Wie Steve Jobs Apples iPad erfand...

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(© 2014 CC: Flickr/shio )

Fast fünf Jahre ist es schon her, als Steve Jobs der Weltöffentlichkeit seinen letzten Geniestreich präsentierte: das iPad. Die Geschichte des Apple-Tablets, das tatsächlich so alt ist wie das iPhone...

Das neue Jahrzehnt begann mit einem Knalleffekt: Steve Jobs hatte Ende Januar zu einer Keynote geladen, die außer der Reihe stattfand. Würde Apple nach einer Dekade der denkwürdigen Innovationen das nächste Ass aus dem Ärmel schütteln? Der letzte große Trumpf,  das iPhone, war schließlich erst zweieinhalb Jahre auf dem Markt und war weit davon entfernt, an Wachstumsgrenzen zu stoßen.

Doch wie einige Jahre zuvor beim iPod entwickelte sich für Apple ein Luxusproblem: Die Abhängigkeit vom neuen Kassenschlager wuchs von Quartal zu Quartal – das iPhone nahm einen immer größeren Platz in der Konzernbilanz ein. Die Hälfte der Umsätze und Gewinne wurden bald vom neuen Kultsmartphone bestritten. In einer Branche, die so schnelllebig war wie die Mobilfunkindustrie, drohte Apple seine Zukunft auf die nächsten Generationen seines Smartphone-Bestsellers zu verwetten.

Das iPad war genauso lange in der Produktion wie das iPhone

Wieder einmal war eine Diversifizierung des Produktportfolios nötig. Doch tatsächlich musste Steve Jobs nicht lange nach einem ebenbürtigen Ersatz fahnden – das nächste große Ding war bemerkenswerterweise genauso lange in der Konstruktionspipeline wie das iPhone selbst. Seit 2005 liefen bei Apple die Maschinen unter Volllast in der Entwicklung des iPhones. Zurückgestellt wurde dafür ein anderes Projekt, das zeitgleich begonnen hatte – die Arbeit an einem Tablet, dem Jobs jahrelang öffentlich eine Absage erteilt hatte.

Dabei war die Idee nicht neu: Das neue Millennium wurde 2000 von Microsoft stilecht mit dem vermeintlichen Computer der Zukunft eingeläutet – dem sogenannten Tablet-PC von Microsoft, der auf dem Betriebssystem Windows XP basierte und mit einem Stift bedient werden musste; Lenovo und Fujitsu produzierten die ersten Versionen. Doch wie Apple es bereits mit der Einführung des Newtons erfahren hatte, war Timing alles.

"Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", lautet ein viel zitiertes Bonmot des französischen Schriftstellers Victor Hugo, das wohl in keine Branche so gut passt wie die Hightech-Industrie. Wie Apple mit seinem PDA in den frühen 90er-Jahren kam auch Microsoft zu Beginn des neuen Jahrtausends mit seinem Tablet zu früh. "Unsere Tablets waren nicht dünn genug, sie waren einfach nicht so attraktiv", sollte Microsoft-Gründer Bill Gates später in der Rückschau zugeben.

Apples Tablet-Pläne: Durchbruch mit dem Touchscreen

Steve Jobs beobachtete die Entwicklung aus der Distanz, war Apple doch gerade selbst erst mit dem Ausbau des zweiten Standbeins, der immer stärker boomenden iPod-Sparte, beschäftigt. Intern jedoch probierten sich Apples Entwickler an immer neuen Projekten aus, von denen sich auf Sicht von Jahren allerdings immer nur eine Idee durchsetzen würde. Der Tablet-Bereich stach darunter fast folgerichtig hervor, weil er eine Alternative zu den hochpreisigen Macs darstellte und von Jobs als Markt der Zukunft angesehen wurde.

Doch der Apple-Chef hatte wieder einmal eine Vision, die sich von den Marktgepflogenheiten so fundamental unterschied. Der Minimalist Jobs hasste die Bedienung per physischer Tastatur, mit der die Tablet-PCs von Microsoft zu bedienen waren. Jobs schwebte eine Bedienung direkt am Bildschirm vor – per Touchscreen. Anfang 2005 erhielten Tablet-Pläne neue Nahrung, als mit dem Start-up FingerWorks in aller Heimlichkeit ein Anbieter von Multi-Touch-Trackspads übernommen wurde. Die gestische Bedienung am Display war plötzlich Realität.

iPhone wurde dem iPad in der Entwicklung zunächst vorgezogen

Jobs erkannte das ungeheure Potenzial und gab zur Verwendung der Multi-Touch-Technologie doch einem anderen Team den Vorzug, das auf einen größeren Markt abzielte: die sagenumwobene Unit P2, die am Smartphone arbeitete. So wurde das iPhone dem iPad als strategisch wichtiger vorgezogen, obwohl an beiden Geräten in den Grundzügen in etwa zum gleichen Zeitpunkt entwickelt wurde.

Der durchschlagende Erfolg des iPhones bereitete so maßgeblich den Weg für einen Tablet-Mac, der wie eine logische Ergänzung zu Apples knapp vier Zoll großem Kultsmartphone aussah. Der äußere Unterschied zum iPhone schien lediglich in der Größe zu liegen: Das Tablet erschien vielen Beobachtern als großer iPod touch bzw. großes iPhone ohne Telefoniefunktion, weshalb die Resonanz auf  die Präsentation im Januar 2010 zunächst etwas verhalten ausfiel.

Wirbel vor iPad-Enthüllung:  "Das letzte Mal, als es so viel Aufregung um eine Tafel gab, standen darauf Gebote geschrieben"

Dabei zählte die Veranstaltung, zu der Apple mit den Worten "Kommt und seht Euch unsere neuste Kreation an" eingeladen hatte, ebenfalls zu den denkwürdigsten der Firmenhistorie. "Das letzte Mal, als es so viel Aufregung um eine Tafel gab, standen darauf Gebote geschrieben", brachte das Wall Street Journal die überbordende Erwartungshaltung auf den Punkt.

Jobs eröffnete die Keynote mit diesem Zitat als Witz, doch er suchte tatsächlich
nach einem historischen Vergleich, mit dem er für das "wirklich magische und revolutionäre Produkt" den Weg bereiten sollte. Und er läutete nicht weniger als die "Post-PC-Ära" ein: Dies war ein neues Jahrzehnt, PCs waren so Nullerjahre. Und Netbooks? Die waren erst recht nicht die Antwort auf die Nutzerbedürfnisse. "Die sind in nichts besser. Es sind einfach nur billige Laptops", zerlegte Jobs in einem seiner charakteristischen Trashtalk-Momente genüsslich die Hardware-Konkurrenz.

iPad als dritte Kategorie zwischen Smartphone und Laptop

Doch die Frage stand immer noch im Raum: Wofür brauchte man nun wirklich ein Apple-Tablet, wenn es einerseits das iPhone und andererseits so fortschrittliche Laptops wie das ultradünne MacBook Air gab? "Gibt es Raum für eine dritte Kategorie zwischen Computer und Smartphone ?" hob Jobs bedeutsam an, um sich selbst die Antwort zu geben: "Wir glauben, wir haben eine Antwort gefunden. Wir nennen es iPad."

Die Daseinsberechtigung des iPads, das in der günstigsten Version mit 16 GB Festplatte und Wifi-Verbindung schon für 499 Dollar zu haben war, definierte Jobs darüber, dass das Apple-Tablet einige Kernanwendungen besser ermöglichen kann als ein Smartphone und Computer – Jobs zählte dazu das Browsen im Internet, Emails schreiben, Fotos und Videos ansehen, Musik hören, Spiele spielen oder eBooks lesen.

"Es ist, als würde man das Internet in seinen Händen halten" – Steve Jobs über das iPad

Das iPad musste in diesen Anwendungen besser sein als ein MacBook oder iPhone – es war letztlich ein eher passives Gerät, mehr für die Konsumierung von Inhalten als für die Kreation ausgerichtet. Man konnte mit dem iPad natürlich auch Texte schreiben und Dokumente bearbeiten, doch die eigentliche Magie erschloss sich in der Unmittelbarkeit. Das galt vor allem in der Nutzung des Internets: "Es ist, als würde man das Internet in seinen Händen halten. Es ist phänomenal, eine Internetseite direkt vor einem zu sehen und sie mit dem Finger beeinflussen zu können", erklärte Jobs in Anspielung auf die vom iPhone bekannte Multi-Touch-Technik. "Es ist eine wirklich erstaunliche Erfahrung."

Als das iPad vor dem Osterwochenende Anfang April in den USA ausgeliefert wurde, war die öffentliche Stimmung wieder in den Begeisterungsmodus geschwenkt. Der britische Entertainment-Tausendsassa Stephen Fry huldigte im Apple-Sprech im Guardian: "Man will es nie, nie, nie wieder weglegen, sich nicht mehr davon trennen wollen. Es wird zum Teil des eigenen Lebens. Das iPad wird alles verändern."

Und das galt nicht zuletzt für die Branchen, auf die Apples Tablet abzielte. Natürlich war das iPad nicht nur schickes Multimedia-Gadget – Der Spiegel taufte es auf den eigentümlichen Namen "Wunderflunder" –, sondern auch ein Lesegerät und griff den Jahre zuvor von Amazon vorgestellten E-Reader Kindle an. Auch Apple verkaufte über seinen neu gestarteten iBooks Store künftig Bücher wie der weltgrößte Online-Buchversender.

Verlagsbranche zunächst euphorisch: "Mit dem iPad beginnt eine neue Ära"

Die darbende Verlagsbranche, deren drastische Rückgänge im Printsegment längst nicht durch das Onlinegeschäft aufgefangen wurden, knüpfte unterdessen große Hoffnungen an Apples neues Wundergadget. "Mit dem iPad beginnt eine neue Ära", gab sich etwa  Axel Springers Konzernchef Mathias Döpfner extrem zuversichtlich. "Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet", erklärte Döpfner allen Ernstes in der Talkshow "Charlie Rose" im US-Fernsehen.

Doch wie schon beim Start des iPods und iTunes Music Stores sollte der Gerätehersteller Apple weitaus mehr profitieren als die Inhalteanbieter, die über iTunes und iBooks neue Vertriebskanäle erhielten, über die sie ihre iPad-optimierten Magazine in multimedialer Hochglanzoptik feilboten. Medienmogul und Jobs-Freund Rupert Murdoch versuchte sich auf dem iPad etwa mit The Daily an der vermeintlichen Zeitung der Zukunft, stellte seine Bemühungen nach rund einem Jahr aber wieder ein.

Sofortiger Kassenschlager

Das iPad indes entwickelte sich zum sofortigen Kassenschlager. 300.000 Stück gingen am ersten Verkaufstag über die Ladentische. Die Eine-Million-Marke fiel nach exakt einem Monat – und damit mehr als doppelt so schnell wie beim iPhone. Im ersten Verkaufsquartal setzte Apple gleich 3,27 Millionen Stück ab und sicherte sich sofort den Spitzenplatz im Tablet-Segment mit monopolartigen 95 Prozent im dritten Kalenderquartal 2010.

Das Wachstum setzte sich schnurgerade bis Weihnachten fort. Binnen einem Jahr wurden 15 Millionen Exemplare der ersten iPad-Generation abgesetzt. Für diese Marke hatte das iPhone zuvor drei Quartale länger benötigt. Tatsächlich sollte das iPad die 100 Millionen-Grenze bereits im Oktober 2012 nach nur zehn Quartalen durchbrechen – schneller als jedes andere Gerät in der Geschichte der Verbraucherelektronik.  Wenige Quartal später jedoch Apples Problemsparte geworden ist, lest Ihr morgen...

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch „Das Apple-Imperium“, das CURVED-Chefredakteur Nils Jacobsen im Januar bei Springer Gabler über die Zukunft des iKonzerns veröffentlicht hat. Nils zeichnet darin den Weg zum wertvollsten Konzern aller Zeiten nach, geht der Frage nach, ob Apple seinen Zenit überschritten hat und wie die Zukunft des iPhone-Herstellers im Jahr 2020 aussehen könnte. 

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