Android ist quelloffen und kann von jedem kostenlos als OS genutzt und angepasst werden — oder etwa nicht? Tatsächlich macht Google auch bei modifizierten Android-Versionen bestimmte Vorgaben, um beispielsweise Zugang zum Play Store anbieten zu dürfen. Den Machern der CyanogenMod geht diese Einflussnahme nun zu weit. Sie haben angekündigt, "Android von Google befreien" zu wollen. Was zunächst im Sinne des Brechens eines Monopols toll klingt, könnte sich als recht schwierig erweisen und im Endeffekt gar nicht so erstrebenswert sein.
Großmäulige Revoluzzer, denen ihr Erfolg zu Kopf gestiegen ist, oder digitale Freiheitskämpfer, die es mit dem Branchen-Goliath zum Segen der Android-Nutzer aufnehmen möchten? Die Ankündigung von Cyanogen Inc. am Sonntag, Google das Android OS wegzunehmen und damit der "tyrannischen Kontrolle" Mountain Views, die Cyanogen-CEO Kirt McMaster schon in der Vergangenheit etwas drastisch angeprangert hatte, zu entziehen, sorgt für zweigeteilte Meinungen: Auf der einen Seite wird dieser Tage ja beinahe alles, was radikal gegen die "Großen da oben" geht, reflexartig begrüßt; und speziell im Falle Googles trifft es ohnehin einen Quasi-Monopolisten, der auch an ganz anderen Fronten in der Kritik steht und dessen Vormachtsstellung zuweilen zurecht Grund zur Sorge gibt. Auf der anderen Seite stehen berechtige Zweifel daran, ob ein solch ambitioniertes und radikales Vorhaben überhaupt machbar ist.
Aber gibt es überhaupt einen guten Grund für derartige Maßnahmen? Sicherlich, für App- und ROM-Entwickler und auch für Gerätehersteller mag das Joch Googles schwerer als für uns Nutzer, schließlich fordert Mountain View die Einhaltung diverser Auflagen, damit auch ein modifiziertes Android mit den Google Apps, den Play Services und vor allem dem Play Store ausgeliefert und betrieben werden darf. Die CyanogenMod wird seit längerem bereits ohne die sogenannten GApps ausgerollt, diese muss der geneigte Nutzer sich manuell und nachträglich selbst installieren, sei es aus dem Play Store oder als flashbare Zip-Datei, für die Anwendungen, die es nicht im Play Store gibt. Die "Feindschaft" zwischen Google und CyanogenMod — oder umgekehrt — ist nicht neu ... muss nun aber gleich eine solche "Befreiungsaktion" der einzige Weg für Cyanogen Inc. sein oder schießen die Mannen um Kirt McMaster hier vielleicht etwas über das Ziel hinaus? Ganz so einfach, wie der CEO seine Pläne auf der Pressekonferenz klingen ließ, wird sich deren Umsetzung jedenfalls nicht gestalten.
Das Problem mit Android-Forks ohne Segen Googles aber ist, dass sie ihren Nutzern eben keinen Zugang zum Play Store bieten.
Als einen der Hauptgründe für einen Loslösung von Google führt Cyanogen an, dass es zum jetzigen Zeitpunkt beinahe unmöglich sei, integrierte Services wie etwa Google Now als Drittanbieter für Android zu entwickeln — weil Google über den Zugriff auf den Kern des OS eine schützende Hand halten würde und viel versprechende Ansätze von Dritten nur als App über den Play Store zuließe oder gleich aufkaufen würde. Cyanogen als zukünftiger Android-Fork, der solch tiefe Zugriffe auf den Kern des OS zuließe, wäre die Antwort, auf die Entwickler solcher Dienste warten.
Ein eigener Appstore in den kommenden 18 Monaten
Das Problem mit Android-Forks ohne Segen Googles aber ist, dass sie ihren Nutzern eben keinen Zugang zum Play Store bieten; es ist gleichzeitig allgemein bekannt, dass ein mobiles Betriebssystem mit seinem verfügbaren App-Ökosystem steht und fällt. Also plant Cyanogen innerhalb der nächsten 18 Monate einen eigenen App Store zu öffnen. Aber wie sollen sie den bitte ausreichend bestücken? Selbst dem Content-Giganten Amazon ist es mit seinem Fork und seinem App-Store bislang nicht gelungen, eine ernstzunehmende Alternative zu Googles Android und dem Play Store zu schaffen. Ich habe wenig Grund zu glauben, dass ausgerechnet Cyanogen Inc. an dieser Stelle mehr Erfolg haben sollte.
Dazu kommt der Fakt, dass Cyanogen Inc. als Unternehmen aktuell (aber wohl auch zukünftig) stark auf Googles Wohlwollen angewiesen ist: Man stellt das Betriebssystem für Geräte von OnePlus und Micromax; und wollen bestimmt keine Smartphones mit einem Android-Fork ohne Play Store und Play Services verkaufen. Bei der Weiterentwicklung der CyanogenMod, die nach meinem Verständnis ja Basis eines von Google losgelösten, eigenen OS wäre, bedient man sich am Android Open Source Project; das wird zwar nicht direkt von Google kuratiert, neue Versionen von Android gelangen aber aus Mountain View dorthin. Außerdem hat Google bereits damit begonnen, bestimmte Elementes des OS auszugliedern oder wenigstens so eng mit den eigenen Services zu verzahnen, dass ein Android ohne Google auch in dieser Hinsicht zwangsläufig beschnitten wäre.
Die Play Services nutzt Google beispielsweise immer mehr, um Updates auf die Endgeräte zu bringen, ohne dabei die gesamte Firmware over the air aktualisieren und eventuell auf die langsamen, angepassten Software-Rollouts der Hardware-Partner warten zu müssen. An ihre Stelle müssten im Falle von Cyanogen dann als Eigenentwicklungen treten, um das OS aktuell zu halten und fortwährend zu optimieren. Im Grunde bedeutet das alles, dass Cyanogen zwar mit Android beginnen, über kurz oder lang aber ein eigenes OS weiterentwickeln würde, dessen Weg sich von Googles Android merklich trennen dürfte. In einem solchen Fall hinge der Erfolg davon ab, wie groß das Vertrauen von Drittherstellern und Kunden in die kreativen und entwicklungstechnischen Fähigkeiten von Cyanogen Inc. (verglichen mit Google) wäre. Auch hier können leider nur bescheidene Erfolgsaussichten prognostiziert werden, am Beispiel Microsofts haben wir zuletzt gesehen, wie schwer es selbst für einen Großkonzern ist, neben Apples iOS und Googles Android ein neues mobiles OS zu etablieren.
Es scheint, als ob Cyanogen Inc. sich in eine "Wut-Entwickler"-Weltanschauung reingesteigert hat.
Last but not least kommen die guten Google Apps wie Maps, YouTube oder auch Gmail dazu: Nutzer mögen, wollen und brauchen diese Applikationen, es ist schwer vorstellbar, das Cyanogen im Falle eines nicht unwahrscheinlichen Nutzungsverbots dieser Anwendungen auf die Schnelle brauchbare Alternativen präsentieren könnte.
So schön es manchem also erscheinen mag, denen "da oben in Mountain View mal zu zeigen, wie der Hase läuft" ... so läuft der Hase aber eben nicht. Mir scheint es eher, als ob Cyanogen Inc. sich da in eine "Wut-Entwickler"-Weltanschauung reingesteigert hat und die Welt der mobilen Betriebssysteme zu sehr aus der Developer-Sicht wahrnimmt. Schlussendlich sind es aber die Kunden, die über Aufstieg und Fall eines OS entscheiden. Und die interessieren sich mehr für Apps und YouTube und Maps und Facebook als für theoretische integrierte Services. Ich wünsche Cyanogen Inc. alles Gute — wäre aber sehr überrascht, wenn sie dieses großspurige Vorhaben in ein von Google unabhängiges und vor allem erfolgreiches Android umsetzen können.