Wie ich lernte, mein Smartphone wieder zu lieben

19
(© 2014 Facebook, CURVED Montage )

Achtung: Mit diesen Tipps klappt es mit der Facebook-Diät. Nummer sechs wird Euch umhauen. Oder noch besser: Was dieser Mann mit seinem Smartphone anstellt, verändert Euer Leben. 

Facebook auf dem Smartphone (© )

Schrecklich, oder? Lock-Überschriften wie diese nehmen überhand in meiner Facebook-Timeline. Alles ist wichtig und toll, aber besonders natürlich Nummer sechs (oder jede andere beliebige Zahl). Ich weiß ja nicht wie es Euch geht, aber meine Aufmerksamkeitsspanne wird durch solche Meldungen stark strapaziert. Was ist nur aus dem guten alten Internet geworden. Ständig versprechen irgendwelche Seiten das Blaue vom Himmel. Dabei sind sie nur Teil der Info-Hölle. Facebook ist zum Listenverwalter mutiert – und kann noch nicht einmal etwas dafür. Die Posts müssen halt knallen, damit man sie bei der Flut an Meldungen überhaupt noch wahrnimmt. Hätte ich doch bloß nicht bei so vielen Angeboten "Gefällt mir" angeklickt.

Aber mein Sichtfeld auf dem kleinen Smartphone-Screen wird nicht dadurch getrübt, schließlich konkurriert jeder Facebook-Freund nicht nur mit Postings von diesen gelikten Seiten, sondern zudem mit den Mitteilungen anderer Apps auf meinem Smartphone. Da wartet eine Quiz-Einladung auf Antwort, oder eine Aufgabe blinkt – nicht zu vergessen die ganzen E-Mails, die wenigstens überflogen werden wollen.

Unübersichtliche Messenger-Parade

Und es geht noch schlimmer: Fast jeden Tag hat einer meiner Kontakte eine neue Messenger-App installiert. Die ist dann so toll und einzigartig, dass er oder sie diese jetzt nur noch nutzen möchte. Also kein Whatsapp mehr, Facebook schon gar nicht, sondern Viber, Telegram, Threema, Line, SIMSme und wie sie alle heißen. Wenn ich Glück habe, haben dann mehrere Freunde diese eine Wahnsinns-App installiert, aber häufig ist die Nutzung eine sehr einsame Angelegenheit.

Ich mag nicht mehr. Ständig vibriert mein iPhone, kleine Zahlen an den App-Icons verraten mir, wie viele ungelesene Nachrichten auf mich warten. Alle wollen was von mir. Und natürlich gucke ich immer wieder auf den Screen, denn ich bin ja inzwischen so konditioniert. Ich könnte ja etwas verpassen. Ich hechle nur noch hinterher und konsumiere. Es bleibt keine Zeit, wirklich intensiv über das Gesehene nachzudenken, denn schwups: Da ist schon die nächste Nachricht, die ich auf keinen Fall verpassen darf, weil sie ja mein Leben verändern könnte.

Es ist gar nicht so lange her, da war es ganz furchtbar, wenn man geschäftliche und private Kontakte vermischte. Man sprach von der Blackberry-Gesellschaft: immer und jederzeit erreichbar, der Feierabend eine Illusion. Doch inzwischen ist es bei mir genauso und mein Smartphone viel mehr als nur ein Kontakthof – es ist Werbetafel, Zeitungskiosk, Mediathek und Supermarkt. Ich bin  selbst schuld. Viel zu lange habe ich mich zur Nutzung aller möglichen Apps verleiten lassen, habe meine persönlichen Daten mit Services geteilt, von denen ich nichts weiter wusste als den Namen.

Bekanntes Muster

Digitales Verhalten lässt sich sehr gut mit Ernährung vergleichen. Oft konsumieren wir Nahrungsmittel, deren Ursprung wir gar nicht kennen. Und selbst wenn wir eigentlich wissen, dass das Fleisch aus dem Supermarktregal nicht wirklich das Beste ist, kaufen wir dennoch irgendwo eine billige Bratwurst. Seit ein paar Jahren versuche ich, mehr auf meine Essgewohnheiten zu achten. Ich koche viel selbst und fast ausschließlich mit frischen Lebensmitteln. Ob vegan oder vegetarisch, ob ohne Getreide und Zucker: Ich habe schon viel ausprobiert, neue Rezepte entwickelt. Dabei habe ich nicht nur meinen Geschmackshorizont erweitert, vor allem habe ich mich mehr mit meinen Gewohnheiten beschäftigt.

Facebook hat mir dabei sehr geholfen, denn natürlich beschreite ich keine neuen Wege: Unzählige Seiten beschäftigen sich mit nichts anderem als dem richtigen Essen. Ein paar davon habe ich abonniert – ein Quell an fantastischen neuen Rezepten. Deshalb möchte ich darauf auch künftig nicht verzichten. Also ich möchte mich nicht bei Facebook abmelden, nur um mich kurz danach wieder dort zu registrieren – der digitale Jo-Jo-Effekt.

Die Dosierung soll sich allerdings ändern. Ich möchte keine Fastentkur, sondern eine Umstellung. Gesünder mit digitalen Informationen umgehen, meinem Kopf auch mal Ruhe gönnen. Aber beim Ändern von Gewohnheiten ist der erste Schritt immer der schwerste. Wie verzichtet man nun auf Dinge, die einem eigentlich ganz gut schmecken? Also auf den täglichen Griff zur Schokolade und den minütlichen Blick auf das Handydisplay? Als erstes muss ich mir klarmachen, dass Verzicht keine Strafe ist.

Wo, was, wann?

Jede Diät braucht ein bisschen Vorbereitung. Beim Essen mache ich mir einen Plan, suche Rezepte und kaufe entsprechend ein. Und beim digitalen Abspecken gilt dasselbe. Zuerst überdenke ich das eigenen Verhalten. Wann greife ich zum Smartphone? Muss ich wirklich aus einem Glücksgefühl heraus aller Welt mitteilen, dass ich gerade in diesem Moment am Strand, in einem Konzert oder einem guten Restaurant bin? Und wenn mir der Ort so gut gefällt: Warum genieße ich ihn nicht einfach still? Bin ich wirklich mit jedem meiner Kontakte permanent in Kontakt?  Und vor allem: Wann lese ich Postings, schreibe Freunden – oder nutze das Netz beruflich? Ich bin bei so vielen Services mit immer wieder denselben Personen vernetzt – so als hätte ich von jedem Kontakt gleich mehrere Visitenkarten immer dabei. Was für ein Blödsinn! Also muss auch hier die Trennlinie wieder klarer werden. Dafür lege ich fest, mit wem ich auf welchem Kanal kommuniziere.

Und plötzlich kann ich auf viele Apps verzichten, ohne dass ich sie jemals vermissen werde. Und wenn ich mich dafür entscheide, Facebook nur noch privat zu nutzen, kann ich das auch komplett nach Feierabend am Computer machen. Facebook macht mir den Abschied von der regulären App sehr leicht: "Paper" Facebook-Beiträge wie in einem Magazin an.

Kompromisse und Alternativen

Natürlich muss ich Kompromisse machen. Da nicht mein ganzer Freundeskreis Facebook nutzt, muss ich Alternativen bieten. Aber es müssen gar nicht mehr so viele sein. SMS schreibt zwar keiner mehr, aber löschen lässt sich der Dienst nicht. Was habe ich noch installiert? Whatsapp bleibt ebenfalls auf dem Smartphone. Und Skype, weil ich es beruflich nutze. Doch bevor ich Viber & Co. vom iPhone lösche, deaktiviere ich die Konten in den Einstellungen – und hoffe, dass die Dienste so meine Daten löschen. Ich habe auch ein Profil bei Linkedin – aber ich habe noch nie ein Jobangebot darüber bekommen. Also runter damit. "Line" finde ich eigentlich toll, denn der Dienst funktioniert sowohl per Smartphone als auch am Computer. Aber erstens nutzen nur zwei meiner Kontakte "Line" und zweitens erfüllt meine Kombi iPhone/Macbook den selben Zweck. So landet eine App nach der anderen im digitalen Nirwana.

Sicher, das Aufräumen sorgt noch nicht dafür, dass ich weniger aufs Smartphone schaue. Aber es ist der erste Schritt. So wie man alle Nahrungsmittel, die einen immer wieder in Versuchung führen, aus dem Vorratsschrank entfernt. Aber schwieriger als das Löschen ist es, am Ball zu bleiben. Sich selbst umzuprogrammieren – und auch das Smartphone. So lässt sich in den Einstellungen festlegen, wann man welche Nachrichten empfangen möchte, damit man nicht mitten in der Nacht von einer SMS oder einem Tweet geweckt wird. Beim iPhone heißt diese Funktion "Nicht stören". Der Clou: Ich verpasse tatsächlich gar nicht so viel. Freunde erreichen mich dennoch.

Selber denken macht schlau

Werde ich ein besserer Mensch durch diese Diät? Natürlich nicht. Aber es sorgt für weniger Stress, wenn ich nicht auf jeder digitalen Hochzeit tanze und für ein bisschen Aufmerksamkeit durch alle Kanäle zappe. Das Smartphone soll wieder zur Fernbedienung meines digitalen Lifestyles werden – und nicht mich fernsteuern. Ich möchte mich nicht mehr durch Informationen hetzen und kaum die Zeit haben, darüber nachzudenken. Ich will  mein Hirn zurück. Vielleicht hilft mir die digitale Diät dabei. Meine Hoffnung ist, dass ich dadurch mein Smartphone dann privat wieder bewusster nutze, mich über dessen Möglichkeiten freue – und ich es so auch wieder zu lieben lerne.

Wie findet ihr das? Stimmt ab!