Schon gewusst: Apple ist Microsoft. Also, das neue Microsoft. Versteht sich. Soll heißen: Apple ist geliefert. Denn: Microsoft ist auch geliefert. Seid Ihr jetzt verwirrt? Ich bin es auch. Und genervt. Ein Abgesang auf den ewigen Apple-Abgesang.
Zunächst einmal: Woher stammt der Vorwurf? Vom Business Insider. Unter anderem. Auch deutsche Journalisten haben ihn wiedergekäut. Es ist ein Vorwurf, der gleichermaßen naheliegend wie plump ist.
Wie ist er gemeint? Es geht, einmal mehr, um Innovation. Der Gedanke: Wer zu groß und zu erfolgreich ist, kann, vor allem in gesättigten Märkten, nicht mehr innovativ sein. Und weiter: Wer nicht innovativ ist, der kann einpacken.
Wann denn? Da gehen die Meinung auseinander. Von "nächstes Quartal" bis "in zwei Jahrzehnten" scheint alles möglich. Einigen wir uns auf "bald".
Was meint es auch noch? Apple hat falsch gewettet. Microsoft etwa auf den Computer. Das ging lange gut, aber irgendwann nicht mehr. Bei Apple heißt das für die Analysten: Der Konzern setzt alles aufs iPhone. Und wenn das "peakt", also auf dem absoluten Höhepunkt angekommen ist, dann kann es zwangsläufig nur bergab gehen. Denn, so die Stoßrichtung, Apple ist ja wie Microsoft damals: abartig erfolgreich.
Apple wiederholt nicht Microsofts Fehler
Ist Microsoft also Apple? Ihr kennt die Antwort. Nicht nur das Ende der PC-Ära brach dem Redmonder Riesen vor vielen Jahren das Genick. Es war das diffuse Ökosystem aus Abermillionen unterschiedlichster PC-Konfigurationen, auf denen ein System laufen musste, das eben aus diesem Grund der größte Kompromiss war. Usability: Fehlanzeige.
Was macht Apple? Vor allem behält der Konzern die Kontrolle. Über sein Desktop-Betriebssystem, sein mobiles Betriebssystem, die Produkte, auf denen sie laufen, sowie die Vertriebswege für Software - den App Store. Gibt Apple diese Kontrolle, die einigen Android-Fans seit Äonen die Zornesfalten auf die Stirn treibt, auf lange Sicht ab? Nicht in diesem Leben.
Hat Apple Flops produziert? Wenn ich an die erste Version von Apple Maps, das Möchtegern-Social-Network Ping oder das Antennagate beim iPhone 4 denke, dann ja: Apple hat auch epische Flops produziert. Mit Blick auf die Verkaufszahlen allerdings sieht es ganz anders aus. Bis dato sind eine Milliarde iOS-Geräte im Umlauf. Sowas nennt man wohl eine solide Basis.
Peaken denn wenigstens die Produkte? Gemessen an Apples sonstigen Verkaufsrekorden dürfte man in Cupertino mit der Apple Watch nicht zufrieden sein. Deswegen verschwindet die Smartwatch auch unter "Andere Produkte" in den Bilanzen. Doch selbst wenn Apple "nur" zwei Milliarden Dollar damit umgesetzt hat, ist das noch um Lichtjahre mehr als alle anderen Hersteller von Smartwatches zusammengerechnet. Dann wäre da noch das iPad- Auch das Alpha-Tablet wird nicht den Abwärtstrend bei den Flachrechnern aufhalten können, deren Verkäufe seit Jahren rückläufig sind. Es scheint bei den Tablets wie mit den Fernsehern zu sein: Man braucht nicht jedes Jahr, auch nicht jedes zweite oder dritte Jahr, ein neues Gerät. Und das iPhone? Macht mittlerweile 68 Prozent von Apples Umsatz aus. Der wohlgemerkt 75,9 Milliarden Dollar ausmacht. Im Quartal. Der Gewinn: 18,4 Milliarden. Im Quartal. Vergleich gefällig? LG machte im vergangenen Quartal einen Umsatz von 12,57 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 1,03 Milliarden Dollar.
Innovation ist spannend, aber nicht alles
Was mich an dieser Wall-Street-orientierten Diskussion stört, ist deren Tragweite. Mit Absatzzahlen und Analysteneinschätzungen richtet sich Apple per se an Anleger, nicht an Kunden. Dennoch schlägt sie in dieselbe Kerbe wie die eben jene, die dem Konzern seit Jahren vorwerfen, nicht mehr innovativ zu sein.
Hier sind meine "two cents" zum Thema Innovation aus Nutzersicht: überbewertet. Als Journalist habe ich den allergrößten Spaß daran, auf der CES in Las Vegas schon die Produkte auszuprobieren, die vielleicht erst in ein paar Jahren auf den Markt kommen. Auf Kickstarter funde ich immer wieder spannende Ideen. Innovation ist toll - solange ich nicht jeden Tag damit leben muss. Ich will Produkte, die funktionieren. Die sich in mein technisches Ökosystem eingliedern und mir das Leben erleichtern. Das mag für viele ein Android-Gerät sein, bei mir ist es aktuell das iPhone.
Dabei zeichnet sich auf dem Androidmarkt ein ähliches Bild: Samsung streicht die höchsten Gewinne ein und dominiert - auch wenn es ausreichend innovative, disruptive Unternehmen gibt. Etwa OnePlus. Doch wie so oft zeigt sich: An Innovation mühen sich die Early Adopter ab, während die Masse lieber zu Erprobtem greift.
Der Analyst und die tickende Zeitbombe
Schlimmer noch als die Tatsache, dass zu viel Wert auf die Unkenrufe von Analysten gelegt wird, ist die Annahme, sie wüssten wirklich mehr. De facto verfügen Analysten über Kontakte zu Zulieferern, die wiederum nur zu geringen Teilen in die Produktionsprozesse bei Apple eingeweiht sind. Dass man damit auch über Jahre kolossal falsch liegen kann, zeigte jüngst der Fall von Adnaan Ahmad.
Ahmad war die letzten Jahre für die Berenberg Bank aktiv, die nun das Beschäftigungsverhältnis mit dem Analysten beendet hat, berichtet Fortune. Ahmad hatte zum Beispiel dem iPhone 6 einen geringen Erfolg vorhergesagt – und seine Prophezeiung auch dann nur leicht korrigiert, als sich das Smartphone Anfang 2015 auf der ganzen Welt äußerst gut verkaufte. Zuletzt hatte der Apple-Kritiker im Oktober mit seinem Artikel "Apple: Eine tickende Zeitbombe" für Aufsehen gesorgt und die Meinungen deutlich gespalten. Nun musste Ahmad seine Stelle bei der Berenberg Bank unfreiwillig räumen, wie er Ende Dezember bekannt gab.
Ein Stück vom Apfelkuchen
Was ich damit versuche zu vermitteln: Nur Apple weiß vollumfänglich, was kommt. Kommt das kleine iPhone 5se? Vermutlich. Würde es ein Erfolg werden? Sehr wahrscheinlich. Vor allem, wenn Apple sich damit auf die Einsteiger-Märkte konzentriert.
Und damit sind wir schon bei Punkt drei angekommen: Die Diskussion ist eine Ausgeburt der Filterbubble, in der wir leben. Hochtechnisiert, wohlhabend, westlich. Doch was spätestens die irren iPhone-Verkäufe in China gezeigt haben: Auch der Rest der Welt will ein Stück vom Apfelkuchen. Bislang hat sich Apple komplett auf das Luxussegment konzentriert. Um dauerhaft Erfolg in Schwellenländern zu haben, müsste der Konzern also langfristig auch über Mittelklasse-Modelle nachdenken.
Das würde unter anderem geringere Margen bedeuten. Und damit einen geringeren Gewinn pro verkauftem iPhone. Anleger werden es hassen, Fans werden es lieben. Und das ist, zumindest die nächsten 20 Jahre das, was zählt. Apple braucht die Wall Street nicht in dem Maße, wie es uns die Diskussion zunächst glauben lässt. Das sähe anders aus, wenn sich der Konzern nicht ein kleines Barvermögen angespart hätte über die vergangenen Jahre: 216 Milliarden Dollar. Oder wie man das in der Finanzbranche nennt: Peanuts...