eine Chat-App. Es ist eine Plattform. In China können Nutzer nicht nur miteinander chatten, sie können Spiele spielen, Taxis und Essen bestellen, Investements tätigen und und und... Huawei verkauft über die Plattform sogar seine Smartphones.
Shoppen wir bald via Facebook?
Wie Ted Livingston, CEO und Gründer des Messengers kik, in seinem Medium-Blogeintrag erklärt, ist WeChat die “Killer-app of mobile”, die Menschen nicht nur manchmal über den PC verbindet, an dem die sitzen, sondern dauerhaft und überall auf den Smartphones, die sie immer bei sich haben. Davon profitieren auch Marken. Die Zahlen sind beeindruckend: Angeblich werden 70 Prozent der 100 Millionen bislang versandten Nachrichten von Marken auf WeChat innerhalb der ersten Stunde gelesen. Werte, von denen Seitenbetreiber auf Facebook nur träumen konnten. Bislang. Im Gegenzug bekommt Facebook noch mehr Insights zum Shopping-Verhalten seiner Nutzer. Mit diesem Wissen könnte das Social Network auf lange Sicht nicht nur über Werbung Einnahmen generieren, sondern als Shopping-Plattform Amazon und Co. Konkurrenz machen.
Keine Grenzen für das Wachstum
Dass Entwickler ein großes Interesse daran haben dürften, über die API an den Facebook Messenger anzudocken, dürfte nicht überraschen: Bei einer Installbase von 600 Millionen Nutzern hat die neue Messenger-Plattform das Potenzial, vom Start weg eine große Nutzerschaft anzusprechen und schnell zu wachsen. Der Clou: Während sich Apple, Microsoft und auch Google mit ihren App Stores auf ihr Ökosystem beschränken, umgeht Facebook über die Plattform-Idee einfach die Barrieren. Auf diese Weise können Entwickler über den Messenger ihre Dienste nutzbar machen, ohne ihre Tools zeitaufwändig und kostenintensiv für iOS, Android oder Windows Phone zu entwickeln und zu unterhalten.
Was bedeutet das für WhatsApp?
Vor einigen Wochen stellten wir mit Blick auf den Erfolg von WeChat im asiatischen Raum die Frage: Wer wird das WeChat des Westens? Jetzt scheint die Antwort festzustehen: der Facebook Messenger. Und nicht WhatsApp. Zwar verbindet der Dienst schon rund 700 Millionen Nutzer weltweit. Allerdings macht der neue Eigentümer Facebook keine Anstalten, den SMS-Ersatz großartig zu reformieren. Eine kluge Entscheidung aus Unternehmersicht. Schließlich würden sich ansonsten beide Messenger zunehmend kannibalisieren. Während sich der Facebook Messenger nun zunehmend vom reinen Chat-Tool distanziert, wird WhatsApp auch weiterhin der schlanke Messenger bleiben, der auf diese Weise auch Nutzer in Regionen mit schlechter Netzabdeckung mit anderen chatten lässt.
Fazit: Mit der Plattform zum Big Player im Mobile-Segment
Der Auftakt zur F8 war aus Nutzersicht reichlich dröge. Neue Werbemechanismen, neue Video-Features, neue Möglichkeiten, Apps untereinander zu verbinden. Doch was Zuckerberg bekanntgab, ist nicht weniger als revolutionär. Zwar nicht aus globaler Perspektive betrachtet, denn Anbieter wie WeChat haben mit Blick auf die Plattform-Pläne bereits vorgelegt, doch aus Sicht des Social Networks allemal. Mit dem neuen Messenger, der nun sukzessive um neue Features wachsen wird, verabschiedet sich Facebook ein Stück weit vom reinen Social-Network-Gedanken und wird zum Plattformbetreiber - unabhängig von bestehenden Ökosystem der Smartphone-Hersteller. Die große Verbreitung des Messengers garantiert, dass sich auch Entwickler für die Plattform interessieren und die Plattform um Features erweitern.