Das vermeintliche Wunder-Smartphone aus Seattle ist endlich da. Keine Frage: Amazons Fire Phone kann einiges - und doch noch nicht genug, um Apple den iPhone 6-Start zu vermiesen. Am Ende des Tages fehlt der raison d'être des Amazon-Smartphones: Die eigentliche Mission des Fire Phons besteht darin, Nutzer zu willigen Käufern zu machen.
Die Fallhöhe war hoch. „Oh wow“. "Das ist wirklich nett", „wirklich cool", jubelten Amazons bezahlte Claqueure im Vorfeld der gestrigen Präsentation des viel erwarteten Smartphones aus Seattle. "Es ist wie im wirklichen Leben und total unvergleichbar mit etwas anderem, was ich bisher gesehen habe“. Nun ist es da, Amazons vermeintliches Wunder-Phone – müssen die Platzhirsche Apple und Samsung also zittern?
Keine Frage: Das Fire Phone kann was. Es wartet mit mehreren interessanten Features wie Firefly und einem 24 Stunden-Kundenservice auf, ist technisch solide bis gut ausgestattet (vor allem die 13 MP Kamera dürfte punkten) und ist gleichzeitig das Fenster zum größten Contentangebot der Welt. Damit wird die eigentliche Daseinsberechtigung des Amazon-Smartphones schnell enttarnt: Das Fire Phone ist das bislang fehlende Werkzeug für Amazons mobile Powershopper.
Stolzer Preis: Amazons Powershopper müssen 650 Dollar für ihr Kaufwerkzeug hinblättern
Das Fire Phone ist also vor allem etwas für Amazons Bestandskunden – vor allem jene, die bereits das Premium-Angebot von Prime nutzen. Doch anders als bei seinen Kindle-FireTablets schmeißt Amazon seine Smartphones nicht zu Dumpingpreisen auf den Markt, sondern kassiert von seinen (US-)Kunden noch mal kräftig ab. Wer keinen AT&T-Vertrag besitzt oder keine Lust hat, zum zweitgrößten Provider der USA zu wechseln, löhnt stolze 650 Dollar im Amazon Store für das Fire in kleinster Ausführung.
Das ist angesichts der rasanten Konkurrenz im Android-Lager, angeführt vom Sony Xperia Z2, die allesamt zu ähnlichen oder inzwischen kleineren Preisen angeboten werden, einfach zu viel Geld für zu wenig Smartphone.
Die 3D-artig anmutende Visualisierung ist nicht mehr als ein Effekt und kaum das schlagende Kaufargument, Sonys und Samsungs Kamera-Leistung dürfte zumindest ebenbürtig sein, wenn nicht besser ausfallen – und dann gibt ja noch die Phablet-Käufer, die es einfach größer lieben und zu einem mindestens 5-Zoll großen Smartphone greifen wollen, das Amazon nicht anbieten kann.
Eiliger Launch am 25. Juli: Hastiger Kampf um die letzten Apple-Altkunden
Vor allem der extrem eilige Launchtermin am 25. Juli – im Vorfeld wurde mit einem Verkaufsstart im September gerechnet – beweist, wie sehr Bezos darauf spekuliert, Apple-Altkunden auf den letzten Metern vor dem iPhone 6-Launch abzujagen. Der Amazon-Gründer ist fraglos ein begnadeter Verkäufer, ein beinharter Geschäftsmann und ein Beschwörer der Schlangengrube Wall Street – aber er ist kein Ästhet.
Das Fire Phone hat, soweit man sich von den ersten Produktbildern leiten lässt, kein billiges Plastikgehäuse, aber es ist eben auch nicht das Designwunderwerk aus dem Hause Cupertino. Gerne wird jedoch vergessen, was für eine emotionale Entscheidung ein Smartphonekauf am Ende des Tages doch ist. Technisch bewegen sich iPhone, Galaxy, HTC One, G3 und Xperia Z2 in einer Liga: am Ende aber verdienen nur Apple und Samsung Geld mit ihren Smartphones.
„Niemand mit klarem Verstand wird sein iPhone gegen das Fire Phone tauschen“
Daran dürfte das Fire Phone, zumindest in der ersten Generation zu dieser Bepreisung, nichts ändern. „Der Preis des neuen Fire Phones ist angesichts des sinkenden Smartphone-Durchschittsverkaufspreises global betrachtet einfach zu hoch“, merkt Bloomberg heute an. „Niemand mit klarem Verstand wird sein iPhone gegen das Fire Phone tauschen“, zieht Techblogger Dan Frommer bei Quartz schon deftiger vom Leder.
Auch wenn es für eine eingehende Betrachtung des Fire Phones ohne Hands-on noch viel zu früh ist, scheint klar: Tim Cook hat eine Sorge weniger - wenn er sie denn überhaupt hatte. Alles gut, Keine 100 Tage sind es mehr bis zum iPhone 6.