Ist es nun eine gigantische Smartwatch oder doch ein winziges Smartphone, das man am Handgelenk trägt? Samsungs Gear S möchte gerne beides sein, aber scheitert an der ambitionierten Idee.
Schon auf der IFA bekamen wir die Gelegenheit, kurz mit der Gear S von Samsung herumzuspielen. Damals hatten wir Euch demonstriert, was man mit der Samsungs Gear S ist endlich verfügbar und kann für stolze 399 Euro erworben werden. Was? Fast 400 Euro für eine Smartwatch? Ja, aber diese Smartwatch ist eigentlich ein Smartphone, das Ihr an eurem Handgelenk tragt.
Design und Verarbeitung: Gigantisch groß
Die Samsung Gear S zählt nicht zu den unauffälligen Smartwatches, wie es zum Beispiel die Sonys Smartwatch 3, und gegen ein dezentere Version austauschen. Aktuell gibt es noch eine schwarze Variante, aber es ist zu erwarten, dass Samsung noch weitere Farben nachschieben wird. Natürlich lässt sich das Armband großzügig verstellen, denn schließlich folgt es dem Motto "one size fits all". Der Verschluss aus Metall wirkt edel und robust, wird aber im Alltagseinsatz noch zu typischen Armbanduhr-Problemen führen.
Durch die schiere Größe wirkt es eher, als würde man ein geschrumpftes Smartphone am Handgelenk tragen. Der Samsung-typische Home-Button unterhalb des Displays verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich. Bei genauem Hinschauen sind neben dem Home-Button noch zwei Sensoren zu erkennen. Der eine wird zur Steuerung der Displayhelligkeit verwendet, während der zweite die aktuelle UV-Belastung misst, ähnlich wie beim Microsoft Band. In unseren Breitengraden wird dieser Sensor sicher nicht häufig verwendet werden.
Technik: Smartphone im Smartwatch-Pelz
Samsung hat in das Gehäuse der Gear S nicht nur ein 2-Zoll-AMOLED-Display implantiert, sondern ihr auch noch reichhaltige Ausstattung angedeihen lassen, die auch einem Smartphone gut zu Gesicht stünde. Ein 1-GHz-Dual-Core-Prozessor mit 512 MB RAM soll dafür sorgen, dass alles flüssig auf dem Display angezeigt wird. Ähnlich wie bei anderen Android-Wear-Smartwatches aktueller Bauart gibt es dann noch 4 GB Speicher, die Ihr auch für Musik nutzen könnt. Zusätzlich zum UV-Sensor kommen dann noch Bewegungs- und Beschleunigungssensoren, ein optischer Pulsmesser und auch GPS. Da die Gear S auch ohne ständige Verbindung zum Smartphone smart bleiben soll, wurde noch ein 3G-Modul, WLAN b/g/n und auch Bluetooth 4.1 eingepackt. All das hat Samsung in ein Gehäuse (58 x 40 x 12.5) gequetscht, das von den Abmessungen fast einem original Zippo-Feuerzeug (57,4 x 38,6 x 13,2) entspricht. Ohne Armband ist die Gear S dann auch nur 65 Gramm schwer.
Display: Konkurrenzlos gut
Das 2 Zoll große Display der Gear S ist natürlich das Sahnestück. Mit einer Auflösung von 480 x 360 schlägt die Samsung-Smartwatch alles andere, was am Wearable-Markt zu finden ist. Auch bei der Pixeldichte ist die Gear S spitze: 300 ppi sind 20 Prozent mehr, als etwa die LG G Watch R zu bieten hat. Die Anzeige bleibt auch aus seitlichen Blickwinkeln stabil und Farben wirken AMOLED-typisch knackig und sehr lebendig.
Software: nix mit Android Wear
Wie auch schon bei den Gear 2 und Gear 2 Neo nutzt Samsung Tizen als Betriebssystem für die Smartwatch. Das müssen die Koreaner auch, da Googles Android Wear es nicht vorsieht, ein GSM-Modul in einer Smartwatch zu verbauen. Um dieses auch wirklich nutzen zu können, sind neben einem Mikrofon auch noch ein Lautsprecher verbaut worden, mit denen ihr die Gear S komplett als Telefon nutzen könnt.
Tizen als Betriebssystem zu verwenden hat den Nachteil, dass nicht die große Auswahl an Apps vorhanden ist, wie Ihr sie bei Googles Android Wear vorfindet. Zusätzlich schottet Samsung die Gear S damit von Smartphones anderer Hersteller ab. Das macht sich sogar schon nach dem Auspacken und der Einrichtung bemerkbar: Die Gear-App gibt es nur für Samsung-Smartphones und sie lässt sich folglich nur auf solchen installieren. Auch der Zugriff auf den App Store für die Gear S ist nur Samsung-Smartphones vorbehalten und lässt sich nur mit der Gear-App verwalten und einstellen. Schade eigentlich, dass Samsung nicht eine solch offene Politik betreibt wie Microsoft mit seinem Band. Denn die Redmonder stellen für ihren eigenen Zwitter aus Smartwatch und Fitness-Tracker Apps für iOS, Android und natürlich Windows Phone zur Verfügung. Es wäre wünschenswert, wenn Samsung sich hier mal ein Vorbild an Microsoft nehmen würde.
Wenn Ihr aber ein Samsung-Smartphone habt und somit auch die Gear S einrichten und verwalten könnt, dann habt Ihr Zugriff auf zahlreiche Apps, die aber größtenteils kostenpflichtig sind. Die günstigsten Apps fangen bei knapp 80 Cent an und gehen locker auf 4 Euro hoch. Von kleinen Spielen über Browser bis hin zur Kamera-Remote-App gibt es feine, kleine Anwendungen für die Gear S.
Praxistest: Nicht perfekt
Auch wenn das Display der Gear S mit 2 Zoll für eine Smartwatch gigantisch ist, so ist diese doch nicht geeignet, um auf dem Display SMS oder gar lange E-Mails zu schreiben. Viel zu klein ist die Bildschirmtastatur und Vertipper sind eher die Regel als die Ausnahme. Zwar könnt Ihr Euch behelfen und Texte diktieren – aber wollt Ihr wirklich in aller Öffentlichkeit durch die Gegend laufen und Eure geschäftlichen E-Mails einsprechen und dann im Nachgang Korrekturlesen? Da zücke ich für SMS und E-Mails doch lieber mein Smartphone und tippe darauf.
Dank des GSM-Moduls kann nach der Einrichtung fast komplett auf das Smartphone verzichtet werden. Telefonieren mit der Gear S funktioniert gut und Samsung hat auch daran gedacht, dass es beim Telefonieren vielleicht doch mal einer intimeren Atmosphäre bedarf: Für solche Gespräche könnt Ihr ein Headset per Bluetooth direkt mit der Gear S koppeln und so ohne lästige Zuhörer telefonieren.
Die Eigenständigkeit der Gear S ist Segen und Fluch zugleich. Es ist zwar möglich, bei eingeschaltetem GSM-Modul zu telefonieren, SMS zu verschicken, E-Mails zu schreiben und auch über den Opera-Browser das Internet zu durchforsten. Aber alle anderen Nachrichten von Twitter, Facebook oder auch WhatsApp werden nur als Benachrichtigung auf die Gear S transportiert, wenn diese auch mit dem Samsung Smartphone gekoppelt ist.
Akkulaufzeit: Erstaunlich gut
Die Vielfalt an Sensoren und die Verbindungsmöglichkeiten erhöhen gemeinsam mit dem großen AMOLED-Display natürlich den Stormverbrauch der Gear S. Bildet die Smartwatch nur per Bluetooth ein Gespann mit einem Samsung-Smartphone, dann hält sie locker anderthalb bis zwei Tage durch. Schaltet Ihr aber GPS- und GSM-Modul an, dann sinkt die Laufzeit der Gear S drastisch und es ist nur noch knapp ein Arbeitstag mit dem 300-mAh-Akku drin. Samsung ist aber pfiffig und spendiert der Ladeschale einen zusätzlichen Akku mit 350 mAh Kapazität, sodass Ihr für alle Fälle immer einen zweiten Akku bei Euch tragen könnt, um die Gear S unterwegs aufzuladen. Ist aber der Zusatzakku an der Gear S, dann ist es unmöglich, die Smartwatch am Handgelenk zutragen – es sei denn, Ihr habt wirklich sehr dünne Arme.
Fazit:
Bei der sechsten Smartwatch aus dem Hause Samsung scheint der alte Spruch "size matters" das Motto gewesen zu sein, denn die Gear S ist groß, so richtig groß. An zarten Handgelenken wirkt sie absolut deplatziert. Aber das ist nun mal so, wenn ein 2 Zoll großes Display verbaut wird. Dafür entschädigt dieses mit einer erstklassigen Darstellung.
Der größte Vorteil, den die Gear S gegenüber der Konkurrenz mit Android Wear hat, ist der SIM-Karten-Slot. Dieser verleiht der Gear S Smartphone-Fähigkeiten und bietet ihren Trägern die Möglichkeit, auch ohne Smartphone zu telefonieren oder das Internet zu durchforsten. Ist ein WLAN-Hotspot in der Nähe, könnt Ihr auch per WLAN Daten empfangen. Ärgerlich ist nur, dass zwar das Schreiben und Versenden von E-Mails möglich ist, deren Empfang und auch anderweitige Benachrichtigungen nur im Zusammenspiel mit einem Samsung-Smartphone funktionieren. Das größte Manko ist und bleibt aber, dass die Gear S ohne Samsung-Smartphone einfach nicht funktioniert. Schade, denn ohne diese Limitierung würde Samsung sicher mehr Abnehmer für seine Gear S erwarten können. Microsoft hat es mit der Band vorgemacht und es für alle drei mobilen Betriebssysteme geöffnet – und das Wearable wird ihnen geradezu aus den Händen gerissen.