Können 13 Milliarden Dollar Nettogewinn lügen? Ja, sie können: Der heutige Rekordgewinn überschattet Apples eigentliches Problem von morgen: Das Wachstum ist an seine Grenzen gestoßen und ausgereizt.
Es sieht aus wie eine Demonstration der Stärke: 51 Millionen iPhones verkaufte Apple in den 92 Tagen zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember. 26 Millionen iPads. 4,8 Millionen Macs. 6 Millionen iPods. Und kaum mehr zählbare Erlöse in der iTunes-Division. Macht summa summarum: 57,6 Milliarden Dollar Umsatz, von denen 13,1 Milliarden Dollar in den Geldspeichern von Cupertino hängen blieben.
13,1 Milliarden Dollar in 92 Tagen? Das entspricht:
1 Milliarde Dollar pro Woche.
143 Millionen Dollar pro Tag.
6 Millionen Dollar pro Stunde.
In anderen Worten: Es sind Fabelwerte, die sich John D. Rockefeller vor 100 Jahren nicht in den kühnsten kapitalistischen Fieberfantasien hätte träumen lassen. Und wie reagiert nun der Inbegriff der Hochfinanz? Die Wall Street zeigt Apple ihre ganz eigene Wertschätzung: Um in der Spitze 10 Prozent geht es als Belohnung nach unten. 40 Milliarden Dollar Börsenwert: in Luft aufgelöst. Einmal Twitter, zweimal Tesla, viermal die Lufthansa: einfach weg.
Apples ewiger Makel: ‚Gut’ war wieder einmal nicht gut genug
Sind Börsianer nun vollkommen verrückt geworden? "Die Reaktion der Börse sagt viel darüber aus, wie krank unsere Gesellschaft ist", kommentiert Finanzjournalist Rocco Pendola den Kurssturz. Nach realen Zahlen lädt die Reaktion der Wall Street fraglos zum Kopfschütteln ein. 13 Milliarden Dollar: So viel verdiente der hoch gewettete Rivale Google nicht im ganzen Geschäftsjahr 2013.
Und trotzdem: ‚Gut’ war wieder einmal nicht gut genug. Apple-Aktionäre haben den Film zuletzt öfter gesehen. Vor einem Jahr brach Apple sogar um 60 Dollar ein und vernichtete 50 Milliarden Dollar Börsenwert.
Keine Frage: Die phänomenale Erfolgsstory unter der Ägide Steve Jobs’, der Apple binnen 14 Jahren vom Pleite-Kandidaten zum wertvollsten Unternehmen der Welt verwandelte, hat in den vergangenen 18 Monaten unübersehbare Kratzer bekommen.
Apple, der Roger Federer der Techbranche
Die Apple-Aktie ging nach einem Wertzuwachs von 10.000 Prozent in einer Dekade synchron mit dem iPhone 5-Launch im September 2012 in den Sinkflug über: Von über 700 Dollar brach der wertvollste Konzern der Welt binnen eines halben Jahres auf unter 400 Dollar ein und hat sich bis heute bei 500 Dollar nur leicht erholt, während der Markt in den vergangenen 12 Monaten von einem Allzeithoch zum nächsten stürmte und Google und Amazon mehr als 50 Prozent zulegten und sich Facebook gar verdoppelte.
Die Unterstellung der Wall Street, die nach dem Weihnachtsquartal nun wieder unmissverständlich aufflammt, lautet: Apples Wachstum scheint ausgereizt. Anders ist der krasse Bewertungsabschlag mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von nur 13 vor Abzug der enormen Barmittel nicht zu erklären – der Marktdurchschnitt des S&P liegt bei 20, Google aktuell bei 35.
Die Wall Street behandelt Apple wie die Sportpresse Roger Federer: wie einen alternden Champion, der seine besten Tage hinter sich hat. Federer ist immer noch der perfekte Athlet, der das ästhetischste Tennis spielt – er lässt mit fortschreitendem Alter nur einfach zu viel liegen.
Um Aktionäre kümmerte sich der Kultkonzern aus Cupertino nie besonders
Apple leistet sich denselben Luxus: Immer wieder betont Konzernchef Cook, Apple wolle „nicht die meisten Produkte verkaufen, sondern die besten“ – für Aktionäre klingt das wie Hohn. Doch Apple ist nur konsequent: Um die Interessen der Kapitalmärkte kümmerte sich der Kultkonzern aus Cupertino nie besonders.
Wie Federer, der sich – wegen seiner Familie allerdings – schon mal eine zweimonatige Auszeit nimmt, nimmt sich Apple die Freiheit, aufziehende Trends der Techbranche geflissentlich zu ignorieren. Kleinere Tablets? Für Steve Jobs: „DoA“ – eine „Fehlgeburt“. Große Smartphones? Funktionieren nicht ohne „zu große Einbußen“ bei der Benutzerqualität, erklärte Tim Cook noch vor Jahresfrist.
Stattdessen überlässt Cupertino scheinbar achselzuckend Samsung das Feld und sieht zu, wie die Südkoreaner ihre Verkäufe verdreifachen und Apple beim Marktanteil längst deutlich hinter sich ließen. Erst im Herbst wird Apple mit einem größeren iPhone kontern: nach mehr als zwei Jahren, nachdem Samsung mit der Einführung des 4,8 Zoll großen Galaxy S3 seinen Siegeszug starte.
Erster großer Fehler des iZyklus’: den Phablet-Trend verpasst
Zwei Jahre können in der Technologiebranche eine lange Zeit sein. Der Fehler, den Phablet-Trend zu ignorieren, fällt in die Endphase der Steve Jobs-Ära – doch seinem glücklosen Nachfolger Tim Cook haftet er an.
Der 52-Jährige ist längst zur Verkörperung der neuen Probleme des noch wertvollsten Konzerns geworden. Cook ist alles, was Jobs nicht war: Er ist uncharismatisch, macht auf der Bühne bei Produktpräsentationen eine denkbar schlechte Figur, er wirkt zögerlich, er entschuldigt sich zu oft, er trifft zuletzt sogar wiederholt die falschen Entscheidungen wie bei der Verpflichtung von Store-Manager John Browett, dem zu späten Launch des flachen iMac und der Einführung des iPhone 5c, das nun wie Blei in den Regalen liegt und die Weihnachtsbilanz belastete.
Nach der Wertvernichtung von in der Spitze 200 Milliarden Dollar Börsenwert ist Cook angeschlagen. „Der Aufsichtsratsrat ist kein Tim Cook Fanclub“, gab Jobs' Biograf Walter Isaacson seinerzeit zu bedenken. Im vergangenen Jahr wurde Rocco Pendola noch deutlicher: "Tim Cook ist zur Belastung geworden“, fand der Finanzjournalist.
Das gern verleugnete Stück Wahrheit lautet: Apples Wachstum ist zu Ende – und es wird wohl nie wiederkommen
Dabei steht der 52-Jährige vor einer Aufgabe, die auch seinen überlebensgroßen Vorgänger hätte entzaubern können: einen Nachfolger für das größte Produkt aller Zeiten zu finden – das iPhone. 60 Prozent des Gesamtumsatzes macht die Smartphone-Sparte inzwischen aus, doch im achten Jahr nach der Einführung zeigt das iPhone unzweifelhaft Alterungserscheinungen.
Gerade mal noch um 6 Prozent legten die Umsätze im abgelaufenen Quartal zu – dem schwächsten Wert seit dem Debüt 2007. In den USA musste Apple gar das erste Mal einen Absatzrückgang beklagen. Rückläufige Umsätze seiner Lebensversicherung sind nun das Letzte, was sich Apple erlauben kann – doch wie den Gesetzen des Lebenszyklus’ entkommen, die nun zu greifen scheinen?
Ein gutes iPhone-Jahr könnte Apple dank des neuen Vertriebsweges für China Mobile noch bleiben, ein größeres Modell könnte zudem die Nachfrage befeuern. Doch was dann? Die neue Produktkategorie, die Tim Cook nochmals in der anschließenden Telefonkonferenz ankündigte – mutmaßlich die iWatch – ist zum absoluten Erfolg verdammt, wenn Apple seine Wachstumsstory irgendwie in die Verlängerung retten und an der Honig-und-Nektar-Periode festhalten will.
iPod: Ein mahnendes Beispiel für das iPhone
Doch Apples andere Konzernsparten dokumentieren eindrucksvoll, dass selbst neue Produkte nicht reichen, um alte Bestmarken zu überbieten: Das iPad zieht zwar nach maximaler Überholung mit der Air- und Mini Retina-Version noch mal um 17 Prozent an, es kann jedoch nicht genug für die iPhone-Sparte in die Bresche springen.
Und wie schnell es gehen kann, wenn ein Trend bricht, macht ausgerechnet der iPhone-Vorgänger vor, der gestern in der Bilanz nur noch am Rande erwähnt wurde: Der einstige Wachstumsbringer iPod ist Geschichte und stirbt nun einen schnellen Tod. Um 52 Prozent kollabierten die Umsätze des digitalen Musikspielers binnen eines Jahres.
In den Monaten vor dem iPhone-Launch machte der iPod, der Apples phänomenalen Börsenaufstieg in den Nullerjahren erst befeuerte, mehr als 50 Prozent am Gesamtumsatz aus - heute sind es weniger als 2 Prozent. Schriller könnten die Alarmglocken für Apple kaum klingen.
Wie geht es weiter bei Apple? CURVED-Chefredakteur Nils Jacobsen hat im Januar bei Springer Gabler ein Buch über die Zukunft des iKonzerns veröffentlicht – „Das Apple-Imperium“. Jacobsen zeichnet darin den Weg zum wertvollsten Konzern aller Zeiten nach und geht der Frage nach, ob Apple seinen Zenit überschritten hat und wie die Zukunft des iPhone-Herstellers im Jahr 2020 aussehen könnte.