Ein neues Jahr, ein neuer Anlass zur Bilanz. Wie gestalte ich mein Leben eigentlich, was ist gut, was weniger, was möchte ich ändern, was behalten. Fest steht für CURVED–Chefredakteur Nils: Es hat sich ausgefacebookt.
Es ist so weit: Das verflixte siebte Jahr bricht an. Nicht mit meiner Frau, mit Facebook – wir kennen uns ja tatsächlich von dorther, aber das ist eine andere Geschichte.
Diese hier handelt vom weltgrößten Social Network, und sie geht so: Es geht gut, bis es langweilig wird. Das war im vergangenen Jahr immer öfter der Fall. Auch ohne große Abschiedsreden zu schwingen und in einer pseudo-dramatischen Aktion den eigenen Account zu löschen, ist nach sieben Jahren in Facebook für mich klar: Die beste Zeit liegt hinter uns.
Es hat sich lange angedeutet und angekündigt wie so oft im Leben: Das war 2008 so bei mir. Endlich eine völlig neue Möglichkeit, die Verheißungen des Internet Wirklichkeit werden zu lassen in Form einer vernetzten Welt. Sehen, was im Leben von Freunden, Bekannten und sogar neuen Bekanntschaften passiert – wie fantastisch war das?
Den Aha-Moment erlebte ich 2007 auf Kreta in einem Internet-Café, als gut gebräunte Norwegerinnen eine Stunde lang auf den blauen Bildschirm starrten, lachten und sich auf die Schenkel klopften und immer wieder Bilder kommentierten, während ich mit meiner damaligen Freundin Spiegel Online, sport1.de und Aktienkurse absurfte. Ich war neidisch. So neidisch, dass ich danach zum größtmöglichen Fürsprecher für Facebook wurde und Freunde, Bekannte und Xing-Kontakte in das soziale Netzwerk zu lotsen versuchte.
Facebooks Anfangsmagie: Die Couchsurfing-Idee ohne Couch leben
Es war ein zäher Start – so zäh, dass ich zunächst kapitulierte. Erst Anfang 2008 nahm ich noch mal einen neuen Anlauf auf Facebook, der mir dadurch erleichtert wurde, dass das Social Network seinerzeit weitaus offener war als heute: Wenn ich nach Barcelona fuhr, konnte ich über Facebook Leute dort treffen, die Lust hatten, mir ihre Stadt zu zeigen – die Couchsurfing-Idee ohne Couch.
Zwischen 2008 und 2009 hob Facebook, das damals tatsächlich seinerzeit gerade mal auf 100 Millionen Nutzer kam und tatsächlich noch Myspace hinterherhechelte, auch endlich hierzulande ab. Es war die beste Facebook-Zeit. Große Foto-Alben von Reisen wurden geteilt, der Status mitgeteilt, es gab etwas zu erzählen, Facebook war Neuland, ich habe über diese Zeit ein halbes Jahr einen Blog im Hamburger Abendblatt verfasst, der bis heute existiert.
Der Like-Button veränderte alles
Doch alles hat bekanntlich seine Zeit. Die Einführung des Like-Buttons im Juni 2010 änderte einiges. So genial der Schachzug aus strategischer Sicht war und Facebook dabei half, sich wie ein Krake im restlichen Web auszubreiten, so sehr veränderte es doch uns Nutzer. Wir begannen, für den Like zu posten. Unsere Umwelt betrachteten wir zunehmend mit dem Facebook-Auge. Die Neigung, zu immer größeren Posern, zu Selbstdarstellern unseres Lebens zu werden, wurde übermächtig. Wer auf Facebook aktiv ist, lebt für den Like.
Das wurde irgendwann sehr anstrengend, für alle. In welch einer virtuellen Welt leben wir eigentlich, in der alle toll sind, in der jeder Post dazu anhält, gelikt zu werden? In einer sehr amerikanischen, in der alles totally awesome ist. Keine Ironie: Es gibt tatsächlich einen Post von einer amerikanischen Facebook-Bekanntschaft, die als UN-Beauftragte zu ihrem Besuch in Äthiopien postet: „Bin erst einen Tag da und verliebt in diese tolle Stadt.“ Dann: „Nur noch drei Tage, um die wunderschöne Stadt Addis Ababa zu entdecken.“ Zu sehen: bedrückende Slumlandschaften. Keine Realsatire, sondern die weißblaue Wirklichkeit, selbst das zu liken.
Facebook ist zu einer Like-, Kommentier- und Glückwunsch-Verpflichtung geworden
Nicht nur, dass unsere „Freunde“ uns permanent vorhalten müssen, was für ein tolles Leben sie führen auf ihren XXL-Reisen nach Dubai, Saint Tropez und London oder beim Champions Dinner, das als #foodporn verschlagwortet wird – wir sollen das auch noch liken, so wie wir eifrig Glückwünsche aussprechen sollen zum Geburtstag, zum neuen Job, zur Verlobung, zur Hochzeit, Geburt des Kindes, usw, usf.
Es ist ein bisschen viel Verpflichtung geworden, was Facebook uns da aufbürdet:
Der Facebook-Code bestimmt längst unser digital-soziales Leben, so wie der Code im Berufsleben unser Alltagsleben bestimmt: Man sollte dies, sollte das, gehört sich halt so, wird erwartet. Gesundheit, schönen Feierabend, herzlichen Glückwunsch.
Unbewusster Mitteilungszwang
Und wir spielen ja alle mit, selbst aktiv. Nachdem ich mich im vergangenen Jahr verlobt habe, änderte ich irgendwann dann doch meinen Beziehungsstatus – erst zwei Monate später, aber trotzdem. Und natürlich dann für die Heirat.
Da ich mir die Flitterwochen nicht durch Facebook-Posts (und die Abstimmung mit meiner Frau, welche der unzähligen Fotos nun postbar wären) versauen wollte, erfolgte der Post zeitversetzt nach meiner Rückkehr – natürlich als Einzelbild auf Instagram, nicht mehr als ganzes Album. (Das liegt tatsächlich nur zu Hause als 34-seitiger Fotoband.)
Die unerträgliche Likigkeit des Glücks
Auch hier bemerke ich auf der anderen Seite: Man beginnt die Leute schnell zu langweilen, dann zu nerven. Das erste Hochzeitsfoto bekommt jede Menge Likes und Kommentare, das zweite auch noch, ab dem dritten bricht es ab. Ja, wir wissen, dass ihr verheiratet seid, ist doch schon zwei Wochen her, nun aber back to reality. (Über den Zwang, den Instagram uns aufbürdet, immer in Echtzeit zu posten, habe ich an anderer Stelle geschrieben.)
So kommt es, dass eine an sich schöne Sache zur Nerverei wird – für beide Seiten: Poster und Freunde. Man fängt an, andere mit seinem Glück zu nerven. Vor allem, wenn es zu lange dauert. Können die endlich mal fertig sein mit ihren gestellten Grinse-Fotos? Den Post, dass wir nun einen Monat verheiratet sind, kommentierte eine ehemalige Arbeitskollegin, bislang recht wohl gesonnen, so: "Ich hätte noch ein paar Hashtag-Vorschläge für Euch: #mrandmrsjacobsen #wearesounbelieveablehappy."
Facebook ist zum digitalen Nachtrag des realen Lebens geworden
Seitdem kommentiert und likt sie nichts mehr. Ich kann das nachvollziehen: Facebook-Freunde, die ab der Geburt ihres Kindes nur noch Babyfotos und nächtliche Wachphasen-Updates gepostet haben, fand ich ab einem gewissen Punkt auch manchmal langweilig, dann nervig.
Mit dem nötigen Abstand betrachtet, stellt sich allerdings auch irgendwann die Frage: Was erwarten wir eigentlich von unseren virtuellen Freunden und ihren Posts – dass sie uns unterhalten oder ihre Lebenswirklichkeit abbilden? Und warum erliegen wir eigentlich umgekehrt selbst immer noch der Versuchung, Meilensteine unseres Privatlebens detailliert auf Facebook zu teilen?
Weil wir nach sieben, acht Jahren des Dauerteilens intuitiv so getaktet sind, weil es eine Selbstverständlichkeit ist, ein fast erwarteter digitaler Nachtrag des realen Lebens – Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen wissen ja, dass geheiratet wurde, also her mit dem digitalen Beleg.
Zeit für eine Facebook-Diät: Mehr habe ich nicht – weder zu posten noch zu sagen
Die Frage allerdings, ob das alles so richtig ist, was wir auf Facebook anstellen, stellen wir uns eigentlich viel zu selten, vermutlich alle Jahre wieder. Bei mir fiel sie passenderweise mit dem Jahreswechsel zusammen. Die letzten Bilder sind gepostet – mehr habe ich nicht. Weder zu posten noch zu sagen.
Wie die vorangegangenen Kolumnen belegen, hat mich die Frage schon länger beschäftigt. In den vergangenen 12 Monaten habe ich kaum noch neue Freunde zu Facebook hinzugefügt, dafür sind einige bekannte Gesichter verschwunden. Gleichzeitig ist mein Bedarf nach Alben, Kommentaren und geteilten Beiträgen auf ein Allzeit-Tief gesunken – der Zyklus hat sich geschlossen. Man kann sagen, es hat sich ausgefacebookt. 7 Jahre sind es. Die verflixten sieben Jahre, vielleicht.
Die Stunde der Facebook-Fanpage hat geschlagen
Das heißt nicht, dass Facebook tot ist. Im Gegenteil: Journalisten und Blogger erliegen immer wieder gerne dem großen Irrtum, von sich auf andere zu schließen. Facebook ist im 11. Jahr seines Bestehens zu einer solchen Internet-Weltmarke geworden wie Coca Cola, McDonalds oder Nike für die Konsumgüterwelt – für einen überdrüssigen Teen und einen saturierten First Mover kommen drei neue Bestager, Lehrer oder Menschen aus den Schwellenländern. Facebook hat noch viel zu gewinnen – nur nicht bei mir oder Menschen wie ich.
Ich werde nicht ganz weg sein. Ich nutze Facebook jeden Tag beruflich, es ist mein privater Newsreader geworden, der oft genug sogar feedly schlägt, ich verfüge über eine berufliche Facebook-Seite, die ich inzwischen viel aktiver mit neuen Artikeln pflege – und das ein oder andere Instagram-Bild fließt automatisch vielleicht ja auch weiter ein.
#fomo: Keine Angst, mehr etwas zu verpassen
Nur aus dem Facebook-Kosmos der Endlos-Diskussionen, Like-Erwartungen und Enttäuschungen bin ich raus. Was mich nun anno 2015 mehr interessiert: tolle Momente zu erleben, ein wunderschönes Motiv zu sehen, ohne den Reflex zu haben, es festzuhalten und sofort posten zu müssen. Kann eine solche Rückeroberung des Privaten gelingen, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen? Nicht umsonst war #fomo eines der Schlagworte des vergangenen Jahres. #fomo bedeutet: „Fear of missing out“, die Angst, etwas zu verpassen.
Hallo 2015, hier kommt meine erste umgesetzte Neujahrsresolution: Weniger virtuelles, mehr echtes Leben. Es ist Sonntag, der 18. Januar, 4 Grad und Regen, ich war heute Mittag am Elbstrand in Övelgönne – aber nein Facebook, ich habe weder ein Statusupdate dazu noch ein Beweisfoto für Dich.