Dein, mein, unser Leben mit dem Smartphone

Facebook
Facebook (© CC: Flickr/dullhunk )
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Das vernetzte Leben sei für junge Menschen ganz natürlich geworden, sagen Kommunikationsforscher. Das gibt Anlass zu einem Zustandsbericht über das Smartphone in unserem Alltag.

Soziale Netze haben neue Beziehungsformen hervorgebracht, stellte unlängst die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel fest. Sie ist sich sicher: "Das Internet wird nicht wieder weggehen, wir sollten es also gestalten, und zwar so, dass es nicht zur alleinigen Spielwiese von Google, Facebook, Amazon oder gar der NSA wird."

Die Gestaltung des Netzes ist jedoch bereits in vollem Gange. Nicht zuletzt durch das, was Wissenschaftler gerne das "mobile Internet" nennen. "Wir hatten einmal in einer Studie die Leute nach dem mobilen Internet gefragt", sagt der Kommunikationswissenschaftler Thilo von Pape von der Universität Hohenheim diesem Magazin. "Die Leute haben uns dann gesagt, dass der Begriff 'mobiles Internet' ihnen gar nichts sagt. Sie gehen einfach nur ins Internet. Das war ein Schlüsselmoment für uns Forscher, der uns zeigte, dass wir an die Sache viel zu verkopft herangehen." Tatsächlich ist das Smartphone und dessen Möglichkeit, ins Internet zu gehen, wo und wann man will, nämlich längst Alltag, und das Surfen im Netz vollkommen unabhängig davon, welches Gerät man dabei benutzt.

Von Pape beschäftigte sich mit dieser Thematik im Rahmen eines DFG-Projekts im Jahr 2012, bei dem er die mobile Nutzung von Internetangeboten über Smartphones und Tablet-PCs in unterschiedlichen situativen, räumlichen und kulturellen Kontexten untersuchte. "Daraus lässt sich allerdings keine Entwicklung ableiten," erklärt er.

"Aber im Vergleich zu anderen Studien können wir sehen, dass das Smartphone insgesamt die Mediennutzung verändert, dadurch dass man eben in jeder Situation Zugriff auf praktisch alle Medieninhalte hat." Seine Studie zeige auch, dass "es nicht mehr eine so große Rolle spielt, in welchem Umfeld man sich befindet. Die Leute nutzen tatsächlich ihr Smartphone in allen Situationen überall ziemlich gleich."

Die Falten des Lebens gehen verloren

Hatte man also früher ein Buch im Zug dabei oder führte ein Gespräch mit dem Platznachbarn, schaut man heutzutage lieber auf sein Smartphone, liest darauf ein Buch oder surft im Netz und trifft sich virtuell mit Freunden. "Durch die Smartphones und Apps, wie WhatsApp oder Threema, sind wir sozusagen immer vernetzt. Wir sind immer online, ohne dass ein Telefon klingeln muss oder wir uns einloggen müssen. Das vernetzte Leben ist für junge Menschen ein natürlicher Zustand geworden", findet auch Meckel.

Durch die Smartphones sind wir sozusagen immer vernetzt
Durch die Smartphones sind wir sozusagen immer vernetzt (© 2014 istock.com/nensuria )

In der DFG-Studie des Hohenheimer Forschers von Pape wurde klar, dass das Smartphone den Zugang zum Netz immer und überall nicht nur ermöglicht, "es wird auch tatsächlich genutzt", so der Forscher. "Dadurch gehen die Situationen, in denen wir gar nichts machen, langsam verloren. Manche sprechen sogar davon, dass jetzt auch in die letzten Falten unseres Alltagslebens, in denen wir – vielleicht weil wir warten mussten – einfach über uns selbst nachdachten oder die Seele baumeln ließen, diese Mediennutzung eindringt."

Kritisch betrachtet kann man dabei auch von einer Kolonisierung der letzten Momente unseres Alltags sprechen, bei denen "durchaus auch Menschliches verloren geht", meint von Pape. Denn, anstatt über unser Leben und uns selbst zu reflektieren und uns dabei unseres Selbst bewusst zu werden, werden wir mit Werbebannern und Konsumversprechen bombardiert.

Das Dogma der ewigen Erreichbarkeit

"Permanently online. Permanently connected" – so lautet der Titel eines Forschungsprojekts der Universität Mannheim. Das Projekt will die verschiedenen Aspekte des permanenten Online-Seins untersuchen und herausfinden, wie sich dadurch die Gesellschaft verändert.

Meckel, die ab Oktober Chefredakteurin der Wirtschaftswoche sein wird, sieht das so: "Meinem Eindruck nach haben wir uns von dem Dogma der ewigen Erreichbarkeit längst wieder entfernt. Vor etwa zehn Jahren war es megacool, 24 Stunden am Tag erreichbar zu sein. Heute ist es wieder cool, sich auszuklinken."

Peter Vorderer von der Universität Mannheim sieht die Auswirkungen des Smartphones auf unsere Gesellschaft jedoch weitreichender: "Ich habe noch nie etwas erlebt, das innerhalb von so kurzer Zeit unser Miteinander und das Erleben so stark beeinflusst hat", sagt Vorderer.

"Stellen Sie sich eine Gesprächssituation vor: Wie selbstverständlich liegt dabei heute immer das Smartphone auf dem Tisch. Das lässt sich selbst bei einem Abendessen zu zweit beobachten. Reagiert einer der beiden auf eingehende Nachrichten oder schaut er ab und zu aufs Display, gibt er dem anderen zu verstehen: Es gibt etwas, das möglicherweise spannender ist als die Situation im Hier und Jetzt."

Dass die Qualität eines Gesprächs darunter leidet, alleine wenn ein Handy währenddessen auf dem Tisch liegt, konnte sogar experimentell nachgewiesen werden, wie von Pape berichtet: "Es gibt Studien, die zeigen, dass wir in der Mediennutzung viel weniger aufmerksam sind, wenn wir unser Handy benutzen. Und dann gibt es Ergebnisse, dass die Qualität der Kommunikationssituation schlechter bewertet wird, wenn ein Handy im Spiel ist", erklärt von Pape.

"Dazu gab es Experimente, bei denen einfach nur ein Handy im Raum war während eines Gesprächs. Die Personen wussten nicht einmal, wessen Handy das war. Einfach durch die Präsenz dieses Geräts aber wird die Kommunikationssituation als schlechter empfunden, weil es dann immer die Möglichkeit einer alternativen Kommunikation gibt. Das lenkt einen selbst ab und man denkt, der andere Gesprächspartner ist dann auch nicht richtig bei der Sache."

Normen sind wichtig

Doch nicht nur in realen Gesprächen verändert sich die Situation durch ein Smartphone, die gesamte Alltagskommunikation scheint sich durch den Einzug des Smartphones in unser Leben verändert zu haben. "Ich glaube, ein großer Teil dieser Veränderung hat gerade erst angefangen", sagt von Pape.

Die ersten Entwicklungen sind allerdings schon heute zu sehen. So konnten die beiden Soziologinnen Angela Keppler und Julia Schleisiek von der Universität Mannheim in ihrem Projekt Alltagskommunikation unter mediatisierten Bedingungen beobachten, "dass es eine Art 'Etikette' für die neue Kommunikation gibt, die vorgibt, was sich gehört und was nicht".

Normen nennt der Kommunikationswissenschaftler von Pape diese Etikette und meint, dass es sozial unerlässlich ist, Normen auszuhandeln im Umgang mit den Medien. Denn nichts ist ärgerlicher als ein Tischnachbar, der die ganze Zeit auf sein Handy starrt und dabei die Unterhaltung immer wieder für das Checken von Nachrichten unterbricht.

"Viele erwarten inzwischen Erreichbarkeit", erläutert von Pape das Phänomen unserer neuen medialen Umgangsformen. "Wenn man sich verabredet, ist es heute normal, dass man eine SMS schickt, wenn man sich verspätet. Der andere, der wartet und eigentlich pünktlich war, ist dann selber schuld, wenn er nicht auf sein Handy gesehen hat."

Dieser Wandel der Normen führt dazu, dass man erreichbar sein will, ja quasi sein muss. Ein Dogma ist das nicht mehr, vielmehr ein Normalzustand. Und es führt dazu, dass es neue Regeln geben muss, die den Umgang miteinander im medialen Alltag bestimmen. Seien es nun Spezialnormen, wie sie unter Jugendlichen ausgehandelt werden, oder Normen im unmittelbaren eigenen Umfeld, die sich auf den größeren Teil unserer Gesellschaft auswirken.

"Außerdem spielen auch Stars eine große Rolle", erläutert von Pape die derzeitige soziologische Entwicklung und nennt die Trennung von Britney Spears von ihrem Mann per SMS als Beispiel. "Solche Skandale werden dann auf allen Ebenen der Gesellschaft diskutiert, auch in den Massenmedien, die bei der Aushandlung von Normen deshalb eine große Rolle spielen. Oder auch Serien: Bei 'House of Cards' spielt beispielsweise die Nutzung von mobilen Geräten eine große Rolle. Da lernen die Menschen neue Nutzungsmöglichkeiten kennen."

Werden wir also von den Medien beeinflusst im Umgang mit unseren Mobilgeräten? Nur bedingt, meint von Pape, denn beispielsweise die Jugendlichen lassen sich nur schwer beeinflussen und wollen einfach nur von der vorherrschenden Norm abweichen. Dennoch, so von Pape, "ist das sicherlich ein Prozess, der auf allen Ebenen stattfindet".

Die Beeinflussung reicht dabei weit über die Medien hinaus. Selbst die Gestaltung der Geräte zeigt uns per se auf, wie sie zu nutzen sind. "Tatsächlich gestalten die Unternehmen die Geräte oft so, dass es ihnen zukommt", erläutert von Pape. So hat Google beispielsweise ein großes Interesse daran, Daten zu sammeln.

"Deswegen war Google bei der Brille vorneweg in der Entwicklung, deren Entwicklungskosten sehr hoch waren. Aber nur Google ist in der Lage, die Daten, die wir für eine solche Brille brauchen, auch zu liefern", so von Pape. Ein anderes Beispiel ist die SmartWatch von Samsung, die mit der Vernetzung von Smartphone und Uhr einen höheren Absatz ihrer Geräte erreichen wollen.

Die Vernetzung schreitet voran

Tatsächlich löst sich die mobile Kommunikation zunehmend vom genutzten Gerät. "Vor allem weil die Vernetzung immer stärker wird", meint von Pape. "Wir haben immer mehr andere Kommunikationsmöglichkeiten und für die anderen physisch Anwesenden ist es dadurch weniger sichtbar, ob wir uns gerade in einer anderen Beschäftigung befinden.

Die Normen werden also dahin gehen, dass man diese Beschäftigung offen zeigen muss." Ein Beispiel, das allerdings noch in der Zukunft spielt, zeigt der Film "Her" von Spike Jonze. In ihm kommuniziert der Hauptdarsteller mit seinem Betriebssystem über beinahe unsichtbare Ohrstöpsel – und verliebt sich in das menschlich erscheinende System.

Für Außenstehende ist es allerdings nur schwer zu erkennen, wann die Kommunikation stattfindet. Auch Meckel ist sich sicher: "Die nächsten technischen Neuerungen stehen vor der Tür. Dazu gehören die Vernetzung unserer materiellen Umwelt mit dem Internet, also die kommunizierende Kaffeemaschine und das selbstfahrende Auto, aber auch die Vernetzung des menschlichen Körpers. Ich vermute, es wird noch etwa zehn Jahre dauern, bis wir mit Prototypen von Haut- oder Hirnimplantaten experimentieren. Dann telefonieren wir nicht mehr, sondern wir telepathieren."

Einen ersten Schritt hin zu dieser Entwicklung gehen die sogenannten Wearables. Das sind tragbare Geräte, die wir direkt an unserem Körper befestigen. Dazu gehören Fitnessbänder ebenso wie die neuen Uhren, die sich mit dem Handy verbinden. Von Pape sieht darin einen Trend weg vom Smartphone: "Ich habe das Gefühl, das Smartphone verliert für sich als Objekt heute den Stellenwert, den es mit dem iPhone bekommen hat."

Warum?  "Weil es eben gerade beginnt, sich mit den Uhren oder Kopfhörern, die kaum noch sichtbar sind, aufzulösen. Die neuen Geräte sind gar nicht mehr auf besondere technische Funktionalitäten ausgelegt. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass das Smartphone als Statusgerät mehr an Bedeutung verliert, weil es zum Alltagsgerät wird. Dann ist es eher die Uhr, die ja schon immer ein Statussymbol war."

Tatsächlich laufen Google Glass oder die SmartWatch derzeit zumindest im Ansehen der Nutzer den Smartphones den Rang ab. Denn sie bieten neue Möglichkeiten – auch der Kommunikation. Aber "noch gehen wir mit den neuen Möglichkeiten um wie Kinder mit einem neuen Spielzeug, das sie zu Weihnachten bekommen haben", beschreibt der Mannheimer Wissenschaftler Peter Vorderer den Status Quo. "Wir finden es großartig und können nicht aufhören, damit zu spielen. Irgendwann allerdings wird Ernüchterung einsetzen und wir werden uns gezielt Inseln schaffen und bewusst auch mal abschalten."

Von der digitalen Kluft

Die mobile Kommunikation  ist Teil unserer normalen Gespräche
Die mobile Kommunikation ist Teil unserer normalen Gespräche (© 2014 CC: Flickr/Aayesha Siddiqui )

Ob es wirklich soweit kommen muss, ist strittig. Denn neueste Untersuchungen belegen, dass die mobile Kommunikation die realen Gespräche nicht nur negativ beeinflusst. Sie ist zugleich Teil unserer normalen Gespräche. Die Mannheimer Forscher haben im Zuge ihrer Untersuchung beobachtet, dass Unterhaltungen durch die Mediennutzung sogar belebt werden.

"Die neuen Inhalte und Technologien wirken zudem auf das 'klassische' Gespräch zurück: Vor allem junge Erwachsene, die sich unterhalten und gleichzeitig nebenbei chatten, integrieren den Chat fast gleichwertig in die Gesprächssituation", berichten Keppler und Schleisiek. "Außerdem fließen Fotos und Videos verstärkt in Alltagsgespräche ein: Man zeigt mehr und erzählt weniger. Das heißt jedoch nicht, dass weniger gesprochen wird: Die Bilder werden stets sprachlich eingeführt, erklärt und kommentiert."

Im Umkehrschluss, so berichtet von Pape, "wird man aus der Kommunikation und Beziehungslandschaft ausgeschlossen, wenn man nicht so gut vernetzt ist". Wer nicht mitreden kann, der ist draußen. Digitale Kluft nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, dessen Kern so alt ist wie die Menschheit selbst.

Denn egal, ob es um die Kommunikation, die Einordnung in eine gesellschaftliche Klasse oder in ein System geht – eine Gruppe definiert sich immer darüber, wer nicht dazugehört. Und "der Mensch hat das Bedürfnis, einer Gruppe zugehören zu wollen. Mit dem Blick aufs Handy gehen wir sicher, in Verbindung zu bleiben", erklärt Vorderer das Phänomen aus digitaler Sicht.

Genau hier setzt allerdings auch die Kritik vieler Beobachter an. Denn einigen Menschen bleibt derzeit noch immer der Zugang zur digitalen Medienwelt verschlossen. "Ich beobachte in letzter Zeit, dass das Thema Schuldenfalle wieder aufkommt. Weil es den Druck gibt, dabei zu sein", erläutert von Pape die Situation.

Aber auch das Alter kann eine Rolle spielen, denn die über 60-Jährigen sind zwar die am schnellsten wachsende Gruppe der Smartphone-Nutzer, dennoch sind sie aufgrund ihres Alters meist weniger auf die digitalen Trends bedacht oder können ihnen nicht schnell genug folgen.

Transparente, mobile Nutzer

Ganz unabhängig davon, ob man dabei sein kann oder will oder nicht – Fakt ist: Die ununterbrochene Mediennutzung ist mittlerweile allgegenwärtig. Und "ein großer Teil der Veränderung von uns Menschen durch die Nutzung der mobilen Geräte im Alltag hat gerade erst angefangen", meint Kommunikationswissenschaftler von Pape.

Gerade in den USA wird derzeit diskutiert, wie die neuen Geräte, insbesondere seit dem iPhone, unseren Umgang mit Technik verändern. Hatte man beim PC noch die Möglichkeit, Programme jeder Herkunft zu installieren, geht das auf den Smartphones nur noch über einen vorgegebenen App-Markt, der etwa im Fall von Apple streng reguliert ist. Und konnte man beim PC noch Karten und Prozessoren austauschen, so sind bei vielen Handys selbst die Akkus fest verbaut.

Als "fundamentalen Wandel" bezeichnet von Pape diesen gerade erst einsetzenden Trend, dass wir nicht mehr alles mit der Technik machen können, sondern nur noch das, was uns die Hersteller erlauben. "Über die Einschränkungen dessen, was wir überhaupt mit Medien machen können, macht man sich in den USA derzeit große Sorgen. Denn wir werden immer mehr in eine Konsumenten-Ecke gedrängt", so von Pape.

Dabei wünschen wir uns als Nutzer sogar, dass Medien wie Google oder das Smartphone uns einfach für jede Situation vorausgewählte Inhalte bereitstellen – am besten, bevor wir überhaupt danach fragen. Doch um herauszufinden, was wir im Alltag an Informationen wollen beziehungsweise benötigen, müssen diese Dienste zunächst Daten von uns sammeln.

Dazu "werden wir immer stärker beobachtet in dem, was wir mit den Medien machen, und viel transparenter als Nutzer. Da sehe ich die spannenden Entwicklungen für die Menschheit und auch die Gefahren. Denn im Alltag verändert sich zwar durch die Nutzung der Mobilgeräte viel, aber es gibt noch viel weitreichendere Veränderungen auf einer tieferen Ebene", erläutert von Pape.

Cloud-Technologien zeigen schon jetzt, dass wir keine mobilen Geräte mehr brauchen, um irgendwelchen Inhalte mit uns herumzutragen, denn auf die Cloud kann man von jedem Gerät überall zugreifen. Die Vernetzung der Menschheit geht also schon heute weit über die Nutzung eines Smartphones hinaus und ist ebenso Alltag, wie das Smartphone selbst.

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