Die Geschichte von Netflix ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Zeit, kurz vor dem Launch damit aufzuräumen.
Für deutsche Serienfans wird es wie Weihnachten, Geburtstag und die Ankunft der Erstgeborenen, wenn Netflix endlich, endlich, endlich auch hierzulande verfügbar sein wird. Und damit sind wir eigentlich schon beim Kern des Problems angekommen. Denn die Erwartungen an den On-Demand-Anbieter aus den USA sind überlebensgroß. Ist Netflix doch seit Jahren schon die Antwort auf gute Unterhaltung für alle, die sich teils angewidert, teils gelangweilt vom normalen Live-TV abgewendet haben. Denn Netflix hat Internet-Video bzw. Video-on-Demand salonfähig gemacht. Und mit „House of Cards“ Geschichte geschrieben, als das kalifornische Unternehmen zum ersten Mal mit dem Emmy für eine Web-Serie ausgezeichnet wurde.
Netflix Germany ist nicht der kleine Bruder von Netflix USA
Der Haken: In Deutschland schauten Serienjunkies bislang in die Röhre - oder schwarz. Was im Web bedeutet: Man lud die Serien, die gerade in den USA für Furore sorgten, illegal herunter. Das ist weder gut für das eigene Karma, noch für die Filmstudios, noch für Netflix selbst. Da verwundert es kaum, dass sich wohl noch sie so viele Menschen darauf gefreut haben, endlich Geld für einen Dienst im Web zu zahlen - das belegen zumindest die vielen, vielen Reaktionen auf unsere bisherige Berichterstattung.
Aber was bekommen wir dafür? Hier muss mit einigen Vorurteilen aufgeräumt werden. Bislang gehen viele Nutzer davon aus, dass Netflix den großen Content-Kuchen aus dem Mutterland USA in viele kleine Häppchen unterteilt: ein Happs „House of Cards“ für England, ein Löffelchen „Orange is the new Black“ für die Niederlande usw.. Falsch! Tatsächlich ist Netflix’ internationales Angebot weitaus komplizierter, aber auch mannigfaltiger als gedacht. So sind etwa die US-Serien wie „Fargo“ aktuell in den Niederlanden - und nur in den Niederlanden - auf Netflix zu sehen. Die letzten Folgen von "Breaking Bad" waren einen Tag nach der Ausstrahlung nur auf Netflix UK zu sehen, US-Netflix-User mussten sich noch einige Monate gedulden.
Letzten Endes kann man sich das Angebot wie eine Pyramide vorstellen: On top stehen die eigens produzierten Serien, wie etwa „House of Cards“, „Orange is the new Black“ und kommenden Titel wie „Sense 8“. Hier verhandelt der On-Demand-Anbieter vorab für alle Länder, in denen das Unternehmen aktiv ist. Ergo: Auch in Deutschland werden wir die Netflix-Serien zu sehen bekommen. Und ein Blick auf unsere Nachbarländer offenbart: sowohl im O-Ton mit und ohne Untertitel als auch synchronisiert. Das bestätigen uns auch mit dem Prozess vertraute Personen für Deutschland. So kommen echte Serien-Enthusiasten, die ihre Lieblingscharaktere lieber im Original hören wollen, auf ihre Kosten.
Netflix startet immer erst klein
Auf Stufe zwei stehen TV-Shows, die auf Netflix parallel zum regulären TV laufen - etwa „Breaking Bad“ oder aktuell „Fargo“. Hier verhandelt das Unternehmen für jedes Land einzeln, was die oben angesprochenen Effekte nach sich zieht. Garantien, dass diese Inhalte auch in Deutschland laufen werden, gibt es also nicht. Daran ändert auch der Start in mehreren EU-Ländern nichts: Lizenzen müssen mühsam von Land zu Land verhandelt werden. Als Stützpunkt für dieses Unterfangen hat sich das kalifornische Unternehmen die niederländische Metropole Amsterdam ausgesucht.
Zuletzt bleibt da noch die dritte Stufe der Content-Pyramide: staffelweise Serienfutter. Gemeint sind damit Staffeln von Episoden von Serien, die gerade im TV laufen - mit Ausnahme der aktuellen Folgen. Netflix’ Idee dahinter: Alle reden über eine neue Show, also habe ich bei Netflix die Möglichkeit, mir die bisherigen Folgen anzuschauen. Ist die aktuelle Staffel im TV ausgelaufen, ist sie einige Zeit später auch dort verfügbar. Diese Inhalte werden wir in Deutschland ebenfalls zu sehen bekommen.
Träumt nicht vom Urknall!
Doch wer jetzt auf den „Big Bang“ in der deutschen TV-Landschaft hofft, wer auf die Erfüllung all seiner Serien-Sehnsüchte wartet, wenn Netflix denn nun endlich in Deutschland live geht, der wird vermutlich bitterlich enttäuscht sein. Denn das Unternehmen ist dafür bekannt, mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner in neue Märkten zu starten. Was wir in Deutschland zu Beginn bekommen, sind die absoluten Basics: Netflix-Material und eventuell einige Staffeln zu aktuell laufenden Serien. Allerdings zeigt der Blick auf die Niederlande und auch Skandinavien, dass sich das Angebot recht schnell erhöht. Sehr schnell sogar. Schon nach wenigen Monaten hat sich die Zahl der verfügbaren Inhalte für Netflix Nederlands nach unseren Informationen schon verdoppelt.
Warum geht der Internet-TV-Pionier so vor? Ganz einfach: Netflix hat es verstanden, die Bedürfnisse seiner Kunden extrem gut auszuwerten. Warum etwa strahlt die Company begleitend zu AMC das „Breaking Bad“-Spinoff „Better Call Saul“ aus? Weil sie nicht nur tracken, welche Inhalte wir uns anschauen, sondern auch was uns daran gefällt bzw. wer. Während normale TV-Sender wie eh und je ihr Signal in den Äther ballern, betreibt Netflix smarte Analysen der eigenen massiven Datenströme, die mitunter 30 Prozent des gesamten US-Webtraffics ausmachen - in England sind es immerhin schon 16 Prozent. Und so wird auch Netflix Germany schnell wachsen und vor allem schnell dazulernen, was wir Deutschen denn nun gerne sehen: Romanzen im Rosamunde-Pilcher-Stil, Polit-Dramen à la „House of Cards“ oder doch den guten alten Krimi. Zumindest die immensen Einschaltquoten für den „Tatort“ am Sonntag legen die Vermutung nahe, dass auch Netflix Germany nach einiger Zeit über ein gut sortiertes Krimi-Archiv verfügt.
Partnerschaft mit Telekom ist sehr wahrscheinlich
Was Netflix auf jeden Fall beibehalten wird, ist sein dreistufiges Preismodell. Für 7,99 Dollar bekommen Zuschauer Zugriff auf einen Stream in Standard-Qualität, für 8,99 Dollar sind zwei HD-Streams verfügbar, mit dem Ihr und Eure Mitbewohner/Freunde/Freundinnen etwa eine andere Serie oder einen Film auf einem anderen Gerät mit Netflix-Zugang schauen könnt. 11,99 Dollar und Ihr bekommt Zugang zu vier Streams in High-Definition. Ob Netflix diese Preise exakt für den deutschen Markt anwendet, ist noch nicht bekannt. Doch der Blick nach England, Skandinavien und die Niederlanden zeichnet ein klares Bild: Netflix wird sehr wahrscheinlich die Dollar-Preise in Euros ummünzen.
Was Netflix mit Diensten wie Maxdome und Watchever hierzulande gemeinsam hat: Sie alle versuchen, auf möglichst vielen Geräten verfügbar zu sein: iOS, Android, Windows Phone, Xbox, Playstation - evt. sogar die Wii U - Netflix’ Strategie war es schon immer, möglichst einfach in die tagtägliche Nutzung der Zuschauer aufgenommen zu werden. Allerdings sieht es ganz danach aus, als ob sich in Deutschland eine kleine Premiere anbahnt: Gerüchten zufolge partnert das Unternehmen schon zum Start mit der Telekom. Der Nutzen für den Rosa Riesen ist klar: T-Home ist ein Konkurrenzprodukt zum Angebot von Sky. Mit Netflix als Schützenhilfe kann T-Home Mehrwert bieten.
Launch im September wahrscheinlich, 4K ein Muss
Und der Nutzen für Netflix? Noch mehr Verbreitung und dadurch die Möglichkeit, die Nutzerschaft zu erhöhen. Der On-Demand-Anbieter will das zwar offiziell nicht bestätigen, unsere Quellen halten die Partnerschaft aber für sehr wahrscheinlich. Zumal die Telekom ein solider Partner wäre in Sachen Bandbreite wäre. Die braucht Netflix auch, um - wie derzeit mit sämtlichen Folgen von „Breaking Bad“ angestoßen - Inhalte auch im super-hochauflösenden 4K anzubieten. Dass auch deutsche Nutzer in den Genuss der ultrascharfen Bilder kommen, steht einmal außer Frage. Jetzt braucht es nur noch flächendeckend bezahlbare Fernsehgeräte und die Bereitschaft der Nutzer, dafür auch Geld auszugeben.
Bleibt noch eine letzte Frage zu beantworten: Wann geht’s endlich los? Auch hier lässt sich Netflix zu keinem offiziellen Statement hinreißen, allerdings bestätigen unsere Quellen weiterhin einen Launch im September, wenn auch nicht unbedingt zur Monatsmitte - wobei Netflix Netherlands am 11. September 2013 live ging. Am wahrscheinlichsten ist zur Zeit ein Launch gegen Ende September.