Und plötzlich ist Samsung chic. Wie haben die das gemacht? Um das zu beantworten, lud man ins Londoner Design und Innovation Centre. CURVED war vor Ort.
Ich gestehe: Ich gehörte lange Zeit zu denen, die Samsung ob der vielen praktischen Features in den Geräten und der Wir-probieren’s-einfach-mal-aus-Philosophie, mit der die Koreaner massenweise neue Produkte auf den Markt brachten, bewunderten - aber gleichzeitig auch jedes Mal enttäuscht war von der Verarbeitung, die alles andere als hochwertig und Flaggschiff-würdig war. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie Kritiker dem iPhone mit seiner wertigen Kombination aus Alu und Glas vorwarfen, zu teuer zu sein und gleichzeitig vergleichbare Summen in einen Plastikbomber zu investieren.
Nein, schön waren die Samsung-Flaggschiffe in meinen Augen bislang nicht. Bislang. Denn das neue S6 und auch das S6 edge liegen und Benchmarks weit vorne, sondern können sich getrost auch mit Blick aufs Design zur neuen Avantgarde der Top-Smartphones zählen. Um das zu untermauern, lud Samsung am Dienstag zum Roundtable nach London ins europäische “Design und Innovation Centre”, einem Kreativ-Hub im Zentrum der englischen Metropole.
Auf die Wünsche der Nutzer gehört
Dabei wurde einmal mehr deutlich: Samsung ist nicht ein Konzern mit koreanischem Zentralorgan, sondern versteht sich ganz klar als europäisch geprägtes Unternehmen. Die Londoner Design-Unit “Business&Brand strategy” stöbert nach aktuellen Trends. Die Pariser Einheit versteht sich als eine Art Glaskugel für kommende Trends. Samsungs Designschmiede in Mailand konzentriert sich auf das Experimentieren mit neuen Materialien für künftige Devices. Insgesamt arbeiten in Europa 35 Designer unter der Leitung von Felix Heck, Samsungs Designchef Europe.
Nun mögen sich einige fragen: Warum haben so viele Kreative so lange gebraucht, um ein schöneres Smartphone auf den Weg zu bringen? Schenkt man Rory O’Neill, Samsungs Marketingchef für Europe, Glauben, dann hat sich der Smartphone-Hersteller im vergangenen Jahr umso mehr darauf konzentriert, den Wünschen der Nutzer Gehör zu schenken und zudem beim Design einer neuen Geräte-Generation den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung Rechnung zu tragen.
So verfügen die neuen Flaggschiffe über eine Schnellladefunktion, die den Akku innerhalb von zehn Minuten für weitere vier Stunden Betriebszeit füllt. Der Grund: Laut Samsungs Erkenntnissen aus der Forschung neigen Smartphone-Nutzer dazu, ihr Gerät mehrmals über den Tag verteilt nur kurz aufzuladen - anstatt einmal über einen längeren Zeitraum. Viel Kritik ernteten die Koreaner zudem für den Verzicht einer microSD im S6 und S6 edge. "Wir haben einfach gemerkt, dass Clouddienste enorme Vorteile haben bzw. microSD-Speicher einen erheblichen Nachteil", so O'Neill. "Gehen sie verloren, sind auch die Daten unwiederbringlich verloren." Aus diesem Grund hätte man sich gegen den weiteren Einsatz von microSDs entschieden.
Samsung will das Luxussgement für sich beanspruchen
Doch neben einiger Kritik erntete Samsung für die neue Designsprache, nicht zuletzt auch von uns, viel Lob. Dem Konzern ist es gelungen, seinen Geräten einen hochwertigen, schon luxuriösen Look zu verpassen - ohne die Zielgruppe zu vergraulen. Keine einfache Aufgabe: “Der Markt ist gesättigt. Nutzer sind durchschnittlich bei ihrem fünften, sechsten Gerät”, erklärt O’Neill. “Wir mussten unser Marketing komplett umstellen. Es bringt nichts mehr, Features und Spezifikationen zu kommunizieren.” Tatsächlich unterscheiden sich die Top-Smartphones seit rund zwei Jahren mit Blick auf die inneren Werte kaum noch voneinander. Sie verfügen nahezu über identische Chipsätze, Kameramodule und Speicherbausteine. Allerdings konnte Samsung eine ungewöhliche Dynamik in diesem ansonsten gesättigten Markt festmachen: “High-End-Modelle werden teurer”, so O’Neill. Damit war die Marschrichtung für Samsungs Flaggschiffe klar: das Luxussegment, über dem seit Jahren Apple mit den iPhones trohnt.
Um herauszufinden, was der Otto-Normal-Nutzer denn nun unter Luxus oder High-End-versteht und sich überhaupt ein Bild davon zu machen, wie Menschen tagtäglich Smartphones nutzen, schickte Samsung tatsächlich Mitarbeiter “ins Feld”. “Standard-Marktforschung führt nur zu Standard-Antworten”, erläutert Ran Merkazy, Head of Digital Appliance Innovation Europe. Deswegen sind seine Mitarbeiter auf der Suche nach neuen Trends tatsächlich zwei Wochen lang in Familien untergebracht, mit denen sie den Alltag verbringen. Die Ergebnisse aus dieser Feldforschung werden dann zusammengetragen und anschließend in Korea gebündelt. Solche Feldforscher beschäftigt Samsung nach eigenen Angaben weltweit. Die große Herausforderung ist, aus diesen regionalen und nationalen Beobachtungen ein globales Produkt zu entwickeln.
"Es ist einfacher, ein Supercar zu designen"
Hong Ku Yeo, Lead Designer for Galaxy S6/edge, bringt es auf den Punkt: “Es ist in diesen Tagen einfacher, ein Supercar zu designen als ein Smartphone.” Hier stünden Designer mehr unter mehr vor der Herausforderung, dass die Geräte immer dünner würden. Gleichzeitig wünschten sich auch Samsung-Fans zunehmend hochwertigere Materialien. Für Ku Yeo stand fest: Das neue Galaxy S muss “warm” sein und Charakter haben, gleichzeitig aber auch kontrastreich. Die perfekte Lösung schien das Design des S6 edge zu schein, das mit dem gehärteten, aber dennoch abgerundeten Alurand, den Kurven auf der Vorderseite und den unterschiedlichen Farbschattierungen im Glas der Rückseite wertig, warm und kontrastreich zugleich ist. Oder wie Samsung es nennt: Minimal Futuristic.
Ein Design, das ankommt. Wie selten zuvor gefällt der neue Look der Samsung-Flaggschiffe den Testern und Nutzern im Web gleichermaßen. Hat also auch endlich das Fake-Leder beim Galaxy Note ausgedient? Samsung ließ sich in London zu keiner definitiven Aussage hinreißen. Doch mit der neuen Wertigkeit stehen die Koreaner zweifelsohne in der Verantwortung, auch künftige Top-Modelle mit den neuen Materialen auszustatten - und sich vom Plastikbomber-Image endgültig zu verabschieden.
Wie wichtig das High-End-Segment und Businesskunden für Samsung künftig sein werden, macht sich schon jetzt zum Launch des S6 und S6 edge bemerkbar. Normalerweise bringen Hersteller ihr Gerät erst für die reguläre Kundschaft auf den Markt und reichen entsprechende Features für den Businessbereich nach. Doch beide Modelle sind mit Blick auf die Sicherheitsfunktionen “enterprise-ready at launch”.
Es wird spannend sein zu beobachten, inwiefern Samsung Apple künftig im Business-Segment Anteile streitig machen kann. Der Konzern aus Cupertino hat erst vor wenigen Monaten eine Kooperation mit IBM ins Leben gerufen, um sich für Unternehmen attraktiver zu machen. Kann Samsung diesen Vorsprung noch aufholen?
Am Freitag gehen die neuen Flaggschiffe aus Südkorea in den Handel. Und es zeichnet sich schon jetzt ein Verkaufserfolg ab. Samsung hat nun bestätigt, dass zum Release des Galaxy S6 edge voraussichtlich nicht genügend Einheiten zur Verfügung stehen werden, um die Nachfrage zu decken. Einige Anbieter haben ihre bereits getätigten Vorbestellungen geändert, um mehr Einheiten des Galaxy S6 edge zu erhalten. Der Bedarf für das Modell wird in diesem Jahr wohl das Angebot übersteigen. Jubelmeldungen nicht mehr nur von Apple, sondern nun auch wieder von Samsung? Gewöhnen wir uns besser daran!