Corona-App und PEPP-PT: Mit Smartphone-Hilfe zurück zur Normalität?

Corona-App der Regierung
Corona-App der Regierung (© 2020 Stocksy )
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Kann eine Smartphone-App dabei helfen, die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen? Die deutsche Bundesregierung ist davon überzeugt und unterstützt die Entwicklung einer Handy-Software, die Bewegungsmuster der Menschen speichern und so Infektionsketten nachvollziehbar machen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich bei der Präsentation erster technischer Details Anfang April sehr angetan. Die Kanzlerin persönlich "wäre dann natürlich auch bereit, für mich selber das anzuwenden und damit vielleicht anderen Menschen zu helfen", erklärte sie in einer Pressekonferenz Anfang April.

Auch aus dem Umfeld der Kanzlerin wird der Ruf nach einer technischen Lösung lauter. "Wir brauchen in jedem Fall eine Tracking App", betonte etwa Kanzleramtschef Helge Braun in einem Interview mit RTL/ntv am Montag dieser Woche, und plädierte dabei für eine paneuropäische Lösung. "Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass es jetzt viele verschiedene Tracking-Apps gibt." Es brauche also ein einziges System, um zum Beispiel Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden.

Zwei wesentliche Anforderungen an die App sind damit formuliert: die Bewegungen der Menschen sollen nachvollziehbar sein; und zwar möglichst grenzüberschreitend. Natürlich – und dieser dritte Aspekt spielt eine ebenso große Rolle – unter Einhaltung aller geltenden Datenschutz-Standards.

Wir tragen in diesem Artikel die verfügbaren Informationen zusammen und geben euch am Ende unsere Einschätzung mit auf den Weg, ob die Technik wirklich halten kann, was sie leisten soll.

Was steckt technisch hinter der Corona-App?

Der zugrundeliegende Gedanke ist im Prinzip bestechend. Warum sollten Millionen gesunder Menschen Zuhause schmoren, wenn man mithilfe technischer Lösungen eine mögliche Infektionskette komplett nachvollziehen könnte? Wäre es mithilfe der Technik vielleicht sogar denkbar, die Ausgangsbeschränkungen zu lockern, ohne eine zweite Welle der Infektion befürchten zu müssen? Dafür braucht es klare Standards – aber welche?

Die Smartphone-App, die wenige Tage nach Ostern unter dem wenig glamourösen Namen Stopp Corona als App zum Download bereitstehen dürfte, basiert auf der sogenannten PEPP-PT Technik. Die Abkürzung steht für Pan-European Privacy Preserving Proximity Tracing. Ein Team aus rund 130 Wissenschaftlern und Unternehmen aus acht europäischen Ländern arbeitet derzeit mit Hochdruck an der Lösung. Beteiligt sind Medienberichten zufolge etwa das Robert-Koch-Institut (RKI) oder das Fraunhofer-Heinrich-Herz-Institut (HHI).

Die PEPP-PT Technologie basiert auf Bluetooth. Ihr kennt das zum Beispiel von euren True-Wireless-Kopfhörern. Dieser Funkstandard kommt schon heute etwa im Einzelhandel zum Einsatz, wenn man einen Kunden via Handy auf spezielle Angebote in seinem nahen Umfeld aufmerksam machen möchte. Die Reichweite des Funksignals ist aber begrenzt – im Falle einer Corona-App könnte genau diese Grenze eine Lösung für Datenschutz-Bedenken sein.

So soll PEPP-PT in der Praxis funktionieren

Es wird jedem User der App ein zufällig generierter Zahlencode zugewiesen, ohne die Personalien des Nutzers damit zu verknüpfen. Im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus würden dann automatisch diejenigen Kontakte informiert, die sich in den vergangenen Tagen im Umkreis der Person aufgehalten haben.

Aktuell geht man davon aus, dass Geräte, die sich näher als zwei Meter kommen, die temporäre ID des jeweils anderen Handys speichern. Die Daten bleiben verschlüsselt auf Zeit gespeichert: 21 Tage lang bleiben sie auf dem Smartphone, niemand kann darauf zugreifen.

Die App scannt also die Umgebung und erfasst (und speichert), welche anderen Smartphones sich in Reichweite befinden. Falls einer der Menschen, denen ihr begegnet seid, in der App die Information hinterlegt hat, mit dem Coronavirus infiziert zu sein, bekommt ihr eine Benachrichtigung. Der springende Punkt: Zu einer validen Erkenntnis kann das nur führen, wenn die Besitzer der anderen Smartphones auch die Corona-App nutzen, die auf dem PEPP-PT-System basiert.

Eines soll dabei klargestellt sein: Es geht bei der Datensicherung im Namen des Anti-Corona-Kampfes nicht um ein exaktes Tracking der Personen, also dem Aufzeichnen der besuchten Standorte, sondern um das so genannte Tracing: Dabei werden keine Geodaten erhoben, sondern nur die Abstände zwischen einzelnen Personen gemessen und gespeichert. Denn wichtig für den Schutz vor Coronavirus-Infektionen ist der Kontakt mit anderen Personen – nicht, wo dieser Kontakt genau stattfindet. 

Welche Erfahrungen gibt es mit dem Einsatz von Apps in Pandemie-Situationen?

Die meisten Erfahrungen haben in diesem Bereich asiatische Länder. Asien hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit drei größeren Epidemien zu kämpfen: SARS im Jahr 2003, mit der Schweinegrippe (H1N1) in den Jahren 2009 und 2010 und mit MERS im Jahr 2015. Diese Viruserkrankungen, die jeweils Hunderte Tote gefordert haben, haben die Regierungen gelehrt, schnell und konsequent zu handeln. Über ein System von Anreizen und Strafen hat etwa Singapur bereits im Januar dieses Jahres das öffentliche Leben strikt kontrolliert.

Zu dem Maßnahmenpaket gehört auch der Einsatz von Tracking-Apps. Diese Strategie der konsequenten Isolation und der Nachverfolgung mittels Kommunikationstechnologie scheint sich nun in der Corona-Pandemie auszuzahlen: Trotz der Nähe zu China haben asiatische Staaten und Regionen wie Taiwan, Vietnam, Hongkong, Singapur weit weniger Corona-Fälle als ihre Nachbarn. Insofern scheint der Einsatz von Apps ein Faktor zu sein, der eine Eindämmung unterstützen kann.

Im Unterschied zu asiatischen Ländern (die mit ihren Maßnahmen weit jenseits westlicher Menschen- und Datenschutz-rechtlichen Bestimmungen agieren) stellt sich die Frage, wie viel Wert eine abgespeckte Variante hat, die mit unseren Datenschutzrichtlinien konform ist. Datenschützer signalisieren einerseits Sorge, aber auch die Bereitschaft, in dieser Extremsituation weitreichende Konzessionen zu machen. Ein mögliches Mittel: Der Einsatz einer Corona-App soll auf Freiwilligkeit beruhen.

Datensicherheit und -missbrauch

So formuliert etwa der Baden-Württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink im Interview mit dem SWR: "Wir sind ja hier nun in einer Ausnahmesituation. Da muss man auch mal ein bisschen querdenken, auch mal nach vorne denken, Dinge auch einmal ausprobieren. Aber mit Sinn und Verstand. Genau hingucken, wer bietet das an, wer empfiehlt das."

Nicht ganz so pragmatisch gibt sich im gleichen SWR-Beitrag Wenzel Michalski, Deutschland-Direktion Human Rights Watch: "Es muss alles nach rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Gesichtspunkten okay sein. Wir sehen allerdings auch schon in vielen Staaten wie zum Beispiel in China, aber auch in den USA, große Missbräuche und da haben wir starke Bedenken."

Für diese Sorge gibt es zumindest in punkto technischer Konzeption wohl keinen Grund. Über den PEPP-PT Standard darf als gesichert gelten, dass die personenbezogenen Daten geschützt bleiben. Die in der App erzeugten IDs bleiben generische Zahlenfolgen, niemand kann im Nachhinein herausfinden, welche Person sich dahinter verbirgt.

"Wir messen nur, wie lange und wie nahe sich zwei Personen begegnet sind", sagte Thomas Wiegand der Süddeutschen Zeitung, der das Fraunhofer-Heinrich-Herz-Institut leitet. Wo das Treffen stattgefunden habe, sei dem Virus sowieso egal. "Das sind die einzigen Informationen, die epidemiologisch von Bedeutung sind."

Was noch zu klären ist

Ein Problem stellt allerdings der Prozess der Krankheitsbenachrichtigung dar. Denn dieser Schritt ist fast schon eine Einladung für Trolle, schließlich muss an dieser Stelle die Anonymisierung – auf welche Art auch immer – ein Stück weit gelockert werden. Für eine Warnung, die innerhalb von Millisekunden zahlreiche Menschen erreicht und in Quarantäne beordert, müssen zwingend mehrere Ärzte beteiligt sein, damit die Diagnose verifiziert werden kann. Wie das funktionieren soll, ist unklar, Details stehen noch aus.

Ein weiteres Problem ist die technische Ausstattung der Zielgruppe, die vor Ansteckung in erster Linie geschützt werden soll – und zu dieser Risikogruppe zählen insbesondere ältere Menschen. Diese verfügen oftmals nicht über ältere Handys, die den geforderten Bluetooth-Standard nicht unterstützen oder gar keine Apps installieren können. Wenn Ältere denn überhaupt über ein Smartphone verfügen.

Ein weiteres Problem: Um eine Infektionskette wirksam unterbrechen zu können, müsste rund 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen. Das wären in Deutschland rund 50 Millionen Menschen. Und es gibt bislang keine App, die in so großer Zahl jemals heruntergeladen worden wäre. Und wie schon erwähnt: Es geht hier um eine freiwillige Nutzung der App.

Eine App allein reicht nicht aus

Kann dieser Vorstoß trotzdem funktionieren? Ja, das kann klappen. Allerdings muss man sich trotz aller Möglichkeiten von der Vorstellung verabschieden, dass die App auf dem Handy ausreicht, um das Leben wieder wie vorher in den gewohnten Bahnen laufen zu lassen. Und doch ist jede Infektion mit dem Coronavirus, die mithilfe dieser App verhindert werden kann, ein Schritt in die richtige Richtung.

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