Die Gerüchte verdichten sich, dass Microsoft nach langer Entwicklungs- und Bedenkzeit nun endlich seine Office-Suite auch aufs iPad bringt. Uns Nutzern wird es allerdings wenig bringen: Das Projekt ist jetzt schon zum Scheitern verurteilt. Leider.
Es sind vier Hürden, die es Microsoft fast unmöglich machen, Office auf dem iPad zum Erfolg zu führen.
Ohne Abo geht nichts
Microsoft Office ist zum Industriestandard geworden, weil es dank Raubkopien auch eben jene nutzen konnten, die es nicht kaufen konnten – oder wollten. Irgendwie kam man immer an eine Office-Version heran und in höchster Not blieb noch eBay. Aus und vorbei. Auf iOS machen bereits die ersten kleinen Gehversuche wie OneNote (iPad) und Office Mobile (iPhone) nur mit einem teuren Office365-Abo richtig Spaß . Für die ganze Suite soll dann das Abo zur Pflicht werden. Solche Lizenzmodelle funktionieren zwar am oberen Ende des Enterprise-Marktes noch recht gut – die große Anzahl der Freelancer und Small Businesses entwickelt gegen solche Modelle mittlerweile aber erstaunlich robuste Widerstände. Microsofts Vorgehen ist fairerweise auch den Gesetzen der Appstore-Ökonomie geschuldet, hat aber eine harte Konsequenz: Im Post-PC-Zeitalter wird Office nie wieder die Durchdringung erreichen, die es in den letzten 30 Jahren besaß.
Noch nicht im Touch-Zeitalter angekommen
Microsoft hat bisher keinen Weg gefunden, das vor 25 Jahren eingeführte, Maus-zentrierte Point-Click-Interface durch ein zeitgemäßes Touch- und Gesten-zentriertes Benutzungskonzept konsequent abzulösen. Das ist insofern erstaunlich, da Microsoft extrem hohe Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternimmt und viele der weltweit besten Interface-Experten beim Windows-Konzern auf der Gehaltsliste stehen. Alle Schritte, sich von der Vergangenheit zu emanzipieren – wie mit der Modern UI von Windows 8 – führten allerdings bisher zu wenig überzeugenden Ergebnissen. So ist Microsoft gezwungen, entweder die Funktionalität der Apps drastisch einzuschränken, damit vor lauter Icons noch Arbeitsfläche bleibt, oder die Arbeitsfläche zu Gunsten der Bedienelemente einzuschränken. Die barocke Ikonografie, die bereits bei der recht simplen OneNote-App auf dem iPad durchscheint, gibt kaum Hoffnung auf eine brauchbare Usability der sehr viel mächtigeren Office-Suite.
Austausch zwischen iPad und Desktop?
Und schließlich das Thema Dokumentenaustausch. Hier geht nur ganz oder gar nicht. Die Fußnoten-Verwaltung von Word (so miserabel sie auch ist), die komplexen Formelwelten von Excel, die eingebetteten Objekte in Powerpoint-Präsentationen – wird es diese auch auf dem iPad geben? Ich gehe jede Wette ein: Es wird sie nicht geben. Aber ohne eine hundertprozentige Kompatibilität ist jeder Workflow zwischen Mac, Windows und iPad Makulatur. Denn: Jedes Öffnen und Ändern eines Office-Dokuments auf dem iPad würde beim Sichern das Original unwiederbringlich zerstören, wenn eben jene hundertprozentige Kompatibilität nicht gewährleistet ist. Office fürs iPad wäre in die Rolle eines simplen Viewers gerückt. Allein, an diesen herrscht kein Mangel. Den besten hat sich übrigens Google vor einiger Zeit geschnappt, in dem es QuickOffice akquirierte und zum Baustein seiner Google App Services machte.
Aber selbst wenn Microsoft diese ersten drei Hürden bewältigen würde, scheitert MS Office fürs iPad an der letzten. Und hier trägt Apple Schuld.
Absurd: das Schriften-Drama auf dem iPad
Wer jemals in seinem Leben die Magie von Lithofilmen auf einem Leuchttisch gespürt hat, musste sich augenblicklich in die Retina-Displays von Apple verlieben. Mit einem Mal ist die Darstellung von typographischen Feinheiten auf digitalen Displays an der Qualität des Drucks vorbeigezogen. Mit einer ganz großen Einschränkung: Nutzern wird von iOS aus völlig unverständlichen Gründen die Verwendung von individuellen Fonts verwehrt. Schriftschnitte, die nicht zufälligerweise zu den 40 Fonts gehören, die iOS mitliefert, werden gnadenlos durch Alternativversionen ersetzt, gerne durch die Helvetica.
Dies führt zu der absurden Situation, dass zwar Safari als Webbrowser individuelle Schriften in Form von Webfonts einwandfrei darstellen kann (wie die Soho, die wir bei CURVED verwenden), aber weder Pages, noch Keynote, noch irgendeine andere Productivity-App mit individuellen Schriften so umgehen kann wie es auf dem Mac, bei Windows und sogar Linux seit Jahrzehnten Standard ist. Anekdote am Rande: Apples zeitweiliger Lieblingsgegner Adobe kann alle Schriften dieser Welt in seinem PDF-Format einbetten und auf diese Weise auf dem iPad darstellen – hiervon machen beispielsweise die meisten Printmagazine Gebrauch, wenn sie ihre digitale Entsprechung in Apples "Zeitungskiosk" auf dem iPad anbieten.
Solange Apple kein Erbarmen hat, wird iOS auch in Zukunft typographisch in den 80ern stecken bleiben. Diese Einschränkung gibt Microsoft Office auf dem iPad gleichzeitig den Todesstoß. Ohne Device-übergreifendes Schriftenhandling zwischen Desktop und iPad bleibt die plattformübergreifende Arbeit an Office-Dokumenten ein immerwährender Abgrund von Frustration, weil jeder Bearbeitungsschritt auf dem jeweils anderen Device zu nicht vorhersehbaren Nebeneffekten und Fehlern führt. Nicht einmal Apple hat es bis heute geschafft, die Kompatibilität seiner iWork-Suite zwischen Mac und iPad zu gewährleisten.
Fazit
Durch die Implosion des PC-Marktes ist Microsoft umso dringender angewiesen, seine Office-Suite auch im boomenden Tablet-Markt zum Standard zu machen. Doch die Hürden liegen hoch, zu hoch. Selbst wenn Microsoft die offensichtlichen Herausforderungen – Lizenzmodell, Benutzeroberfläche und Dokumentenkompatibilität – lösen sollte: Ohne ein modernes Schriftenmanagement auf dem iPad wird produktives Arbeiten zwischen den Welten Science-Fiction bleiben.