Auch ich habe mich darüber lustig gemacht. Nein, das trifft es eigentlich nicht, denn ich war sogar ein wenig empört. Wie konnte die Bundeskanzlerin vor gut zwei Jahren nur behaupten, dass das Internet für uns Deutsche Neuland ist.
Mein Gott, ich habe meinen ersten Computer bereits Mitte der 80er Jahre per Modem ins Netz gebracht und meine erste Webseite mit Filmkritiken war bereits vor mehr als 20 Jahren erreichbar. Wie soll das Internet Neuland sein? War Merkel blind? Hat ihr das ständige SMS-Tippen den Blick auf die anderen Funktionen ihres vermeintlich sicheren Smartphones versperrt? Wir laden Apps runter, kommunizieren mit Facebook & Co. und zocken im Netz. Wir kaufen darüber ein und laden "Game of Thrones" illegal aus Tauschbörsen herunter. Wir sind das Netz, verdammt!
Dachte ich.
Dann dachte ich nach.
Nein, ich möchte nicht über alle Menschen hier im Land reden, ich schaue nur in meine eigene Mülltonne. Und was finde ich darin? Ein Smartphone eines US-Herstellers, gebaut in China. Darauf Services, die fast ausschließlich von US-Amerikanern angeboten werden. Eine deutsche Suchmaschine? Ein deutsches soziales Netz? Wenigstens 'ne deutsche E-Mail-Adresse? Fehlanzeige.
Das rechte Paradoxon
Das Internet hat soviel mit Deutschland zu tun wie die Pegida mit Intelligenz. Das fängt bei den Inhalten an und hört nicht bei den Köpfen dahinter auf. Selbst die Gespräche darüber, die innovativen Ideen dahinter, stammen nicht aus der Lüneburger Heide oder dem Alpenvorland. Schon witzig, dass viele Leute nichts Fremdes im Land haben wollen, aber das mit fremdländischen Geräten auf fremdländischen Diensten veröffentlichen.
Und virtuos mit moderner Technik umgehen? Ach, ich bitte Euch! Entweder sind wir leichtsinnig, naiv oder ängstlich. Wir wissen um die Gefahren, aber öffnen dennoch jede E-Mail aus Nigeria, die uns eine Million Euro verspricht. Wir finden es dufte, wenn befreundete Staaten unsere Handys abhören und haben kein Mittel dagegen, dass Hacker das Computersystem des Bundestages sabotieren. Wir schaffen es nicht, eine Computer-Elite auszubilden und vor allem Anreize zu schaffen, dass diese sich hier heimisch fühlt.
Buckelpiste statt Autobahn
Aufklärung über das Internet findet zwar statt, aber meistens ist es die jüngere Generation, die der Älteren zeigt, wie der Hase auf der Datenautobahn läuft – in vielen Teilen des Landes ist es übrigens immer noch eine buckelige Landstraße.
Das Internet soll uns verbinden, soll Wissen für alle verfügbar machen - quasi das demokratischste Medium sein, das es gibt. Ein Bürgerrecht, gleichzeitig eine Verpflichtung. Und was stellen wir mit dem Wissen an? Wir packen es in Listen, kürzen es auf ein narkotisierendes Minimum ein. Wir lernen nicht, wir googeln. Wir sprechen in Kürzeln, liken was das Zeug hält und fotografieren entweder uns oder unser Essen.
Mein Gott, es gibt Länder, in denen das Internet gesperrt wird, weil sich darüber ein paar Bürger verabreden, um für den Frieden zu demonstrieren. Bei uns wird es nicht mal den Leuten weggenommen, die sich fremdenfeindlich äußern. Nein, im Gegenteil, sie pöbeln Til Schweiger an, der auf seiner Facebook-Seite zur Spendenaktion aufruft. Schön, dass der Schauspieler lautstark von seinem Hausrecht gebraucht macht.
Alles ist erlaubt
Jaja, wir sind ein freies Land, hier darf man alles sagen und schreiben. Dass das nicht nur ein Grundrecht, sondern auch ein wertvolles Privileg ist, vergessen immer mehr Neuländer. Und das Schlimme ist: Wir schauen zu. Nein, natürlich nicht immer. Wenn sich jemand einen Eiskübel über den Kopf gießt, machen wir das auch und stellen das passende Video ins Netz – egal, worum es eigentlich geht. Und wenn irgendwo auf der Welt endlich jeder jeden heiraten darf, färben wir unser Foto bei Facebook schnell Regenbogenbunt ein. Wir sind schließlich politisch, sind engagiert – auch wenn wir manchmal gar nicht mehr wissen, warum wir das eigentlich machen. Macht ja nichts, macht ja jeder.
Ja, das Internet ist Neuland. Wie es damals der Wilde Westen für die Einwanderer war. Nur machen wir bei der Eroberung keine Indianer platt, sondern sind selbst die Wilden. Und die Verrohung, deren Eisbergspitze kranke Troll-Kommentare sind, schwappt immer mehr in die Wirklichkeit über. Kinder schauen sich Pornos an und nehmen sich das Gesehene als Vorbild, Soldaten posten Folterbilder, Medien ergötzen sich daran, multimediale Reportage aus allen Blickwinkeln von Krisengebieten zu präsentieren. Immer live dabei – und doch dank Touchscreen mit schusssicherem Sicherheitsabstand.
Technik ist geil, Technik macht Angst
Auch wenn es nicht so klingen mag: Ich liebe Technik, spiele gerne mit Gadgets und versuche immer einen Nutzen für Services und Features zu entdecken. Für mich ist das Internet eine der wichtigsten Informationsquellen geworden, auch wenn ich nach wie vor das persönliche Gespräch bevorzuge. Doch die Art, wie wir mit dem Internet umgehen, macht mir ein wenig Angst.
Warum nutzen wir dieses digitale Geschenk nicht, um die große Welt besser zu verstehen und sie so ein wenig kleiner zu machen? Doch für uns ist Google Maps nur bei der Suche nach dem nächsten Urlaubsort interessant – oder um den Nachbarn in den Garten zu gucken. Warum ermutigen wir die jungen Leute nicht dazu, mit den verfügbaren Informationen bessere Menschen zu werden? Stattdessen lassen wir sie mit den neusten Smartphones, Tablets und Computern alleine – und wundern uns, dass sie lieber auf den Bildschirm als in den Himmel zu gucken.
Wir sind im Bezug auf das Internet leichtgläubig und leichtsinnig. Geben unsere Daten preis und scheren uns eine Dreck darum, was damit gemacht wird. Wir haben doch nichts zu verbergen. Und falls doch ein Journalist mal zeigen will, dass vielleicht nicht alles so rund läuft mit den Daten, dem Internet und so – zack, kommt ein Staatsanwalt und nennt das Landesverrat. Aber das interessiert ja auch keinen mehr. Lieber regen wir uns darüber auf, dass ein Youtube-Star bei einem gespielten Interview von der Kanzlerin vorgeführt wird, nur um zu demonstrieren, dass man ja doch irgendwie ein bisschen modern ist. Immerhin bekommt dieser Junge nun eine TV-Show im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Sicher, Zufall.
Aber warum auch nicht? Ist doch so schön bequem. Läuft irgendwas nicht richtig, kann man anonym pöbeln und muss selbst nichts ändern oder gar besser machen. Dazu sind wir ja schließlich auch viel zu faul. Aber halt, stimmt nicht ganz, wir machen doch was. Wenn andere für unsere Rechte auf die Straße gehen, für Netzneutralität eintreten oder für Datensicherheit kämpfen, dann gibt es natürlich dafür ein "Gefällt mir". Das muss doch reichen. Und jetzt weiter zu den Katzenvideos.
Frau Merkel, Chapeau. Sie hatten Recht.
Was ist about:blank? Hier schreibt Gerd über neue Entwicklungen, die ihn begeistern, und unausgereifte Produkte und Trends, die ihn nerven. Kommentare sind ausdrücklich erwünscht.