Man kann es den nächsten Schritt nennen: Nach Jahren als Countrysängerin und Soft-Rockerin will Taylor Swift nun den ganz großen Wurf landen – als massenmarkttauglicher Popstar. Die einst so schüchterne Amerikanerin versucht sich als coole Popsängerin weiterzuentwickeln. Dafür wandelt die 24-Jährige mit ihrem neuen Video „Shake it off“ ein bisschen auf den Spuren Miley Cyrus’ und erntet prompt einen erwartbaren Shitstorm.
Es ist eine Metamorphose mit Anlauf. Zwei Jahre ist es her, dass sich Taylor Swift mit „Red“ erkennbar auf den Mainstream zubewegt: Die neuen Songs waren ein bisschen rockiger und weniger country-esk verspielt, die Melodien ein bisschen Supermarkt-gemäßer („We are never ever ever getting back together - like ever“), Lippenstift und Eyeliner ein bisschen dicker aufgetragen, der Kleidungsstil ein bisschen tussihafter, die Inszenierungen ein bisschen zickiger.
Es ist nicht zu übersehen: die will was. In zwei Worten: es wissen. Irgendwann nach dem MTV-Moment, als Kanye West ihr den Moonman vor laufender Kamera wegschnappte und der heute 24-Jährigen damit den größten Gefallen ihrer bis dato unauffälligen Karriere machte, muss Taylor Swift klar geworden sein, dass da etwas geht im Showgeschäft, wenn sie im Medienzeitalter die richtigen Knöpfe drückte, aus der Nische ausbrach und sich veränderte.
„We're happy, free, confused, and lonely at the same time“
Anders als bei Miley Cyrus, die den Weg der maximalen Verwüstung wählte, arbeitet Taylor eine Veränderungsstrategie ab, die sich im Social Media-Zeitalter besonders gut verfolgen lässt. Dem mainstreamigeren Sound mit „Red“ folgte der Imagewechsel. Die damals 22-Jährige, die die Welt wissen ließ, wie großartig es sich anfühlte, 22 zu sein, datete alles rauf und runter, was die Musikindustrie und das Showbiz als Flirtmaterial hergab.
„We're happy, free, confused, and lonely at the same time. It’s miserable and magical. Oh, yeah“, lautete die Hymne zum erlaubten Unfug des Post-Teenie-Zeitalters. Dann kam Miley und bot Taylor Swift die ideale Plattform, um ihr Profil zu schärfen, nämlich durch Abgrenzung. Es war o.k., sich daneben zu benehmen, solange es halbwegs mit Stil passierte – oder wenigstens nicht so eskalierte wie bei der selbsternannten "Instagram-Hure".
Social Media: Taylor Swift hängt Miley Cyrus ab
Auch Taylor Swift, die immer öfter aussieht wie aus einem Tommy Hilfiger-Spot entsprungen, ist in den sozialen Medien höchst aktiv und lässt die drei Jahre jüngere Skandalsängerin dabei sogar weitgehend hinter sich: Bei Facebook und Twitter liegt Taylor mit 67 Millionen Fans bzw. 49 Millionen Followern deutlich vor Miley, nur bei Instagram hat die streitbare frühere Hannah Montana-Darstellerin mit etwa einer Million Follower Vorsprung die Nase vorn.
Doch Taylor Swift holt auf - und das mit einer Strategie, die man getrost als Gegenentwurf zur verhuschten 21-jährigen Selbstdarstellerin betrachten kann. „Die Klasse macht’s“, scheint der Taylor Swift-Code zu lauten – lediglich 248 Posts stehen der mehr als vierfachen Menge bei Miley gegenüber.
Taylor Swifts Social Media-Strategie: Direct Messages an Teenie-Fans bei Instagram
Während die Tochter der früheren Country-Ikone Billy Ray Cyrus unverblümt immer weiter, immer schneller auf der Sexschiene fährt, versucht sich Taylor Swift als die intellektuell überlegene Schwester im Geiste.
Oder als die große Freundin, die sie öffentlichkeitswirksam auch für Hollywood-Star Selena Gomez spielte: Sie tröstet ihre vom Liebeskummer malträtierten Fans mit Direct Messages bei Instagram, wohl wissend, dass ihr die Berichterstattung am Tag darauf von Gawker über Mashable bis zum Business Insider sicher ist. („Wir beide wissen, dass es für Dich eine wichtigere Geschichte gibt, als: einem Mädchen wird das Herz gebrochen und war für immer traurig.“)
Nasses Tank Top nach Ice Bucket Challenge
Sie nimmt an der Ice Bucket Challenge mit sexy Tank Top und sexy Schauspieler-Kollegin Jamie King (35) teil, billigend in Kauf nehmend, dass ihr die Herzen auf Instagram vor allem wegen der nassen T-Shirts zufliegen. Darum geht es schließlich, wie Taylor vor einem Monat sogar im Wall Street Journal dozierte:
„Ich wurde seit der Erfindung des iPhones mit einer Frontkamera nicht mehr nach einem Autogramm gefragt. Das Einzige, was Kids in diesen Tagen wollen, ist ein Selfie. Es ist Teil der neuen Währung, deren Wert sich daran bemisst, wie viele Follower man auf Instagram besitzt“.
„Ich habe den nächsten Springsteen gesehen - und ihr Name ist Taylor Swift“
Nach so viel akribisch ausgetüftelter Social Media-Strategie in eigener Sache ist es zwei Jahre nach „Red“ dann auch endlich wieder Zeit für ein neues Album, das dem neuen Lebensgefühl der (um-) triebigen bald 25-Jährigen gerecht wird. „1989“ heißt es, na klar, das Geburtsjahr der Sängerin.
I Have Seen the Next Springsteen and Her Name Is Taylor Swift http://t.co/aV8tHjUxTd It's been a busy week; just RTing some stuff I wrote.
— Rocco Pendola (@mynameisrocco) August 24, 2013
„Ich habe den nächsten Springsteen gesehen - und ihr Name ist Taylor Swift“, twitterte der ansonsten äußerst treffsichere Tech- und Finanzjournalist Rocco Pendola vor einem Jahr. Setzt man den höchst fragwürdigen Vergleich fort, müsste „1989“ nun Taylor Swifts „Born in the USA“ werden – das Album des großen Durchbruchs im Mainstream, das sie in der Mitte der Popindustrie angekommen sein lässt.
„Shake it off“-Eklat um wackelnde, afro-amerikanische Hinterteile
Und exakt diesen Weg wählt Taylor Swift dann auch im Video zur gestern veröffentlichten ersten Single „Shake it off“. Taylor Swift mimt die Pop-Bitch, ohne eine sein zu wollen. Es sind in erster Linie ironische Anleihen an die Popkultur, von denen sich die 24-Jährige doch abzusetzen versucht – in Ballerina-Szenen, die auf den Blockbuster „Black Swan“ anspielen, eine Break-Dance-Szene mit Ghettoblaster, die an Black Eyed Peas-Videos erinnert und dann die Rutsche durch wackelnde, zum Teil schwarze Hinterteile, die das Twerk-Sujet bedient und damit reflexartig einen Shitstorm provoziert.
Die weiße, modelldünne Taylor Swift vs. eine Reihe wackelnder, voluminöser Frauengesäße, die von einem schwarzen Po angeführt wird? Keine gute Idee, finden ihre „Hater“, die sich über das gefundene Fressen dankbar hermachen. Odd Future-Rapper Early Sweatshirt zog in gleich drei Tweets frontal gegen Taylor Swift vom Leder.
haven't watched the taylor swift video and I don't need to watch it to tell you that it's inherently offensive and ultimately harmful
— EARL (@earlxsweat) August 19, 2014
perpetuating black stereotypes to the same demographic of white girls who hide their prejudice by proclaiming their love of the culture
— EARL (@earlxsweat) August 19, 2014
for instance, those of you who are afraid of black people but love that in 2014 it's ok for you to be trill or twerk or say nigga
— EARL (@earlxsweat) August 19, 2014
Eine (öffentliche) Antwort steht noch aus. Wir sind sicher: Taylor Swift versucht’s zunächst mit einer Direct Message…