Während Facebook die breite Masse anspricht, hat Twitter ein Problem: Der Mikrobloggingdienst steckt auch nach Jahren noch in der Techie-Nische fest. Mit einem Redesign soll sich das bald schon ändern. Ob die Community diesen Schritt auch mitmacht?
Twitter, ein Nischenprodukt? Die Kurzantwort: Ja.
Twitter macht sehr viel Sinn. Aber nicht für Personen, die erst einsteigen. Tweets sind voll mit Abkürzungen und unerklärlichen Hashtags, das Aufbauen der Community ist eine unendliche Arbeit für alle, die nicht Kanye West heißen. Umso überraschter war ich, dass die Börse vergangene Woche so schockiert auf die stagnierenden Userzahlen der Plattform reagierte. Twitter, ein Nischenprodukt? Die Kurzantwort: Ja.
Nutzerzahlen enttäuschen
Die Sache ist natürlich viel komplizierter. Twitter-CEO Dick Costolo hat schon lange ein Problem damit, eine breite Masse anzusprechen. Bis Ende 2013 wollte der Geschäftsführer 400 Millionen aktive Nutzer erreichen. Es waren letztendlich nicht mehr als 241 Millionen.
Spätestens seitdem das Unternehmen den Börsengang offiziell kommunizierte, gingen seit Herbst beinahe täglich neue Features und kleine Optimierungen live. Die Start- und Registrierungsseite ist nicht mehr so spartanisch, wie sie einst war. "Beginne ein Gespräch, entdecke Deine Interessen und blicke durch", lautet der Call-to-Action.
Neues Design kopiert Pinterest und Facebook
Auch der beinahe kultig reduzierte Nachrichtenstream dürfte bald ausgedient haben. Am Dienstag sickerte ein Redesign des Twitter-Profils durch. So sieht die Seite künftig wie eine Mischung aus Facebook und Pinterest aus. Der neue News-Feed ist bildlastiger, nicht mehr vertikal geordnet, sondern ist ähnlich wie Pinterest magazinartig ausgerichtet.
Die optische Neuausrichtung ist zwar ansprechend. Dennoch taucht die Frage auf: Haben Non-Techies Lust auf ein zweites Facebook? Mit dem Relaunch könnte sich Twitter ins eigene Fleisch schneiden. Zwar sieht die Website weniger nerdig aus, wirkt aber zu nah am Social Network Nummer 1, um zum Einstieg zu motivieren.
Social TV und eCommerce als Retter
Eine weitere Chance, Nutzer zu fischen, die nicht Startup-CEOs, Journalisten oder Promis sind, ist das Fernsehen. Im Bereich Social TV hat Twitter in den vergangenen Jahren einige wichtige Akqusitionen gemacht. Zum einen versucht das Portal, das Second Screen-Verhalten seiner bestehenden User zu analysieren, zum anderen ruft Twitter aktiv zum Mitdiskutieren bei TV-Shows auf. Jedes große Netzwerk in den USA blendet für seine Produktionen die jeweiligen Hashtags ein. Und nicht zu vergessen: Schon jetzt befinden sich TV-Ereignisse sowie News von Justin Bieber in den "Trending Topics".
Reichen diese Bestreben aus, um vom Nischenprodukt zum relevanten Kommunikationskanal für den Durchschnittsnutzer zu avancieren? Twitter hat durchaus seine Berechtigung in der jetzigen Position. Doch mit dem Gang an die Börse steigt auch der Druck. Ebenso wichtig wie die Reichweite sind langfristig die Erlösquellen. Hier arbeitet das in San Francisco ansässige Unternehmen an einem neuen Projekt: einer Marktplatz-ähnlichen eCommerce-Plattform. So sehr die Experimentierfreude notwendig ist, Twitter läuft dabei Gefahr, seine Stärke zu vernachlässigen: ein prägnanter Nachrichtenkanal zu Themen aus aller Welt mit Menschen aus aller Welt.