Heute vor acht Jahren enthüllte Steve Jobs das bedeutendste Gadget des bisherigen Jahrtausends. Warum das iPhone immer noch unsere Zeit bestimmt. Eine Würdigung.
Wir sind alle Kinder unserer Zeit...
Das erste technische Gadget, das mein Leben veränderte, war 1985 ein Sony Walkman. Es folgte zwei Jahre später der obligatorische Plattenspieler samt Stereo-Anlage von Denon, die wieder zwei Jahre später um einen CD-Player von Sony erweitert wurde, einen Discman gab es ein Jahr später obendrauf.
Dann passierte sehr lange nichts. Tatsächlich waren die 90er-Jahre technologisch bis zum Aufkommen des Internets eine erstaunlich konstante Periode im Leben eines Teenagers und dann jungen Erwachsenen – erst der Kauf eines Macintosh-Computers 1997 veränderte mein Leben, das jedoch dann komplett.
Der unendliche Apple-Upgrade-Zyklus
In etwa Dreijahreszyklen erneuerte ich seitdem meine Macs: Um die Jahrtausendwende den G3, dann 2003 kam ein Powerbook hinzu, 2005 ein Mac mini, erst 2008 ein hochgerüsteter iMac, 2010 das MacBook Air und schon der nächste iMac, 2013 noch ein iMac und das MacBook Pro. Auch das ist eine Konstante, ohne Frage die längste meines Tech-Lebens.
Was ich noch nicht mitgezählt habe, ist die dritte Gadget-Dimension, die mich seit 2007 begleitet – das iPhone. Wie im vergangenen Jahr dargelegt, besaß ich bis 2012 alle iPhones – beim iPhone 5c und iPhone 6 habe ich ausgesetzt, ich war mit dem iPhone 5s ziemlich zufrieden und bin es nun mit dem iPhone 6 Plus.
Das iPhone bleibt das Maß aller Dinge
Auch wenn ich in den vergangenen 16 Jahren als Hardware-Nutzer immer wieder mit anderen Rechnern in Berührung kam – an der Uni und in einigen Jobs erzwungenermaßen mit Windows-PCs –, hat mich ein Wechsel nie interessiert; je älter man wird, desto mehr mutiert man zum Gewohnheitstier.
Im Mobilzeitalter ist es dasselbe. Auch wenn wir, wie im Jahresrückblick noch einmal dargestellt, im vergangenen Jahr enorm viele interessante Smartphones der Android-Konkurrenz kennengelernt haben, würde ich nicht tauschen wollen. Nicht nur, weil keines aus meiner Sicht besser wäre als das iPhone – sondern vor allem nicht grundsätzlich anders.
Das neue Jahrtausend begann 2007
Was mich zum heutigen Tag bringt. Vor exakt acht Jahren sprach Steve Jobs auf der Keynote der Mac World die historischen Worte: "Dies ist ein Tag, auf den ich mich seit zweieinhalb Jahren freue. Immer mal wieder kommt ein revolutionäres Produkt daher, das alles verändert. (…) Heute stellen wir gleich drei revolutionäre Produkte dieser Güteklasse vor. Das erste ist ein Breitbild-iPod mit Touchscreen. Das zweite ist ein revolutionäres Handy. Und das dritte ein bahnbrechendes Internet-Kommunikationsgerät.“
Riesenjubel im Moscone Center. Aber drei Produkte auf einmal? "Ein iPod. Ein Handy. Ein Internet-Gerät. Jobs spielt mit der begeisterten Menge und wiederholte die Schlagworte immer wieder. "Versteht Ihr? Das sind nicht drei unterschiedliche Geräte. Es ist nur ein einziges. Und wir nennen es iPhone!"
Zwischen 2006 und 2008 hat sich mehr verändert als zwischen 2008 und 2015
So skeptisch das iPhone zum Launch im Juni 2007 betrachtet wurde, so durchschlagend war der Erfolg in den Jahren ab der Einführung des AppStores 2008. Das iPhone veränderte tatsächlich alles. Es gab die Zeit vor dem iPhone – und danach. Überraschenderweise hat sich zwischen 2006 und 2008 mehr verändert als zwischen 2008 und 2015. Das iPhone veränderte unser Leben von Beginn in fundamentaler Hinsicht:
• Das Internet ist immer da und greifbar
Wenn wir vor der iPhone-Ära unterwegs waren, waren wir fort. Wir waren nicht erreichbar, es sein denn über die 160-Zeichen Kontaktkrücke SMS oder eben altmodischem Anruf. Es wurde nicht erwartet, zu jedem Zeitpunkt informiert zu sein. 2007 gab es noch mobile off-time.
Anders mit dem iPhone. Nach einem halben Jahr iPhone-Nutzung stellte ich im Mai 2008 begeistert fest: "Das iPhone bietet seinem Benutzer völlig neue Kommunikations-, Interaktions- und Informationsmöglichkeiten – es ist tatsächlich zum ersten Mal das Internet in der Westentasche, wie auf der Keynote versprochen.
Wie toll ist das eigentlich?! Spiegel Online, Facebook oder YouTube am Strand, in Bus, Bahn oder im langweiligen Wartezimmer beim Arzt! eMails lassen sich kinderleicht schreiben und funktionieren anywhere, any time. Aktienabfrage genauso. Aktuell geschossene Bilder lassen sich sofort per Mail versenden – nix 49 Cent pro pixeliger MMS. Geht man mal auf der längeren Fahrradtour in den Vier- und Marschlanden verloren, bietet Google Maps verlässlich erste Hilfe. Und den besten iPod aller Zeiten gibt es obendrein auch noch.“ Was heute wie eine totale Banalität erscheint, veränderte vor sieben Jahren von einem auf den anderen Tag Lebensqualität und -gewohnheiten.
• Wir sind ununterbrochen online
Und nicht nur das: Mit dem iPhone änderte sich auch unser Online-Verständnis. Das Internet kam buchstäblich in unsere Westentasche, was ab Ende 2007, als die ersten iPhone-Besitzer auch in Deutschland durch die Stadt zogen, zu Irritationen führte. „Warum schaust du dauernd auf dein Handy?“, bekam ich immer wieder zu hören. „Wartest du auf irgendwas? Ist irgendwas?“
„Weil ich es kann“, würde die Antwort wohl Social Media-gerecht heißen, die eigentlich meint: „Weil es immer etwas zu sehen gibt.“ So verlief das erste, eher passive Halbjahr: Der Internet-Konsum erhöhte sich exponentiell, bei jedem noch so kleinen Zeitfenster im Alltag wurde das iPhone gezückt.
Mit der Einführung des App Stores 2008 gewann das iPhone indes auch Oberhand über unser Privatleben, weil Apps uns plötzlich aufforderten, unser Leben digital zu dokumentieren. Auf Facebook. Twitter. Und seinerzeit noch Flickr.
• Wir führen ein digitales Leben in Echtzeit
Plötzlich wurden Bilder nicht mehr für uns geschossen, um sie abends auf dem Computer zu betrachten, sondern um sie möglichst schnell mitzuteilen. Dasselbe in den aufkommenden sozialen Netzwerken, die ohne das iPhone nie ihren Siegeszug angetreten hätten.
Mit dem iPhone kam erst die Möglichkeit, dann schnell der Zwang zur Selbstdarstellung in Echtzeit auf: Es wurde plötzlich der Status gepostet, Tweets versendet. Mit einem Wort: Das iPhone veränderte unser Leben, indem es unsere Außendarstellung veränderte – und damit unser Verhalten. Ob wir wollen oder nicht: Wir sind alle unmerklich zu kleinen oder großen Posern geworden, die die unbewusste Notwendigkeit verspüren, unser Leben digital und öffentlich so vorteilhaft wie möglich abzubilden.
• Wir sind ununterbrochen präsent
Und selbst, wenn wir an der sozial-medialen Selbstdarstellung nicht teilhaben, wird seit dem iPhone doch vorausgesetzt, dass wir ständig on, ständig präsent sind. Es wird erwartet, dass wir Breaking News in Echtzeit konsumieren, weil sie auf unseren Startbildschirm gepusht werden.
Sind wir uninformiert, ist die Verwunderung groß. Sind wir nicht erreichbar, noch größer. Unser Leben ist durch die Verbreitung des iPhones zum blauen WhatsApp-Doppelhaken geworden: Allein die Tatsache, dass wir über ein iPhone oder anderes Smartphone verfügen, bringt die Erwartungshaltung mit, immer präsent zu sein. Wer nicht sofort antwortet, meint es wohl so – und begeht also einen Affront.
Man mag all diese sozio-kulturellen Folgen verteufeln – allein: Rückgängig machen lassen sie sich nicht mehr. Das iPhone ist das Medium, das das Internet wirklich untrennbar in unser Leben brachte und die Grenze zwischen Online-Junkies und dem Rest der Bevölkerung aufhob. Das Internet ist Alltagsrealität in Echtzeit.
All das hat sich binnen eines Jahres verändert – vom ersten iPhone zum iPhone 3G. Es ist der eine große Quantensprung dieses Jahrtausends in technologischer Hinsicht. Aber seitdem? Lediglich Nuancen haben sich von Jahr zu Jahr und Specs zu Specs verändert:
• Die immer bessere Kamera killt die Digitalkamera und den Camcorder
Seit 2010 trat das iPhone in seiner vierten Generation, die mit einer 5 Megapixel-Kamera daherkam, gegen Digitalkameras an. Smartphone-Fotografen gewannen Foto-Wettebewerbe, jeden Moment des Lebens (Essen inklusive #foodporn) festzuhalten, wurde zum neuen Volkssport. Dem iPhone 3Gs spendierte schon Apple 2009 32 GB Speicher, ab dem iPhone 4S 2011 standen 64 GB zur Verfügung, seit September nun 128 GB. Mehr Speicher, mehr Bilder, mehr Videos.
• Die bessere Frontkamera ermöglicht den Selfie-Trend
Ein neues Spielzeug zur Selbstbespiegelung erhielten Smartphone-Fotografen mit einer verbesserten Frontkamera. Spätestens seit 2013 sind immer mehr debil ins Netz gestellte Smartphone Gesichter an allen Ecken der Welt zu besichtigen – Selfies überschwemmen die sozialen Netzwerke. Aber sonst?
Das Überraschendste beim Blick zurück ist aber: So lang wie ich in den 90er-Jahren das Gefühl hatte, dass sich technologisch wenig veränderte, so sehr kommt es mir zumindest ebenfalls in dieser Dekade vor, die nun auch schon zur Hälfte herum ist.
In den ersten Minuten des neuen Jahrzehnts stand ich seinerzeit mit meiner heutigen Frau auf einem Festplatz, das iPhone in der Hand und habe von den Feuerwerkssalven ein Video geschossen, das ich auf Facebook posten wollte, was seinerzeit noch an der Länge von mehrere Minuten scheiterte. Fünf Jahre später stehe ich Silvester am Altonaer Balkon und schieße ein Video, das ich auf Instagram posten will, bis mir einfällt, dass ich das neue Jahr auch anders beginnen könnte, mit einer Social Media-Diät – aber das ist schon wieder ein anderes Thema.
Fest steht: Von 2010 bis 2015 hat sich technologisch erstaunlich wenig verändert.
Die Smartphones sind flacher, schneller, haben mehr Speicher, aber das iPhone bleibt der absolute Goldstandard, das beweist der jüngste Käuferansturm. Facebook ist immer noch Facebook oder eben Instagram, was am Ende doch wieder Facebook bedeutet. Die Nutzung ist fast die gleiche: Wir sind, was wir posten.
Wie wenig Unterschied also ein halbes Jahrzehnt machen kann! Ob ihn nun zur Halbzeit der 10er-Jahre die nächste Produktkategorie, die Apple Watch macht? Ziemlich fraglich. Es spricht einiges dafür, dass die 10er-Jahre als die goldene iPhone-Ära in die Geschichte eingehen und erst in der nächsten Dekade das nächste große Ding kommt, das wieder alles verändert.