In den Supermarkt gehen, Produkte einpacken und das Geschäft wieder verlassen. Was nach Zukunft klingt, setzt Amazon in den USA mit Amazon Go schon jetzt in die Tat um. Wie aber funktioniert das System? Und vor allem: Sieht so auch die Shopping-Zukunft in Deutschland aus?
Der Supermarkt der Zukunft steht in Seattle. Das Besondere des Vorzeige-Shops des Online-Händlers Amazon: Er hat keine Kassen. Voraussetzung für den Einkauf ist lediglich der Check-in über die Amazon-Go-App auf dem Handy: App öffnen, QR-Code scannen, fertig. Anschließend geht man wie gewohnt durch die Gänge und legt Lebensmittel und andere Produkte in den Einkaufswagen. Amazon konzentriert sich bei Amazon Go auf fertige Nahrungsmittel für die Pause am Mittag oder ein schnelles Abendessen. Ein Mix verschiedener Technologien – darunter Bilderkennung, Gewichts-Sensoren und auf künstlicher Intelligenz basierende Algorithmen – erfasst, ob Produkte genommen oder zurückgelegt werden.
Wer fertig ist, kann einfach gehen. Kurze Zeit später erhält der Kunde einen Beleg per E-Mail, die Abrechnung erfolgt über das Amazon-Konto. Dass dabei Fehler passieren, schließt Amazon nicht aus. Das Risiko sei laut Amazons Go-Chefin Gianna Puerini aber so gering, dass man sich nicht mal die Mühe gemacht habe, eine Feedback-Option in die App einzubauen, mit der Kunden nicht abgerechnete Produkte melden können. Auch für Diebstähle oder fehlende Produkte gibt es keine Richtlinien, so sehr vertraut Amazon der eigenen Technik. Auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzichtet der Onlinehändler dennoch nicht. Sie bereiten beispielsweise in einer kleinen Küche belegte Brötchen vor oder beantworten Kundenfragen.
Ikea: SB-Kasse als Ergänzung
Derart fortschrittliche Shop-Systeme sind in Deutschland noch nicht in Sicht. Eine Hürde: „Die Liebe der Deutschen zum Bargeld (...) ist ungebrochen“, stellt Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele fest. Nur jeden vierten Einkauf tätigen die Deutschen mit Karte. Trotzdem gibt es in Deutschland einige Leuchtturm-Projekte, die zumindest in Richtung Amazon Go gehen.
Zu den Vorreitern gehört Ikea. Schon seit 2008 können Kunden ihre Ware selbst scannen und bezahlen. Zwar übernimmt der Kunde bereitwillig eine weitere Aufgabe für den Händler kostenlos, dafür kann man das Tempo selbst bestimmen. Aufgrund der erhöhten Kapazität stehen mehr Kassen zur Verfügung, was zu einer schnelleren Abwicklung führt. Wo früher zwei normale Kassen standen, ist jetzt Platz für vier SB-Kassen. Statt vier Angestellten kontrolliert und unterstützt nur noch ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin den Bezahlvorgang. „Durch die Einrichtung von Expresskassen sind bei Ikea Deutschland keine Arbeitsplätze weggefallen“, bestätigt ein Unternehmenssprecher curved.de. Im Schnitt seien in jedem Einrichtungshaus 24 Selbstbedienungskassen installiert, die „zur Ergänzung und Abfederung von hohen Kundenaufkommen zusätzlich geöffnet“ werden. Bei den Kunden kommen die Kassen gut an: Rund 40 Prozent der Kundschaft nutzen die SB-Kassen. Normale Kassen wolle man aber auch in Zukunft weiter anbieten.
Auch andere Händler folgen Ikeas Beispiel. Seit 2015 ist die Anzahl der SB-Kassen in Deutschland um 65 Prozent gestiegen. Vor allem Lebensmittelhändler setzen vermehrt auf den SB-Trend. Von 150 Märkten im Jahr 2015 waren es Ende vergangenen Jahres 350 Märkte mit insgesamt 1.450 SB-Kassen. Vergleicht man die Zahlen des EHI Retail Institutes mit den etwa 200.000 herkömmlichen Kassen in Supermärkten ist das Potenzial hoch. Wie das aussehen könnte, zeigen Zahlen aus dem Vereinigten Königreich. Hier kassieren Kunden sich bereits an über 43.000 Kassen selbst ab.
Saturn: App statt Kasse
Der Elektronik-Händler Saturn setzt deshalb in einem Pilotprojekt im österreichischen Innsbruck auf eine andere Methode: Check-out per App. Im kassenlosen Testmarkt „Saturn Express“, der im März dieses Jahres eröffnet, können Kunden sich einfach das gewünschte Produkt aus dem Regal nehmen, per App scannen und direkt bezahlen. Zusammen mit dem Zahlvorgang erfolgt die Deaktivierung der Diebstahlsicherung für das Produkt. Wem das Prinzip bekannt vorkommt: Auf die gleiche Art und Weise können Kunden in Apple Stores mit der Apple-Store-App Kopfhörer, Kabel und Co. kaufen.
Was planen andere Händler?
Um zu erfahren, wie die Kasse im deutschen Einzelhandel in Zukunft aussehen könnte, haben wir nachgefragt. Viele Händler, die uns geantwortet haben, planen Karten-Terminals mit NFC-Funktion. Ein Grund dürfte die Vorgabe von VISA sein: Bis 2020 müssen alle europäischen Händler, die VISA akzeptieren, Terminals mit NFC-Funktion bereithalten. Diese kann dann auch für andere Systeme verwendet werden. Dabei könnten Kunden einfach kontaktlos mit Debitkarten, darunter Girocard, Maestro und V Pay, Kreditkarten wie Visa und Mastercard oder mit unterstützten Apps wie Google Pay oder Apple Pay ihren Einkauf abrechnen. Einen interessanten Ansatz verfolgt zudem C&A. Zwar soll es Kassen allein wegen des Kontakts mit den Kunden auch weiterhin geben. Aber: Da der gesamte Bestand für die regelmäßige Inventarisierung mit RFID-Tags ausgestattet werden soll, wäre in Zukunft auch ein Selbst-Check-out möglich.
Anders der Warenhaus-Konkurrent Globus. In den Märkten haben Kunden schon jetzt die Möglichkeit, mit dem „Scan & Go“-System alle Artikel beim Herausnehmen aus den Regalen zu erfassen. Der Scan ist zwar ein zusätzlicher Schritt, dafür entfällt beim Verlassen des Marktes das Aus- und Einräumen an der Kasse. Durch die Anzeige des Warenkorbwerts gibt es außerdem keine Überraschungen an der Kasse. Metro plant ein ähnliches System. In der Filiale in Neuss können Gastronomie-Kunden mittels einer Smartphone-App die Ware bereits beim Beladen ihres Einkaufswagens einscannen. Nach Abschluss des Einkaufs generiert das System einen Barcode, den der Kunde an der Kasse vorzeigt. Läuft der Test erfolgreich, soll in den kommenden Monaten die Anzahl der teilnehmenden Gastronomen ausgeweitet werden. Doch selbst bei einem positiven Ergebnis wird es „zumindest in naher Zukunft weiterhin Kassenbereiche geben“, sagt Unternehmenssprecher Benedikt Hartmer von METRO Cash & Carry Deutschland.
Die Rewe-Gruppe, zu der auch Penny gehört, konnte mit Selbst-Check-out-Kassen bereits positive Erfahrungen sammeln. „Ergebnis ist, dass die Technik nicht etwa in großen Märkten ihr größtes Potenzial entwickelt, sondern in relativ kleinen Märkten in Innenstadtlagen, wo Kunden aufgrund der fußläufigen Erreichbarkeit überwiegend kleine Warenkörbe haben“, sagt Pressesprecher Andreas Krämer. Auch für Netto, das seit vergangenem Sommer den eigenständigen Check-out testet, sind solche Expresskassen eine Ergänzung, bekräftigt Peter Fobe von Netto Marken-Discount: „Seit Beginn der Pilotphase werden Expresskassen in Hamburg, Köln, Osnabrück, Regensburg, Erlangen, München, Berlin und Oberhausen getestet und von unseren Kunden dort bislang sehr positiv und dankend angenommen. […] Damit können Kunden längere Wartezeiten an den Kassen umgehen, die trotz maximaler Kassenbesetzung durch unsere Filialmitarbeiter in Stoßzeiten gegebenenfalls nie gänzlich zu vermeiden sind.“ Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Filialen gewährleisten einen reibungslosen Ablauf […]. Wir sind der Auffassung, dass dieses Ziel mit einem Kassierer-losen System derzeit nicht erfüllbar ist“, gibt Nastaran Amirhaji von Aldi Süd zu Bedenken.
Keine Kasse = kein Bargeld?
Auch wenn sich die Experimente des Handels noch auf lokale Experimente beschränken – die Zahlung mit Bargeld ist angezählt. Unter dem Titel „Digitales Bezahlen 2020“ skizziert der Bankenverband in einer Studie, dass vor allem das Smartphone immer mehr zum Portemonnaie wird. Die Voraussetzungen wie eine einheitliche Basis, Wahlfreiheit für Verbraucher und Händler beim Zahlverfahren und gleiche Voraussetzungen für bare und unbare Zahlungsdienste will der Verband aber selbst schaffen. Das bedeutet, dass die Bezahlung an der Kasse in Zukunft vor allem einfacher und vielseitiger wird.