Jetzt ist es also auch in Deutschland erhältlich. Die Rede ist nicht vom iPhone 6 oder dem Samsung Galaxy Note 4, sondern vom Amazon Fire Phone. Was das Erstlings-Smartphone von Amazon taugt, verraten wir Euch im Test.
Drei Monate hat es gedauert, bis Amazon es geschafft hat, das Fire Phone nach Deutschland zubringen. Ein nicht sehr geschickt gewählter Zeitpunkt: Auf der ganzen Welt stürzen die Menschen sich auf das iPhone 6 und 6 Plus, oder warten gespannt auf den Verkaufsstart des Samsung Galaxy Note 4 oder auch auf die Vorstellung eines neuen Nexus Smartphones. Trotzdem wollen wir dem Fire Phone und Amazons Bestreben, Apple die Krone wegzuschnappen, eine Chance geben und testen das Shopping-Smartphone auf Herz und Nieren.
Design: Vorne pfui, hinten hui
Etwas erinnert das Fire Phone mit seinem kantigen Gehäuse und dem kratzfestem Gorilla-Glas auf Vorder- und Rückseite an eine Wiederauferstehung des iPhone 4s. Nur der Rahmen ist nicht aus Edelstahl, sondern aus Kunststoff. Mit dem 4,7-Zoll-Display ist das Amazon Fire Phone natürlich größer als zum Beispiel ein Samsung Galaxy S5. Am nächsten kommt es von der Größe her einem Apple iPhone 6.
Für das Design bekommt das Fire Phone von Amazon aber keine Preise. Die Front wirkt durch die fünf Kameralöcher unruhig und auch der hervorstehende Home Button verschönert das Bild nicht unbedingt. Von hinten betrachtet macht das Fire Phone hingegen einen guten und hochwertigen Eindruck, auch weil hier, wie schon erwähnt, Gorilla Glas zum Einsatz kommt.
Von der Verarbeitung und der Haptik her entspricht das Fire Phone eher dem Durchschnitt. Auch hier hilft der Einsatz von Gorilla Glas auf der Vorder- und Rückseite, um den Qualitätseindruck zu verbessern. Glas fühlt sich einfach wertiger an als schnödes Plastik.
Display: 720p nicht mehr zeitgemäß
Ach, Amazon, mit einem 4,7 Zoll großen Display, das nur eine Auflösung von 1280 x 720 schafft, kann man doch keine potentiellen Käufer mehr anlocken. Auch, wenn das Display zu den besseren seiner Gattung gehört und immerhin mit einer Pixeldichte von 315 ppi glänzen kann, ist es nicht mehr zeitgemäß.
Wer über dieses kleine Manko hinwegsehen kann, darf sich über ein gutes und helles Display freuen, dass auch in extremen Betrachtungswinkeln kaum Farbverschiebungen aufweist. Solche Betrachtungswinkel sind auch notwendig, da das Fire Phone von Amazon in der Front über vier Infrarot-Kameras verfügt, die die Position der Augen des Betrachters messen und entsprechend einen 3D-Effekt auf dem Display generieren.
Software: Android a la Amazon mit 3D-Effekten
Amazon verwendet für das Fire Phone eine sehr stark angepasste Android-Version mit der Bezeichnung Fire OS. Auf unserem Testgerät ist die Version 3.6 installiert und erinnert überhaupt nicht mehr an Android. Dementsprechend befindet sich, wie soll es auch anders sein, kein Google Play Store auf dem Fire Phone. Der Transfer von alten, im Play Store erworbenen Apps auf das Fire Phone ist aus diesem Grund auch nicht möglich.
Die Software Oberfläche von Fire OS ist komplett anders gestaltet, als man es von Android, Windows Phone oder iOS gewohnt ist. Auf dem eigentlichen Home Screen werden die Apps und auch die zuletzt genutzten Funktionen und Inhalte in Form großer Icons in einem Menü-Karussell dargestellt. Mit einem Fingerwisch dreht Ihr das Menü-Karussell zur nächsten App. Unterhalb der jeweiligen Apps werden die wichtigsten oder neuesten Inhalte aufgelistet, etwa die letzten E-Mails, neue Termine oder die zuletzt geschossenen Fotos.
Schon hier spielt Amazon mit dem 3D-Effekt, der mittels der vier Kamerasensoren in der Front des Fire Phones erzeugt wird. Neigt Ihr Euren Kopf etwa in eine Richtung, dann drehen sich die Icons entsprechend mit und erzeugen einen räumlichen Eindruck. Diesen 3D-Effekt nutzt Amazon auch in zahlreichen anderen Anwendungen, wie der Karten-App, in Spielen und sogar in der eigenen Shop-App. Durch Bewegen des Kopfes scrollt Ihr dort beispielsweise durch die Produktbilder. Nette Funktion, doch ließe sich so ein Feature sicherlich auch bei anderen Smartphones und mithilfe des Lagesensors bewerkstelligen.
Eine der besonders interessanten Fire OS Apps ist Firefly. Mit dieser Anwendung soll es möglich sein, Objekte, TV-Serien, Filme, Musikstücke, Verpackungen und mehr zu identifizieren und mit dem Amazon-Angebot abzugleichen. Findet Firefly dann im Onlineshop passende Produkte, werden sie Euch direkt angezeigt, damit Ihr sie kaufen könnt. In unserem Hands-On-Video haben wir Firefly mit einer Flasche Fritz Cola ausprobiert und tatsächlich bot Firefly direkt einen Kauflink an.
Kamera: Gute Bilder aber zu langsam
Die 13 Megapixel der Hauptkamera sind auf dem Papier schon etwas Feines, auch wenn man von der reinen Pixelzahl nicht auf die Qualität der Bilder schließen sollte. Das Fire Phone von Amazon macht qualitativ für ein Smartphone gute Bilder. Leider ist die Handhabung nicht wirklich intuitiv. Bestes Beispiel ist der dedizierte Auslöser: Dieser befindet sich unterhalb der Lautstärketasten und ich habe mich beim Test schon mehrfach dabei erwischt, wie ich immer wieder eine davon gedrückt hatte, um ein Bild zu schießen. Warum die Ingenieure von Amazon den Auslöser an dieser ungewöhnlichen Stelle platziert haben, ist mir schleierhaft. Jede normale Kamera oder jedes Smartphone, wenn es über einen physischen Auslöser verfügt, hat diesen an der rechten äußeren Seite des Gehäuses platziert.
Auch verwirrend ist die Doppelbelegung der Kamerataste. Zum einen dient sie als Auslöser für die Kamera; zum anderen sorgt längeres Drücken und Halten sorgt dafür, dass statt der normalen Kamera-App Firefly gestartet wird. An sich ist die Idee grandios, nur die Umsetzung ist mangelhaft. Firefly soll den Besitzer eigentlich dabei unterstützen, während der Einkaufstour die gewünschten Produkte zu scannen und die aktuellen Preise bei Amazon zu zeigen. Ist das gewünschte Produkt bei Amazon günstiger, dann braucht Ihr nur wenige Klicks und schon befindet sich das Objekt der Begierde im virtuellen Einkaufswagen und Ihr könnt es Euch nach Hause schicken lassen.
Soweit die Theorie – im Alltag funktioniert das aber nicht. Meine Sneakers, die Wasserflasche und meine Kaffeesorte hat Firefly überhaupt nicht erkannt. Scanne ich mein MacBook Air ein, wird mir eine Tastatur vorgeschlagen. Der YouTube-Trailer von "Star Trek Into Darkness" wiederum war ein Volltreffer und Firefly bot mir den Film per Amazon Prime Video direkt an. Auch als ich testweise Helene Fischers "Atemlos" anspielte, bot Firefly mir direkt den Kauf des Tracks per Amazon Musik Shop an. Ihr seht also: Firefly ist aktuell zum Testzeitpunkt ein Glücksspiel. Entweder Ihr habt Glück und könnt das gewünschte Produkt mit einigen wenigen Klicks per Amazon kaufen, oder ihr habt Pech und müsst doch manuell per Amazon Shop App danach suchen. Man kann nur hoffen, dass Amazon die Erkennungsrate von Firefly in den nächsten Wochen und Monaten deutlich steigern kann, ansonsten sehe ich schwarz für das Fire Phone und Firefly.
3D Bilder selbst erstellen
Dreidimensionale Bilder stehen im Fokus des Amazon Fire Phones, da ist es nicht verwunderlich, dass es auch Pseudo-3D-Bilder erstellen kann. Die Funktion ist in der Kamera-App versteckt und nennt sich Linsenraster. Ihr knipst hier selbst mehrere Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei das zuletzt aufgenommene Bild immer als Orientierungshilfe über das nächste zu schießende Bild gelegt wird. Nach mehreren Sequenzen könnt Ihr dann das Pseudo-3D-Bild auf dem Fire Phone betrachten oder in der Amazon Cloud abspeichern und den Link verschicken. Schaut Ihr Euch das geschossene Bild auf dem Fire Phone an, könnt Ihr auch hier wieder die Headtracking-Funktion nutzen, um den 3D-Effekt darzustellen.
Leistung: Auf Google Nexus 5-Niveau
Die Leistung des Fire Phones von Amazon ist mehr als ausreichend. Durch das UI von Fire OS gleitet man dank des 2,2 GHz schnellen Quad-Core-Prozessors nur so dahin und auch in anspruchsvollen Games wie Real Racing 3 und Sky Force 2014 gibt es keine störenden Ruckler zu verzeichnen. Vergleichen lässt sich das Amazon Fire Phone von der Hardware her am besten mit einem Google Nexus 5. Laut GeekBench 3.0 – das ist auch das einzige Benchmark-Programm, das sowohl im Google Play Store als auch im Amazon App Store verfügbar ist – liegt das Fire Phone dicht hinter dem Google Nexus 5.
Alltagseinsatz: Akku gut, Sprachqualität gut, klasse Entertainer
Im Inneren des Amazon Fire Phones sitzt ein 2400-mAh-Akku, der das Smartphone gut über einen Arbeitstag bringt. Positiv fällt hier auf, dass der ganze Schnickschnack an 3D-Effekten inklusive Headtracking durch die vier zusätzlichen Kameras nicht negativ ins Gewicht fällt.
Über die Sprachqualität muss man nicht viele Worte verlieren. Alle Gesprächspartner haben mir bescheinigt, dass sie mich gut und klar verstehen konnten und das gleiche galt auch auf meiner Seite. Was mich aber störte, war wieder einmal der sehr dicht an den Lautstärke-Tasten platzierte Kamera- und Firefly-Button. Es passierte öfters, dass ich die Lautstärke ändern wollte und ungewollt die Kamera startete.
Erstaunlich ist der Sound, der aus dem Fire Phone herauskommt, wenn es um Musik und Filme geht. Die Stereo-Lautsprecher sitzen im Gehäuserahmen an der Ober- und Unterseite. Wird das Fire Phone im Landscape-Modus mit beiden Händen gehalten, dann bilden die eigenen Hände gute Sound-Trichter und die Schallwellen können so ausgerichtet werden. Dreht Ihr das Fire Phone auf volle Lautstärke, dann könnt Ihr damit auch einen kleinen Raum gut beschallen.
Fazit: Unnütze 3D-Effekte, aber Ökosystem mit viel Potenzial
Das Amazon Fire Phone reißt einen nicht vom Hocker. Ich habe das Erstlingswerk von Amazon zahlreichen Bekannten in die Hand gegeben, denen das Fire Phone gar kein Begriff gewesen ist. Die 3D-Effekte haben für die ersten ein paar Minuten für Ahs und Ohs gesorgt, aber nach einiger Zeit hat jeder gefragt, wozu man diese eigentlich braucht. Sinn und Zweck des Headtrackings erschließt sich auch mir nach Tagen des Testens nicht wirklich.
Gut: Es gibt ein paar Spiele, die das unterstützen, und wenn ich Bücher oder lange Artikel im Silk Browser lese, kann ich durch Kippen des Fire Phones weiter scrollen – aber das könnte man doch auch über den Lagesensor anderer Smartphones erledigen. Auch in Spielen erscheint mir das Headtracking sinnlos und steigert nicht die Freude an den wenigen Games, die das 3D-Feature unterstützen.
Was mir aber gut gefällt: Dass Amazon seine ganze Shopping-Power im Fire Phone unterbringt. Wer schnell unterwegs einkaufen will, wissen möchte, wie der Status der aktuellen Bestellung ist, oder als Prime-Kunde Zugriff auf Prime Instant Video erhalten und generell alles von Amazon beziehen möchte, der ist gut aufgehoben mit dem Fire Phone.
Getrübt wird das Amazon-Erlebnis von einem noch nicht ausgereiften Firefly. Die Trefferquote ist einfach noch zu gering und es ist nicht nachvollziehbar, warum. Mal erkennt er eine Folge von "Big Bang Theory" und bietet sie sofort in Prime Instant Video an; dann erkennt Firefly aber auch wieder den "Batman: The Dark Knight Rises" nicht, obwohl der Streifen sowohl in Prime Instant Video, als auch im Shop als Blu-ray vorhanden ist. Firefly ist das wirkliche Alleinstellungsmerkmal des Fire Phones, aber leider steckt dieses noch in den Kinderschuhen.
Aber wenn es in ferner Zukunft läuft, dann sollten sich Apple, Samsung und Co. warm anziehen. Amazon hat ein Ökosystem in der Hinterhand, das die Konkurrenz in Angst und Schrecken versetzen kann. Jetzt fehlt nur ein sehr gutes Smartphone, das die Stärken von Amazon herausstellt. Das Fire Phone ist noch nicht das perfekte Amazon-Smartphone.