Von wegen Abmahnwelle: Worum es im WhatsApp-Urteil eigentlich geht

WhatsApp-Logo auf Homescreen.
LG G6 (© 2017 CURVED )

Medien und Nutzer diskutieren über ein WhatsApp-Urteil. Die Angst vor der Abmahnwelle, sie ist wieder da. Doch das ist die falsche Debatte. Immerhin: Der Wirbel hat auch etwas Gutes.

Länger war es still geworden um den grünen Messenger. Zumindest von Seiten der Justiz. Nach dem Verbot, Daten mit der Konzernmutter Facebook auszutauschen, machte WhatsApp zuletzt in erster Linie durch neue Features von sich reden. Doch nun entschied das Amtsgericht von Bad Hersfeld, dass es nicht erlaubt ist, andere Personen ohne deren Erlaubnis in die eigene WhatsApp-Kontaktliste einzutragen. In den Social Networks ist die Aufregung groß. Denn theoretisch machen sich WhatsApp-Nutzer, zumindest in Deutschland, strafbar.

"...begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung"

Kurioserweise wurde die Entscheidung nicht etwa durch Datenschützer vorangetrieben, sondern ist das Ergebnis eines Sorgerechtsstreites. So ging es in dem familienrechtlichen Verfahren (F 120/17 EASO) um die Smartphone-Nutzung eines elfjährigen Kindes. Zwischen den getrennt lebenden Elternteilen war ein Streit darüber entbrannt, wie häufig das Kind sein Smartphone nutzen darf. Der Kleine soll sich mitunter um 4.30 Uhr in der Nacht den Wecker gestellt haben, um mit seinem Smartphone zu spielen.

Das Gericht erteilte in seinem Urteil der Mutter diverse Auflagen. Es verlangt von der Mutter unter anderem, "mit ihrem Sohn E. eine schriftliche Medien-Nutzungsvereinbarung ... zu schließen ... “. Anlass für die neu entflammte Diskussion um die Datenweitergabe-Praktiken von WhatsApp ist aber folgender Leitsatz aus dem Urteil der Richter:

"Wer den Messenger-Dienst 'WhatsApp' nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. Wer durch seine Nutzung von 'WhatsApp' diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betroffenen Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden."

Ein Urteil mit Signalwirkung

Heißt: Weil WhatsApp wiederum die Adressbücher seiner Nutzer stetig mit seinen Servern synchronisiert....machen wir uns alle strafbar?! Und sind wir dann alle abmahngefährdet? Das sagt Deutschlands bekanntester IT-Anwalt Christian Solmecke dazu:

"Das Urteil ändert rechtlich erst einmal nichts daran, da es sich um eine familienrechtliche Streitigkeit vor einem Amtsgericht handelt, die andere Gerichte nicht bindet. Allerdings hat das Urteil Signalwirkung, gerade weil es nun medial bekannt wird. Viele Menschen werden jetzt erst auf die seit Jahren gängige Praxis des Unternehmens aufmerksam.

In der Praxis wären private Abmahnungen aber in den meisten Fällen widersinnig. Zum einen möchten sicherlich wenige ihre Freunde und Bekannten abmahnen. Weiterhin würde man sich als WhatsApp-Nutzer selbst in die Gefahr begeben, wiederum von dem anderen Nutzer abgemahnt zu werden. Und die wenigen, die WhatsApp nicht selbst nutzen, wissen im Zweifel nicht, dass ihre Freunde und Bekannte ihre Telefonnummern nach Kalifornien übermitteln. Und selbst wenn sie nun – nach diesem medial bekannt gewordenen Urteil – überlegen, jemanden abzumahnen, dann wäre ein solches Vorgehen nicht zielführend und ineffektiv. Denn man müsste ja gegen jede einzelne Person vorgehen, der man jemals seine Nummer gegeben hat, ohne zu wissen, ob sie WhatsApp nutzt."

Anders formuliert: Wo (auf privater Ebene) kein Kläger, da kein Richter.

Allerdings hat dieses Urteil Signalwirkung. Und könnte somit weitere Klagen von Datenschützer und Verbraucherschützer nach sich ziehen, die sich nicht gegen die Nutzer, sondern den Betreiber richten.

Eltern, Ihr seid in der Pflicht!

Menschen befassen sich wieder damit, welche Daten ihre liebsten Apps an Servern in Kalifornien und anderswo weiterleiten. All das ist gut und richtig. Allerdings geht in dem medialen Wirbel unter, worum es eigentlich bei diesem Urteil geht: die Verantwortung von Eltern ihren Kindern gegenüber, deren Medien- und Techniknutzung kompetent zu begleiten. Denn abgesehen von einer Medien-Nutzungsvereinbarung zwischen Mutter und Kind fordert das Gericht noch Folgendes:

  • Überlassen Eltern ihrem minderjährigen Kind ein digitales 'smartes' Gerät (z.B. Smartphone) zur dauernden eigenen Nutzung, so stehen sie in der Pflicht, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.
  • Verfügen die Eltern selbst bislang nicht über hinreichende Kenntnisse von 'smarter' Technik und über die Welt der digitalen Medien, so haben sie sich die erforderlichen Kenntnisse unmittelbar und kontinuierlich anzueignen, um ihre Pflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfüllen zu können.
  • Es bestehen keine vernünftigen Gründe, einem Kind ein Smartphone auch noch während der vorgesehenen Schlafenszeit zu überlassen.
  • Nutzen Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren den Messenger-Dienst "WhatsApp", trifft die Eltern als Sorgeberechtigte die Pflicht, ihr Kind auch im Hinblick auf diese Gefahr bei der Nutzung des Messenger-Dienstes aufzuklären und die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne ihres Kindes zu treffen.

Kurzum: Eltern sind in der Pflicht, sich Wissen über die Technik und Dienste anzueignen, die ihr Nachwuchs nutzen. Offenbar brauchte es ein Amtsgericht, um festzuhalten, dass Medien-Erziehung nicht bei der Auswahl der Fernsehprogramms aufhört im Jahr 2017.

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