Das Versprechen klingt gut: Wer das Lumia 950 XL von Microsoft nutzt, kann getrost auf einen Computer verzichten. Das stimmt – wenn man keine Ansprüche hat.
Man muss Microsoft zu Gute halten, dass der Konzern nicht aufgibt. Die mobile Revolution ist zwar fast spurlos an Redmond vorbeigezogen, aber dennoch sollen Smartphones mit installiertem Windows auch künftig eine große Rolle in den kleinen Taschen der Nutzer spielen. Obwohl ich seit Jahren vor allem das iPhone nutze, bin ich ein Fan des Smartphone-Windows. Die Kacheloptik überzeugt mich und gefällt mir besser als die Icon-Parade auf iOS und Android. Alles wirkt aufgeräumter, die Optik lässt sich zudem mit Bordmitteln nach eigenen Wünschen anpassen.
Doch vor allem aufgrund der schlechten App-Situation sieht das mobile Windows-Betriebssystem in der Käufergunst kaum eine Schnitte. Selbst nach dem Kauf der Smartphone-Sparte von Nokia schafft Microsoft nicht die Trendwende. Mit dem Lumia 950 XL (das auch im Test ordentlich abgeschnitten hat) hat der Konzern allerdings ein Gerät veröffentlicht, das mir wieder Lust auf einen Wechsel machen könnte. So dachte ich jedenfalls, als ich das Smartphone das erste Mal in die Hand nahm. Das liegt sicher nicht an dem eher langweiligen Design, sondern eher an dem Versprechen, dass es mit dem Dienst Continuum künftig egal ist, ob eine Anwendung für den Desktop oder dem Smartphone entwickelt wurde. Ein System für alle Geräte – ein schöner Gedanke.
Flaggschiff einmal anders
Kameraleistung, Prozessor oder Verbindungsmöglichkeiten – das Lumia 950 XL ist technisch ein Top-Gerät. Und der Straßenpreis von derzeit 500 Euro ist absolut konkurrenzfähig. An Bord ist alles, was für einen schnellen Start benötigt wird, sogar ein vollständiges Office-Paket ist installiert. Der Umstieg von iOS auf Windows ist simpel, schließlich hilft mir das Smartphone beim Umzug meiner Daten. Und da ich meinen Kalender per Google synchronisiere, sind die Einträge auch schnell auf dem Smartphone sichtbar.
Ja, Microsoft macht mir den Wechsel von einem anderen System einfach – aber nicht schmackhaft. Vielleicht bin ich auch einfach nur voreingenommen. Aber wenn ich Kunden von einem Switch überzeugen will, würde ich mit besonderen Angeboten locken. Zum Beispiel, dass man das Windows-Pendant der meistgenutzten Apps kostenlos herunterladen kann. Klar kostet das Geld, aber warum soll es meines kosten?
Zum Glück sind viele für mich wichtige Apps wie Facebook oder Whatsapp kostenlos abrufbar. Aber leider haben viele Entwickler keine passende Software für Windows entwickelt. Neflix kann ich zwar installieren, aber wenn ich Amazon Prime Music oder Tidal installieren möchte, muss ich auf inoffizielle Versionen setzen. So wie auch bei einer Lösung, Musik per Airplay auf meine Stereoanlage zu übertragen. Auch wenn das Gerät technisch dazu in der Lage ist, hat Microsoft darauf verzichtet, die entsprechende Lizenz zu kaufen.
Mehr Möglichkeiten
Doch das sind nur Kleinigkeiten. Natürlich ist ein Systemwechsel anfangs immer doof und umständlich. Und da das System selbst sehr angenehm zu bedienen ist, nehme ich die Startschwierigkeiten in Kauf. Zumal ich mir ja wie schon gesagt verspreche, künftig mehr mit dem Smartphone machen zu können.
Bei diesem Vorhaben hilft mir das Display Dock von Microsoft. Der kleine Kasten erinnert optisch an Apple TV, bietet aber mehr Anschlüsse: Neben zwei USB-C-Eingängen verfügt das es über drei weitere USB-Eingänge, einen Display-Port und einem HDMI-Eingang. Ist das Dock an einen Monitor oder Fernseher angeschlossen, kann ich darüber das Display des Smartphones spiegeln und noch eine Tastatur, eine Maus oder einen externen Speicher anstöpseln. Zack, fertig ist der Mini-PC.
Tatsächlich kann ich nun wie an einem Computer meine Texte schreiben oder Medieninhalte abrufen. So habe ich mir in dieser Konstellation eine Serienfolge auf Netflix angeschaut, ein Word-Dokument erstellt, ein paar E-Mails bearbeitet und im Internet gesurft. An einigen Stellen hat es zwar ein wenig geruckelt, aber eigentlich funktioniert es. Eigentlich. Immer wieder stoße ich bei der Nutzung an Grenzen. Einige Funktionen des Smartphones sind nicht bei der regulären Windows-Nutzung vorhanden, dann springt das Menü wieder auf die Telefonbedienung.
Es kickt nicht
Dennoch reicht die Leistung und der Funktionsumfang für kleinere Aufgaben. Bei Präsentationen muss ich zum Beispiel keinen großen Laptop mitschleppen, das Smartphone genügt. Auch im Urlaub, wenn ich am Hotel-Fernseher Netflix schauen möchte, kann ich mich getrost auf diese Lösung verlassen. Dennoch hat mich diese Kombi zu keinem Zeitpunkt gekickt. Und das ist wahrscheinlich nicht einmal die Schuld von Microsoft.
Im Prinzip ist die Idee wirklich gut, dass Smartphone so leistungsstark zu machen, dass auf weitere Hardware verzichtet werden kann. Doch Microsoft ist zu spät dran. Inzwischen sind die wichtigsten Dienste cloudbasiert. Dank Onlinespeicher, Streamingdiensten und webbasierten Services ist es unnötig, sich auf ein Betriebssystem festzulegen. Mir ist es schlichtweg egal, welches OS ich nutzte – so lange ich meinen digtialen Lifestyle damit bedienen kann.
Doch Microsoft will den Wechsel. Statt auf ein wirklich offenes System setzt man eben auf eine neue geschlossene Gesellschaft. Dabei wäre es doch eine große Chance, Maßstäbe zu setzen. Es gab Gerüchte, dass künftig auch Android-Apps auf Windows-Smartphones laufen sollen. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. So sehr es mir in Einzelfällen Freude macht, das Lumia zu nutzen – meistens fühle ich mich ein wenig abgeschnitten. Beispielsweise wenn Apps für andere Systeme mit neuen Features ausgestattet werden, Windows-Nutzer aber in die Röhre gucken. Aus Entwicklersicht ist das verständlich, denn so richtig attraktiv scheint es nicht zu sein, für Windows-Geräte Apps zu entwickeln.
Nur ein Ausflug
Wäre ich ein richtiger Business-Typ, also dauernd im Anzug auf Geschäftsreise, um dann im ICE oder Flugzeug noch schnell eine Präsentation zu schreiben – vielleicht wäre das Windows-System für mich eine Alternative zum Geschäftstelefon. Doch ich trenne nicht. Mein Smartphone nutze ich sowohl privat, als auch beruflich. Und da spielt eben auch der Spaß eine Rolle. Die Hardware soll klasse aussehen – und nicht wie ein Werkzeug für Schreibtischtäter. Es soll mich unterhalten, im Büro und in meiner Stube. Ich möchte damit all die Möglichkeiten nutzen, die mir das smarte Leben da draußen verspricht. Und nicht nur die, die mir Microsoft mit Hilfe eines Docks am Monitor ermöglicht.
Vier Wochen habe ich nun vor allem das Lumia 950 XL benutzt, mal am Fernseher, mal am Monitor, meistens jedoch als reines Smartphone. Es war es ein Ausflug zurück in die Windows-Welt. Zurück dorthin, wo mein digitales Leben überhaupt erst begann. Aber halten kann mich diese Welt nicht mehr. Ich bin erwachsen geworden – für Windows auf dem Smartphone aber offenbar noch nicht erwachsen genug.