Groß war der Hype um “den neuen Banksy”, der drei Agenten zeigt, die eine Telefonzelle im englischen Cheltenham abhören - nur einige Kilometer von der Zentrale des britischen Geheimdienstes GCHQ entfernt. Doch was mich viel mehr faszinierte, war die zweite Arbeit der Streetart-Ikone, die in Bristol gesichtet wurde.
Wir sehen zwei Liebende. Eng umschlungen und doch weit voneinander entfernt. Anstatt in die Augen der oder des Geliebten zu blicken, weilt der Blick auf ihren Smartphones, die ihre Gesichter erleuchten. Der Name des Kunstwerkes: “Mobile Lovers”. Ein klassischer Banksy.
Es mag es an der österlichen Ruhe liegen, dass mich dieses Bild so nachdenklich macht. Doch wohl kein anderes Kunstwerk fängt derart treffend dieses bestimmte Lebensgefühl ein: permanent nicht nur online sein zu müssen, sondern auch sein Leben dort zu dokumentieren. Mit der Folge, dass wir unsere Leben weniger intensiv wahrnehmen. Es wird geshared, nicht gelebt.
Was mag dieses Pärchen wohl gerade machen? Gut möglich, dass sich beide an demselben Ort einchecken und via Posting bekunden, wie sehr man doch verliebt sei. Unrealistisch? Wohl kaum. Vermutlich kennt jeder von uns mindestens ein Pärchen, das sich gerne ausgiebig in Facebook-Beiträgen gegenseitig kommentiert. Und haben wir nicht alle schon einmal ein lustiges Video oder eine Liebesbekundung an die Pinnwand unseres Partners geschickt - sodass es alle sehen konnten.
"Mobile Love" ist gesellschaftlich erwünscht
Mobile Lovers. Diese wunderbare Zweideutigkeit bedeutet auch, dass wir unsere “Mobiles” lieben. Und scheinbar alles tun würden, dass sie uns gut aussehen lassen. Anders lässt sich der Selfie-Trend auch wohl kaum erklären. Menschen nehmen mit Maschinen Bilder von sich selbst auf. Likes und Shares bestätigen ihnen: Du siehst gut aus. Wer braucht da noch einen Partner?
Wohin die Selfie-Sucht führt, ließ sich unlängst beim Fall von Jared Michael beobachten, der für einen Urlaubsselfie zu nah an einen herbeifahrenden Zug wollte - schießen wir “Belfies” von unsere Hinterteilen. Alles muss noch außergewöhnlicher, noch gewagter und noch exotischer sein. Das gibt mehr Likes, Klicks und Shares. Oder mit anderen Worten: mehr Liebe. Nicht umsonst ist der "Like"-Button bei Instagram ein Herz...
Zu krass? Fragt Euch: Habt Ihr nicht selbst schon einmal unbedingt auf einem Konzert oder bei einem Ausflug in die Natur ein Foto schießen und es in den Social Networks teilen müssen - anstatt den Moment zu genießen und ihn so intensiver im Gedächtnis zu behalten? Wer kennt nicht den Spruch “Pic oder it didn’t happen” (engl.: Zeig das Bild - oder es ist nicht passiert)? Das Motto der “Mobile Lovers” lautet: Wenn Du es nicht gepostet hast, ist es nicht passiert.
Dabei nehmen wir genau dann uns und unsere Nächsten nicht mehr wahr. Wir lassen andere definieren, ob das, was wir gerade tun, gut oder schlecht ist - mit Likes und Kommentaren. Wir ruinieren Intimität. Nicht nur im romantischen Miteinander - auch im geselligen Beisammensein. Ausgerechnet die Biermarke Guinness schlug deswegen ein Spiel vor, bei dem derjenige eine Runde für seine Freunde ausgeben muss, der zuerst auf sein Handy schaut.
Wie schwer das fällt, sollte jeder einmal im Selbstversuch ausprobieren. Längst sind wir eine intime Beziehung mit unseren Geräten eingegangen. Wenn sie uns rufen, dann sind wir zur Stelle. Wir sind "Mobile Lovers".
Können wir etwas dagegen tun? Wohl kaum. Denn unsere Affären sind gesellschaftlich nicht nur geduldet, sie sind erwünscht. Wer eine Nachricht über einen Messenger schreibt, der will sie auch rasch beantwortet wissen. Mit dem unschönen Nebeneffekt, dass wir auch gerade dann zum Smartphone greifen, wenn wir es gerade nicht tun sollten. So wie das Pärchen im neuen Banksy.
Auch wenn wir nicht mehr ohne unsere "Mobiles" können: Vielleicht sollten wir sie manchmal, in den wirklich wichtigen Momenten, in der Hosentasche lassen. Und ganz wichtig: Kopf hoch!