"Far Cry New Dawn" im Test für PS4: Endlich wieder Endzeit!

Screenshot aus "Far Cry New Dawn"
Far Cry New Dawn (© 2019 Ubisoft Montréal/ Ubisoft )
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Es ist noch nicht ganz ein Jahr her, dass "Far Cry 5" erschien. Doch zwischen den Ereignissen rund um Joseph Seed und seiner Sekte und jenen, die in "Far Cry New Dawn" stattfinden, liegen 17 Jahre. 17 Jahre, in denen sich die Spielwelt rund um Hope County nach einer nuklearen Katastrophe radikal verändert hat. Doch wie spielt sich "Far Cry" in der Endzeit? Der Test.

"Far Cry Blood Dragon" war 2013 eine Überraschung. Ohne großen medialen Vorlauf hatte Ubisoft die Stand-Alone-Erweiterung für "Far Cry 3" herausgebracht und damit für einige Furore gesorgt. Die Idee, die Grundlagen des Hauptspiels beizubehalten, sie aber durch absurde Ingredienzien zu überdrehen, hat ihren ganz eigenen Charme. "Far Cry 4" verwandelte Ubisoft Montréal in "Far Cry Primal" in einen prähistorischen Ableger. "Far Cry New Dawn" zelebriert hingegen die Postapokalypse als verrücktes Holi-Fest. Schon lange wollte man "Far Cry" in einem Endzeit-Setting spielen, so heißt es. Ob es die Mühe wert war?

Farbenfrohe Exploration

Joseph Seed hatte ihn kommen sehen: den Kollaps, der die Weltordnung auf Null zurücksetzen würde. In "Far Cry 5" kündigte der Sektenführer das Ende der Welt an. "Far Cry New Dawn" zeigt: Er hatte recht. Doch anders, als viele Filme es gerne andeuten, führt die Apokalypse nicht zwangsläufig zu schwarz-weißer Tristesse. Ubisoft hätte es sich leicht machen können, indem sie einfach Asche und Ruß über Hope County verstreuen.

Stattdessen entschied sich das kanadische Entwicklerteam für einen diametralen Ansatz. Die Spielwelt in "Far Cry New Dawn" ist grell, bunt und voll blühender Flora und Fauna. Als wären die Entwickler mit einer Arschbombe in den Tuschkasten gesprungen, hat sich die Natur in farbenfroher Explosion über die Spielwelt ausgebreitet. Immer wieder bleibe ich auf meiner Reise durch die große, offene Spielwelt stehen, einfach um das pittoreske Panorama zu genießen. Im Hintergrund zirpen die Zikaden, irgendwo grunzt ein Wildschwein und am Horizont erkenne ich zwei Grizzlys, die sich offenbar um erlegte Beute streiten – schöne, neue Welt. Wären da nicht diese verdammten Highwaymen.

Alkohol für alles

Die Rabauken haben jeglichen Anschluss an die Zivilisation verloren und leben nur noch für den Moment. Ihre Anführerinnen, das Zwillingspaar Mickey und Lou, haben gar kein Interesse daran, die Weltordnung von vor der Katastrophe wiederherzustellen. Aufgewachsen in den Jahren danach, kennen sie nur das Chaos, dem die Ordnung bloß im Weg steht. Für sie gibt es nur zwei Gattungen Mensch: jene, die Probleme beseitigt, und jene, die Probleme macht. Blöd, dass ich als namenloser Captain ohne Vergangenheit großer Fan traditioneller gesellschaftlicher Strukturen bin – und damit zu letzterer Gattung gehören.

In "Far Cry New Dawn" ist es an uns, dafür zu sorgen, dass die Siedlung Prosperity (zu deutsch: Wohlstand) eine sichere Zuflucht bleibt. Dafür streifen wir in der Welt umher, rekrutieren neue Spezialisten und Mitstreiter, während wir mit gefundenen Ressourcen die Siedlung ausbauen. Die wichtigste ist Ethanol (im Grunde Alkohol), ohne sie funktioniert gar nichts. Dieses findet sich zum Beispiel in Trucks, in denen die Highwaymen durch die Gegend fahren und die ich ihnen gewaltsam entwenden kann.

Action mit dem Hauch von Rollenspiel

Als besonders ethanolhaltig erweisen sich die in der Welt verstreuten Außenposten der Highwaymen. Schalte ich dort alle Wachen aus, fällt der Außenposten in meine Hände und bietet sich fortan als Schnellreisepunkt an. Für mehr Ethanol sorgt ein leichtes Rollenspielelement, das Ubisoft in "New Dawn" erstmals in "Far Cry" einführt. So lassen sich die Außenposten in einem höheren Schwierigkeitsgrad erneut von den Highwaymen befreien – mit der Aussicht auf noch mehr Ethanol.

Die Krux dabei: Die Feinde bewachen den Posten nun in höherer Mannstärke und besser ausgerüstet. Ein einfaches Farbsystem lässt mich auf einen Blick erkennen, ob ich einen weiteren Angriff wagen kann oder lieber doch erstmal meine Werkbank verbessere. In insgesamt vier Stufen lassen sich Waffen und Fahrzeuge ausbauen: angefangen bei grau, der schwächsten Stufe, über blau, lila hin zu gelb, der höchsten Ausbaustufe. Ab hier kommt richtig Freude auf. Denn die gelben Waffen lassen Gegnern niedrigerer Stufen keine Chance. Nur die Enforcer, die stärksten Widersacher, sind so gut gepanzert, dass sie selbst den gelben Waffen etwas länger standhalten.

Keine Chance aber haben sie gegen lautlose Takedowns von hinten. Schleiche ich mich unbemerkt an einen Feind heran, kann ich ihn mit einer Nahkampfattacke zu Boden bringen. Auch hier greift wieder das Levelsystem. Erst wenn ich die entsprechende Fähigkeit, den sogenannten Perk, dafür freigeschaltet habe, kann ich blaue, lilafarbene und gelbe Gegner per Takedown ausschalten.

Perks für mehr Abwechslung

Apropos Perks. Im Laufe des Spiels lassen sich davon allerhand freischalten, einige sogar mehrfach. Bei meinem Spieldurchlauf hat es sich als sinnvoll erwiesen, relativ früh das Schlösserknacken freizuschalten. Damit lassen sich die in der Spielwelt verstreuten Tresore öffnen, in denen das ansonsten selten zu findende Titanium liegt, das für Waffen benötigt wird. Bei manchen Perks bin ich mir hingegen nicht sicher, was deren Nutzen sein soll.

So habe ich den Perk "Verbesserte Lunge" bereits zehnmal gesteigert, um angeblich länger sprinten zu können. Trotzdem röchelt meine Spielfigur nach wenigen Metern, als würde sie Asbestzigaretten rauchen. Vielleicht ist es auch einfach nur ein merkwürdiger Bug.

Wo wir gerade bei merkwürdigen Eigenheiten sind: Ebenfalls als Perk verfügbar ist ein Wingsuit, der mich vor hohen Stürzen schützen soll. Das "Soll" ist hier wichtig, denn in acht von zehn Fällen krache ich trotzdem ungebremst in die Todesanimation. Weder der Wingsuit noch der Fallschirm öffnen sich schnell genug. Vielleicht liegt es an meinem motorischen Unvermögen, die Taste rechtzeitig zu drücken. Vielleicht wäre es aber auch einfach besser, wenn die Fallbremsen automatisch greifen würden.

Gut so: Im Kern ein "Far Cry"

Spielmechanisch entfernt sich auch "New Dawn" nicht allzu weit vom Original, abgesehen von den Rollenspielsprenkeln. Aus der Ego-Perspektive bewege ich mich als stummer und teilnahmsloser Protagonist durch das weitläufige Hope County. Geschlecht und Aussehen bestimme ich zu Spielbeginn, ansonsten bleibt mein Charakter weitgehend farblos und wenig definiert.

Andererseits ging es bei "Far Cry" noch nie um große Geschichten und ausgefeilte Figuren. Einzig die Antagonisten sind stets ausgearbeitet und zugleich Aushängeschild der jeweiligen Spiele. Bei "Far Cry New Dawn" sind das oben erwähnte Zwillinge Mickey und Lou – sie zieren auch das Spielcover. Mir gefällt die Idee, zwei skrupellose und äußerst brutale Frauen als Widersacher zu etablieren – beides ist ein Novum in der "Far Cry"-Reihe.

Doch so spannend das an sich gefährliche Duo auch ist, so unterrepräsentiert ist es über weite Strecken leider auch. Bis auf wenige Ausnahmen treffe ich im gesamten Spielverlauf überhaupt nicht auf sie, bekomme höchstens drohende Nachrichten geschickt, die im Lärm der Gewehrschüsse verhallen. Erst im letzten Drittel des Spiels steigt die Taktzahl der Begegnungen. Doch bis dahin habe ich mich längst bis unter die Zähne bewaffnet, die höchste Waffenstufe freigespielt und auch meine Begleiter auf das höchste Level gehievt.

 Hätten mehr Screen Time verdient: die bösen Zwillinge Mickey und Lou.
Hätten mehr Screen Time verdient: die bösen Zwillinge Mickey und Lou. (© 2019 Ubisoft Montréal/ Ubisoft )

Denn sowohl die "Guns for Hire" als auch die "Fangs for Hire" sind wieder dabei. Sechs menschliche und zwei tierische Sidekicks lassen sich freispielen, alle mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen.

Während Pastor Jeromé mit seiner Schrottflinte eher den Engtanz sucht, ist die rüstige Nana mit ihrem Scharfschützengewehr besser im Hintergrund aufgehoben. Über das Steuerkreuz kann ich meinen KI-Begleiter einfache Befehle zurufen, etwa mir zu folgen oder einen bestimmten Gegner anzugreifen. So habe ich mir zwischendurch den Spaß erlaubt, mich mit Nana auf eine erhöhte Position zu begeben, von der aus ein Außenposten gut zu überblicken war. Mit dem Fernglas habe ich die Feinde markiert und Nana sie nach und nach lautlos ausschalten lassen; ich selbst habe nicht einen Schuss abgefeuert – richtig cool. Zur Belohnung gab's extra viel Ethanol, weil wir weder Alarm ausgelöst noch die Feinde uns überhaupt bemerkt hatten.

Doppelter Spaß im Koop-Modus

Alternativ zu den Guns und Fangs for Hire lässt sich "Far Cry New Dawn" auch komplett im Koop-Modus mit einem Online-Freund erleben. So kann man sich via Headset noch besser absprechen und die Außenposten von zwei Seiten gleichzeitig stürmen und sich im Notfall schneller wieder auf die Beine helfen. Typisch "Far Cry": Im Koop-Modus steigt der Mitspieler in die Partie des Hosts ein. Heißt, der Fortschritt, den ihr gemeinsam macht, wird nur dem Host angerechnet. Setzt ihr anschließend euer Solospiel fort, macht ihr dort weiter, wo ihr es zuvor unterbrochen hattet.

 Mit dem Fernglas lassen sich Feinde markieren. Die Markierungen sehen sowohl die Guns for Hire als auch Koop-Freunde.
Mit dem Fernglas lassen sich Feinde markieren. Die Markierungen sehen sowohl die Guns for Hire als auch Koop-Freunde. (© 2019 Ubisoft Montréal/ Ubisoft )

Ein weiterer Vorteil des Zweispielermodus: Ich muss die Fahrzeuge nicht selbst fahren. Denn aus der Ego-Perspektive sieht man durch die teils vergitterte Windschutzscheibe fast gar nichts. Zum Glück sind sogar die KI-Kollegen in der Lage, Fahrzeuge zu steuern, sofern der Autopilot das Signal nicht verliert – kein Witz. In der postapokalyptischen Welt scheint das Handynetz immer noch löchrig zu sein.

Das Spiel ist übrigens voller zahlreicher popkultureller Anspielungen. Begleiter Hurk etwa ist stinksauer auf die Highwaymen, weil sie ihn sein Auto abgenommen haben. Jetzt sinnt er auf Rache im John-Wick-Style – seine Wort, nicht meine. Geht er zu Boden, ruft er verzweifelt: "Mr. Stark, ich fühle mich nicht so gut", in Anspielung auf "The Avengers". Und naja, in einer Mission helfen wir dem Nerd Bean seine Aufzeichnungen zurückzuholen. Seine Erfindung?! Wikibeania, eine weltumspannende Informationsquelle. Im Spiel selbst merkt an davon übrigens auch nach erfolgreicher Mission nichts.

Und die Ärztin begleitet uns erst nach Prosperity, wenn wir ihr ihr ganz besonderes medizinisches Kraut zurückholen, das in einen Schacht gefallen ist. Aber die schrägen Figuren und der überzeichnete Humor standen schon immer für die Reihe. "Far Cry New Dawn" macht da zum Glück keine Ausnahme und zeichnet eine lustige und – ja, irgendwie – lebensfrohe Endzeit. Es macht immer wieder aufs Neue Spaß, die Außenposten hoch zu nehmen, auf motorisierten Pferdestärken durch Hope County zu galoppieren und zwischendurch zur Entspannung eine Runde zu angeln – vorausgesetzt, der entsprechend Perk ist bereits freigeschaltet.

 Die Spielwelt ist zwar kleiner als in "Far Cry 5", dennoch gibt es auch in "New Dawn" mehr als genug zu tun.
Die Spielwelt ist zwar kleiner als in "Far Cry 5", dennoch gibt es auch in "New Dawn" mehr als genug zu tun. (© 2019 Ubisoft Montréal/ Ubisoft )

Fazit

Schöner wurde die Postapokalypse selten skizziert. Immer wieder zieht es mich nach Hope County und sei es nur seiner bunten Gestaltung wegen. Aber auch spielerisch hat mich "Far Cry New Dawn" über Stunden gut unterhalten. Das leichte Rollenspielsystem fügt sich gut ins Grundspiel ein und bereichert es um zusätzliche Herausforderungen. Zum Einen, weil es einfach cool ist, die nächst besseren Waffen frei zu spielen. Zum Anderen, weil es umso befriedigender ist, damit dann die zuvor noch zu starken Gegner umzupusten.

Dass Ubisoft Montréal es so gut schafft, die Nachwirkungen von Teil 5 so nahtlos in das Spin-Off zu integrieren, ohne Vorkenntnisse zu verlangen, verdient einen weiteren Pluspunkt. Übrigens: Ganz von der Landkarte getilgt sind Eden's Gate und Bliss nicht. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Die offene Welt von "Far Cry New Dawn" hält viele Überraschungen bereit, lässt euch viel entdecken, viele Außenposten befreien und zwei überaus bösen Schwestern das Handwerk legen. Und dank der neuen, losgelösten Expeditionen bietet "Far Cry New Dawn" vor allem für Koop-Spieler erstaunlich hohen Wiederspielwert.

"Far Cry New Dawn" ist ab dem 15. Februar für die Xbox One und den PC zu haben und hat eine Altersempfehlung ab 18 Jahren. 

(© 2024 CURVED )

In diesem Artikel

Testwertung: Far Cry New Dawn

Top
  • Schön gestaltete, farbenfrohe Endzeit
  • Leichtes Rollenspielsystem
  • Neue Spielmechaniken fügen sich gut ein
  • Koop-Modus für noch mehr Spaß
  • Cooles Antagonisten-Duo
Flop
  • Spielerisch auf Dauer etwas monoton
  • Wingsuit und Fallschirm passen nicht in die Umgebung
  • Wenig Abwechslung bei den Gegnern
Wie findet ihr das? Stimmt ab!
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