Die Spekulationen überschlagen sich inzwischen täglich: Das Apple-Auto ist plötzlich in aller Munde, obwohl Tim Cook weder das Vorhaben noch die Entwicklung bestätigt hat. Macht ein iCar überhaupt für Apple wirtschaftlich Sinn, sofern es sich in entsprechend großen Stückzahlen fertigen ließe? Die Musterrechnung macht schnell deutlich: Es könnte zu Apples bislang größter Wette werden.
Hurra, Apple arbeitet am iCar! Das ist die Gefühlslage vieler Apple-Fans nach dem erstaunlich detailreichen Inside-Bericht des Wall Street Journals über Apples Geheim-Unit "Titan". Es ist die Stunde Null des iCars: Nachdem in den vergangenen Jahren höchstens über ein Apple-Auto gewitzelt oder davon geträumt wurde, bringt der WSJ-Bericht den Stein ins Rollen.
Es ist ein Déjà-vú-Moment vergleichbar mit den ersten Gerüchten um die iWatch, die vor ziemlich genau zwei Jahren in der New York Times kursierten und am Ende ziemlich viel gemein mit der Apple Watch haben, die in zwei Monaten das Licht der Welt erblickt.
Klar scheint damit: Die WSJ-Story kam nicht ohne Wohlwollen aus Cupertino in den Umlauf. Tim Cook wollte offenbar der Weltöffentlichkeit zeigen, dass ein Apple-Auto keinesfalls mehr als fantastischer Fanboy-Traum erscheint, sondern eine echte Möglichkeit ist, die in Cupertino erwogen wird.
Apple braucht für die 20er-Jahre ein neues Produkt in der Dimension des iPhones
Keine Frage: Ein iCar dürfte noch sehr weit von der Marktreife entfernt sein – dass Apples R&D-Abteilung an zahlreichen Projekten gleichzeitig entwickelt, aus denen sich dann nur alle paar Jahre eins durchsetzt, wurde hinreichend in Walter Isaacsons Biografie anhand der Parallel-Entwicklung von iPhone und iPad dokumentiert. Ähnliches dürfte aktuell bei der Apple Watch und dem seit Jahren spekulierten Apple-Fernseher der Fall sein.
Spätestens in der nächsten Dekade braucht Apple jedoch ein komplett neues Produkt, das wieder einmal alles verändert – nicht eine Veredelung des iPhone-Trends, die iPad und Apple Watch am Ende sind –, sondern ein bahnbrechendes, komplett anderes Produkt, das eine neue Branche revolutioniert und seine Zeit definiert. Ein iCar könnte dieses eine, große Produkt sein.
Auch für Apple wäre der Markteintritt in die Auto-Industrie eine Mammutaufgabe
Selbst für Apple wäre ein Auto, das in millionenfacher Ausfertigung vom Band laufen dürfte, eine absolute Mammutaufgabe. Mit einem Vorlauf von sieben Jahren rechnet etwa der Internet-Unternehmer Jason Calacanis. Das kolportierte erste Jahr der Entwicklung bereits mitberücksichtigt, könnte ein iCar – mit oder ohne Tesla – Apples epochemachendes 2020-Projekt sein – jenes "one more Thing", das in der nächsten Dekade das iPhone beerbt, wie Cantor Fitzgerald-Analyst Brian White in seiner heutigen Kurzstudie herausstellt.
Damit ist bereits eine Hausnummer genannt: Ein Produkt, das in der nächsten Dekade das iPhone ersetzen soll, muss fraglos ein Umsatzpotenzial im dreistelligen Milliardenbereich haben – allein 51 Milliarden Dollar setzte Apple im abgelaufenen Weihnachtsquartal mit seinem Kultsmartphone um.
Keine andere Industrie und auch kein anderes Unternehmen versprechen nun ein ähnliches Erlöspotenzial wie die Automobilbranche, die von Apple revolutioniert wird. Keine Frage: Es gibt eine Menge an "Aber", "Vielleicht", "Womöglich" – dennoch die Voraussetzungen sind gigantisch.
Allein in Deutschland wurden 2014 nach Statista-Schätzungen 375 Milliarden Euro mit Autos umgesetzt – weltweit dürften es knapp zwei Billionen Dollar sein. Allein die fünf größten Automobilhersteller Volkswagen, Toyota, Daimler, General Motors und Ford haben 2013 jeweils mehr als 100 Milliarden Euro umgesetzt – VW und Toyota in der Gesamtheit sogar mehr als Apple! Anhand dieser Dimensionen wird deutlich: Ein iCar wäre Tim Cooks ultimativer Griff nach dem Polarstern, wie der Apple-Chef so gerne zu sagen pflegt.
Wie groß könnte der Goldrausch eines iCars nun in Zahlen ausgedrückt werden? In einem Wort: gigantisch. Selbst wenn sich Apple in den ersten Jahren, in denen der Aufbau von Fabriken eine Massenmarktproduktion verhindert, sich beim Absatz eher an exklusiven Nischen-Anbietern wie Tesla und Porsche denn an Absatzmultis wie VW orientiert.
Mittelfristiges Ziel: Mit Tesla und Porsche konkurrieren
Während Tesla im vergangenen Jahr gerade mal 31.000 Fahrzeuge verkauft und dabei Geld verloren hat, setzte Porsche im Rekordgeschäftsjahr 2013 etwa 162.000 Fahrzeuge ab, erlöste 14,3 Milliarden Euro und verdiente dabei 2,6 Milliarden Euro. Das sind Dimensionen, auf die Apple zunächst kurzfristig abzielen würde, die allerdings in der Geschäftsbilanz kaum einen Unterschied machen würden – vorausgesetzt, Apple fährt mit dem iCar ähnlich stolze Gewinnmargen von rund 20 Prozent wie Porsche ein.
Allerdings: Ein Königsprojekt wie das iCar würde Apple nur mit demselben Anspruch entwickeln wie zuvor iPhone, iPad und Apple Watch – mit dem der Marktführerschaft. In anderen Worten: Das iCar müsste viel, viel erfolgreicher werden als Porsche und Tesla heute.
Ambitionierte Aufgabe: Apple müsste mit dem iCar die zehnfachen Absätze wie Porsche erzielen, um das iPhone zu ersetzen
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, das sich Apple mit dem iCar noch einmal selbst übertreffen müsste: Wenn das iCar das iPhone in der Bilanz in einer Dekade vollständig ersetzen würde, müsste Apple etwa das Zehnfache von Porsche heute verkaufen!
Das wären rund 1,6 Millionen Autos, die bei einer ähnlichen Gewinnmarge wie die Stuttgarter dann rund 26 Milliarden Euro – also nach aktuellem Wechselkurs knapp 30 Milliarden Dollar – unterm Strich einfahren, was wiederum etwa den aktuell mit dem iPhone erzielten Jahresprofiten entspricht.
Elon Musk will 2025 schon 6 Millionen Teslas verkaufen
Welches Potenzial andererseits auch im Markt für Elektroautos steckt, versuchte Tesla-CEO Elon Musk Anlegern und Analysten nach den missratenen Quartalszahlen vergangene Woche in Steve Jobs-esquer Manier zu verkaufen: Eine ziemlich fantastische Umsatzsteigerung von 50 Prozent in den nächsten zehn Jahren vorausgesetzt, schwadronierte Musk für 2025 von 6 Millionen verkauften Teslas pro Jahr, die wiederum nach der Rechnung des 43-Jährigen einen Börsenwert auf dem Niveau von Apple heute rechtfertigen würde – nämlich 700 Milliarden Dollar.
Zurück in der Gegenwart wird dieser Tage zwischen Wolfsburg und Tokio um den Spitzenplatz in noch größeren Absatzdimensionen gerungen: VW und Toyota liefern sich ein spektakuläres Duell jenseits der 10 Millionen-Marke. Mit entsprechenden Geschäftsbilanzen: VW setzte im Geschäftsjahr 2013 197 Milliarden Euro um und verdiente vor Steuern und Abschreibungen 11,5 Milliarden Euro. Toyota operierte noch profitabler und behielt bei Umsätzen von 172 Milliarden Euro 16,5 Milliarden unterm Strich ein.
Misslingt Apples Auto-Abenteuer, federt ein 140 Milliarden Dollar-Airbag den Aufprall ab
Nun ist der Sprung von der Weltmarktführerschaft auf dem Smartphone-Markt zur Automobilindustrie der denkbar größte Spagat, der selbst die sensationelle Erfolgsgeschichte des iPhones in den Schatten stellen würde. Zumal mit einer diametral neuen Produktkategorie: Das Elektroauto verhält sich zum Smartphone wie das Benzinauto zum Handy.
Doch ausgerechnet der Werbeslogan des amtierenden Auto-Champions weist den Weg: Nichts ist unmöglich. Wer hätte schließlich vor zwanzig Jahren kurz vor Apples Fast-Pleite und einem Börsenwert von weniger als drei Milliarden Dollar damit gerechnet, dass der Macintosh-Hersteller Apple zwanzig Jahre später mit einer Marktkapitalisierung von 750 Milliarden Dollar nicht nur der wertvollste Konzern der Welt sein würde, sondern gleich doppelt so wertvoll wie Microsoft?
Wenn Apples iCar-Wette aufgeht, wären Stückzahl-Absätze in Millionenhöhe keine Fata Morgana. Und wenn nicht? Gerät Apple mit seinem Auto-Abenteuer und einer möglichen Tesla-Übernahme aus der Spur, federt ein immer größeres Cashpolster einen Totalschaden mit einem 140 Milliarden Dollar-Airbag ab.