Es herrscht Goldgräberstimmung in der San Francisco Bay Area: Nie waren US-Internet-Unternehmen wertvoller, nie schossen die Bewertungen von Startups schneller doch durch die Decke. CURVED-US-Korrespondentin Elisabeth Oberndorfer berichtet ab sofort täglich über das Epizentrum der Techbranche – das Silicon Valley.
Woran man erkennt, dass es der Wirtschaft im Silicon Valley gut geht? „Das Zeitfenster, in dem man staufrei von San Francisco nach Mountain View kommt, wird immer kleiner“, meinte kürzlich ein deutscher VC, der seit einigen Jahren hier angesiedelt ist, auf meine Frage. Damit ergänzt er eine Aussage, die ich Monate zuvor von einem Unternehmer hörte, als er den Start der Rezession 2008 beschrieb: „Es herrschte Totengräberstimmung, die Straßen waren leer. Die Büros ebenso.“
Heute ist das Bild ein anderes: IT-Spezialisten aus aller Welt zieht es ins Silicon Valley und nach San Francisco, die Immobilienpreise steigen, Tech-Konzerne lobbyieren für eine Immigrationsreform, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und spätestens seit Ende 2013 ist die Milliarde die neue Million. Keine Woche vergeht ohne Meldungen über eine Milliardenbewertung eines Startups. Die Venture Capital-Firmen auf der legendären Sand Hill Road scheinen sich mit ihren Investments übertrumpfen zu wollen. Und Jungunternehmer halten hoffnungsvoll die Hand auf.
Wie viel Tech verträgt eine Stadt?
Es herrscht Goldgräberstimmung in der San Francisco Bay Area, ohne Zweifel. Jedoch hat auch dieser Gold Rush seine Schattenseiten. Seit mehr als einem Jahr brodelt ein Klassenkampf in der Stadt, der erst vor einigen Wochen so richtig eskaliert ist. „How Much Tech Can One City Take“ - Wie viel Tech verträgt eine Stadt, beschrieb der renommierte Autor und Journalist David Talbot im Herbst 2012 den Wandel San Franciscos: Die Mieten stiegen in den vergangenen Jahren so stark an, dass ein Durchschnittseinkommen hier kaum zum Überleben reicht.
Eine Ein-Zimmer-Wohnung ist selten unter 2.000 Dollar zu bekommen. Die bisherigen Einwohner flüchten in Außenbezirke, während 21-jährige Tech-Kids mit einem Einstiegsgehalt von 100.000 Dollar im Jahr überteuerte Studios beziehen. Anfang des Jahres demonstrierte eine Aktivistengruppe für ihren Ärger und demolierte Google-Busse – die Busse, die Mitarbeiter des Suchmaschinenkonzerns von der Stadt zum Campus nach Mountain View bringen. Die Lösung der Stadtregierung: Corporate-Busse zahlen künftig Gebühr für die Nutzung öffentlicher Bushaltestellen. Die Lösung Googles: Mitarbeiter werden mit der Fähre in die South Bay runtergeschippert.
In San Francisco leben mehr Hunde als Kinder. Auf den Straßen findet man jedoch mehr menschliche Fäkalien als Hundekot (nach spätestens einem Jahr ist das Auge geschult) – das Obdachlosen-Problem ist offensichtlich. Auch Gegenden im Silicon Valley haben mit hoher Obdachlosigkeit zu kämpfen. Reichtum und Armut ist in der Bay Area oft nur einen Block entfernt. Tatsächlich hat Twitter sein Hauptquartier in einer der schlimmsten Gegenden des Stadtzentrums verlegt. Hipster-Cafés und Luxuswohnbauten folgten.
Zwischen zwei Welten
Als selbstständige Tech-Reporterin balanciere ich täglich zwischen diesen beiden Welten. Ambitionierte Startup-Typen erzählen mir von ihrer einmaligen Geschäftsidee und ihrer jüngsten Finanzierungsrunde. Bei Abend-Events lassen namhafte Unternehmen ihre Anhänger wissen, wie prächtig das Geschäft derzeit läuft. Tags darauf mache ich meine eigenen Finanzierungsrunden bei Auftraggebern, in weitaus niedrigstelligeren Beträgen. Es gibt Monate, in denen der Barista, dem ich fünf Dollar für einen Latte mit Mandelmich in die Hand drücke, garantiert besser verdient als ich. Jeder Scheck für die Monatsmiete, den ich meinen Landlords überreiche, ist ein kleiner Triumph.
„If I can make it there, I'll make it anywhere“ sang Frank Sinatra einst über New York. Im Jahr 2014 gilt das für San Francisco mehr als für jede andere Stadt in den USA (nicht zuletzt haben die Wohnungspreise bereits das Niveau von Manhattan erreicht). Damit meine ich nicht nur die Einzelkämpfer – auch „Hustler“ genannt, die sich mit ihren MacBooks in Coffeeshops verschanzen und auf den nächsten Auftrag hoffen. Auch die jungen motivierten Startup-Kids, die mit ihren Freunden hierher reisen, um ein Netzwerk aufzubauen und Geld für das Next Big Thing auftreiben wollen. Und der Rest der Bevölkerung, der dieses Ökosystem erhält und die Bay Area zu einem der besten Plätze der Welt macht.
So schwierig das Leben hier ist, so einfach kann es auch sein. Nirgendwo anders sind die Menschen offener, hören sich deine Ideen an und geben dir Tipps, sie auch umzusetzen. Wer offen dafür ist, stolpert von einem Abenteuer ins nächste. „Serendipity“ heißt das Zauberwort im Silicon Valley. Wo sonst trifft man Kindheitsfreunde nach 20 Jahren zufällig auf der Straße, und feiert am nächsten Abend mit Sheryl Sandberg Weihnachten? Silicon Valley ist voll von Glamour, aber verpixelt. Und das Gesamtbild erhält jeden Tag ein Redesign.