Die Rückkehr der Feature-Phones: Läutet das Huawei P9 eine neue Ära ein?

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Die Fotos lassen sich - im richtigen Modus aufgenommen - nachträglich bearbeiten: Ihr könnt den Fokus und die Blende verstellen. (© 2016 CURVED )

Ein Huawei Mate S, ein Huawei Mate 8 und nun das Huawei P9: Innerhalb kürzester Zeit haben die Chinesen drei Flaggschiffe auf den Markt gebracht. Kannibalisiert sich der Hersteller damit selbst oder ist das Leica-Phone vielmehr der Anführer einer neuer Ära von Smartphones, die sich auf ein Feature spezialisieren?

Keine Frage: Ein Feature-Phone meint eigentlich etwas anderes. Laut Wikipedia sind damit "Mobiltelefone gemeint, die weniger als Smartphones leisten, jedoch mehr als nur telefonieren können". Also Handyknochen, die zusätzlich noch über einen WAP-Browser verfügten. Doch ins noch junge Smartphone-Jahr passt der eigentlich veraltete Begriff des "Feature-Phones" ganz gut. Wir bei CURVED beobachten, dass Hersteller ergänzend zu ihren Flaggschiffen immer mehr Geräte mit "besonderen Eigenschaften" auf den Markt bringen.

Auf die Spitze getrieben hat es nun Huawei mit dem P9, das in Zusammenarbeit mit Leica entstanden ist. Das Ergebnis ist ein Smartphone mit drei Kameralinsen, eine auf der Vorderseite und zwei auf der Rückseite. Damit ist es neben dem LG G5 aktuell das zweite Flaggschiff mit Dual-Kamera. Während die Koreaner die zweite Linse für Weitwinkel-Aufnahmen nutzen, ermöglichen beim P9 die "Augen" ein nachträgliches Fokussieren im Bild.

Die restliche Hardware muss sich nicht verstecken, reicht aber nicht an die Leistung anderer Top-Smartphones von LG, Samsung und Apple heran. Aber muss es das? Was wäre, wenn wir das P9 nicht als Kamera-Smartphone betrachten, sondern als Smartphone-Kamera. Genauer: als Kamera, mit der sich auch telefonieren lässt? Denn mit seinem neuen Leica-Modul ist das P9 eigentlich viel zu hochgerüstet für den Otto-Normal-Smartphone-Kamera-Nutzer, der seinen Schnappschuss lediglich mit einer paar Filtern versehen und über Social Networks mit Freunden teilen will. Das Smartphone bietet Euch praktisch die Möglichkeit, aus einem Motiv beliebig viele Fotos zu generieren und die Schärfe immer dorthin zu verlegen, wo Ihr sie gerne haben wollt. Das funktioniert softwarebedingt mal mehr, mal weniger gut. Doch bietet das Smartphone damit ein spannendes Feature, mit dem selbst digitale Spiegelreflexkameras nicht punkten können.

Wer braucht noch eine Kamera?

Konkreter formuliert: Liebäugelt man mit einer neuen, tragbaren Kamera, warum sollte man dann noch "echte" Kamera kaufen anstatt eines Smarphones mit einer überdurchschnittlich guten Kamera – von dem aus man die Bilder direkt bearbeiten, exportieren und mit anderen teilen kann?

Das Huawei P9 ist bei weitem nicht das einzige "Feature-Phone" auf dem Markt. LG etwa bietet ergänzend zum G5 noch Einsteiger-Smartphones mit besonderen Fähigkeiten an: das LG X Cam und das LG X screen. Im Gegensatz zum mit Features vollgestopften LG V10 beschränkt sich der Hersteller dabei auf je ein spezielles Hauptfeature: die Kamera beim einen und das Display beim anderen Modell.

Ähnlich verfährt Asus und splittet seine Zenfone-Reihe enorm auf: Zenfone Zoom, Zenfone 2 Laser, Zenfone Selfie, Zenfone Max und Zenfone 2 Deluxe heißen sie. Spricht man mit den Herstellern, ist die Antwort einhellig: Nicht alle Kunden wollen ein Smartphone zum hohen Preis mit allen Features, sondern legen Wert auf eine gute Akkulaufzeit oder eine gute Kamera. Wozu dann ein Flaggschiff? Zum einen weil im High-End-Segment – wenn auch nicht für alle – noch hohe Profite winken, zum anderen weil sie als Innovationstreiber und Gradmesser für die Leistungsfähigkeit eines Herstellers gelten.

Auf dem Boom-Markt der Wearables lässt sich die Entwicklung noch rasanter beobachten: Nachdem erste Hersteller Pionierarbeit leisteten, folgten die Alleskönner, während sich viele Geräte mittlerweile auf spezielle Sportarten und Nutzungsszenarien spezialisieren.

Der gesättigte Markt

Spinnen wir die Idee einmal weiter, wären für Smartphones etliche spannende Anwendungsfälle denkbar: neben DEM Kamera-Smartphone könnte es DAS Sport-Smartphone geben, das uneingeschränkt robust und wasserdicht ist. DAS Virtual-Reality-Smartphone hätte ein hochauflösendes Display und spezielle Boxen für Raumklang. Würde Sony endlich das Potenzial vom Mobile Gaming in Verbindung mit der Playstation erkennen, könnten wir uns über DAS Spiele-Smartphone freuen. Hält das spekulierte Surface Phone, was die Gerüchte versprechen, dann hätte Microsoft demnächst DAS Office-Phone im Angebot. Und Hersteller wie Cat mit dem S60 und seiner integrierten Wärmebildkamera haben bereits mit diesen ersten Modellen gezeigt, was Feature-Smartphones leisten können.

Die Entwicklung ist typisch für einen gesättigten Markt. Denn de facto brauchen wir nicht alle zwei Jahre ein neues Smartphone. Wenn es nicht primär ums Können, sondern das Wollen geht, dann gewinnt der Hersteller, der die Bedürfnisse der Kunden erkennen und bedienen kann. Das lässt sich ohne riesige Streuverluste am besten in der Nische realisieren. Übertrifft ein Gerät dort etwa ein höherpreisiges Modell, das vieles gut, aber nicht alles perfekt beherrscht, dann sind Kunden unter Umständen schneller bereit zum Wechsel.

Das hat Apple auch erkannt: Während bei den Smartphones aus Cupertino aufgrund des Erfolges kein Bedarf für Feature-Phones besteht, bietet der Hersteller mit dem iPad Pro in Verbindung mit dem Apple Pencil Tablets für kreative Profis an, um sinkende Erlöse zu kompensieren.

Käme für Euch ein Spezialisten-Phone in Frage? Oder setzt Ihr weiterhin auf die Alleskönner? Teilt uns Eure Meinung in den Kommentaren mit.

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