Die noch junge Geschichte der Apple Watch ist schon jetzt eine Geschichte voller Missverständnisse. Höchste Zeit, damit aufzuräumen.
Was kann das schon mehr als mein Smartphone?
Es scheint mittlerweile in der Natur des modernen Menschen zu liegen, beim Aufkommen einer neuen Technologie davon auszugehen, dass sie eine andere zur Gänze ersetzen oder verdrängen muss. Doch schon der Medienwissenschaftler Neil Postman wusste: Ein Medium, was in der heutigen Zeit auch mit Technologien gleichzusetzen ist, muss nicht sterben, damit ein anderes wachsen kann. Auch wenn es schon etliche andere Smartwatches am Markt gibt, gab es nach der Vorstellungen der Apple Watch etliche Kritiken, die Apple vorwarfen, eben auch nur ein „Anhängsel“ produziert zu haben. Prädikat: schön, aber nutzlos. Auch viele unserer Leser bedachten die Apple-Uhr zunächst mit einem "Peinlich", erst nach einigen Stunden häuften sich die "Her damit".
Ist die Apple Watch unnütz? Das ist zu kurz gedacht. Smartphones und Tablets haben die Art und Weise verändert, wie wir kommunizieren. Doch letzten Endes sind sie nur ein Bindeglied hin zu einer Technologie, bei der sich nicht der Mensch anpasst, sondern sich die Technologie an den Menschen anpasst. Fitnesstracker von Jawbone, Fitbit und Co. tun das schon, der Erfolg von Bragis „The Dash“ spricht für das Bedürfnis der Menschen danach. Und selbst die Autoindustrie hat erkannt, dass Smartphones nicht zwangsweise im Cockpit sichtbar sein müssen, sondern als mobiles Rechenzentrum im Hintergrund laufen.
Ergo muss die Apple Watch nicht ein Smartphone ersetzen, sondern ergänzt das iPhone um ein Stück Technik, die mir den Zugriff auf Daten und Kommunikation erlaubt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Eine Uhr hab ich schon...
Glückwunsch! Nur ist eine Smartwatch keine Uhr. Nur weil man beide am Handgelenk trägt, lassen sie sich nicht wirklich vergleichen. Genauso wenig wie ein Smartphone eine Telefonzelle ist. Eine Smartwatch ist ein ultramobiler Kleinstcomputer, kein reiner Chronograph.
Was macht die Apple Watch schon besser als die anderen Smartwatches?
CURVED-Redakteur Shu On Kwok brachte es nach ausgiebigem Testen der LG G Watch beschränkt sich derzeit vor allem darauf, Benachrichtigungen vom Smartphone aufs Handgelenk zu pushen. Watchfaces und App-Erweiterungen erscheinen oft nur halbherzig umgesetzt. Vor allem die Benutzeroberfläche eben jener Apps ist nur selten auf den kleinen Screen angepasst.
Apple hat für mich einmal mehr unter Beweis gestellt, dass man nicht der Erste am Markt sein muss - wie schon vor allem alte Elektronik beherbergt, geht Apple mit einem überlegten Bedien- und Designkonzept an den Start.
Mit mehreren Modellen und Dutzenden Kombinationsmöglichkeiten dank unterschiedlichen Armbändern bietet das Unternehmen ein Spektrum an, das sowohl Kids, als auch Sportler und gut betuchte ältere Damen und Herren ansprechen wird. Wer ein schniekes Zubehör für sein iPhone haben will, der nimmt die Basis-Variante ab 350 Dollar, Fitness-Verrückte greifen zur robusteren Sports Edition, wer auf puren Luxus steht, der holt sich die 18-karätige „Edition“-Ausführung mit Goldüberzug.
Mit der Kombination aus Touchsteuerung und seitlich angebrachter Krone sehe ich zum ersten Mal ein Bedienkonzept, das Navigieren auf so kleinem Raum sinnvoll umsetzt. Smartwatches aus dem Android-Segment beschränken sich aufs Nötigste - so scheint es zumindest. Kein Knopf soll den Look stören. Nur ein Bildschirm, sonst nichts. Wer aber schon mal eine Smartwach am Handgelenk hatte, der bekommt schnell das Gefühl: Ein Bildschirm ist nicht das Nötigste, ein paar Buttons zur Kontrolle wäre doch ganz praktisch. Mit der „Krone“ lässt es sich prächtig tiefer in Menüs, Listen und Karten hineinnavigieren - und ebenso wieder heraus, ohne dass der Bildschirm durch die Finger verdeckt wird. Weniger genaue Bewegungen nach links, rechts, oben und unten werden über Wischgesten ausgelöst.
Auch in Sachen Kommunikation hat sich Apple Einiges einfallen lassen. Eingehende Nachrichten werden auf Schlüsselbegriffe analysiert. Fragt Euch jemand nach „Essen wir heute Indisch oder Japanisch“, dann stellt die eingebaute Software als Antwortmöglichkeiten „Indisch“, „Japanisch“ und „Keines von beiden“ zur Verfügung. Das Smartphone bleibt in der Hosentasche, und ich spare Zeit beim Tippen der Antwort.
Unschlüssig bin ich noch bei der Umsetzung des zeichengesteuerten Messengers, bei dem sich Kontakte untereinander Malereien schicken können. Immerhin hat Apple - wenn auch nicht als erster Konzern - erkannt, dass sich das Bedienkonzept von Smartphones und Tablets nicht 1:1 aufs Handgelenk übertragen lässt, sondern „natürlichere“ Herangehensweisen gefragt sind.
Die Apple Watch kann die Wearables nicht retten
Ein Vorwurf, den Engadget Apple macht. Nun, die Apple Watch muss auch nicht eine Genre retten, sondern lediglich Apple ein neues Geschäftsfeld erschließen. Wer sich bislang gefragt hat, warum es überhaupt Smartbands, Smartwatches und andere Wearables gibt, der wird auch nicht in der Apple Watch die Erlösung finden. De facto sind die smarten Gadgets nicht mehr wegzudenken und längst zu Begleitern aktueller Smartphones und Tablets avanciert. Jeder Hersteller, nun auch Apple, bietet sie an.
Und wie auch bei den Smartphones und Tablets wird im Laufe der Zeit ein Verdrängungskampf stattfinden. Zwar wird es weiterhin viele Modelle geben, doch nur die wenigsten werden sich wirklich durchsetzen können. Nur weil sich viele Smartbands derzeit in kleinen Mengen verkaufen, ist die Wearable-Sparte nicht tot - sie steckt noch in den Kinderschuhen.
Bei meiner Uhr hält der Akku ewig
Frage: Könnt Ihr darüber mit anderen kommunizieren, navigieren oder Funktionen Eures Smartphones fernsteuern? Seht Ihr: Deswegen hält Eure Uhr auch solange durch. Solange wir nicht Energie aus dem Nichts erzeugen können und Akkus nun einmal auch eine entsprechende Größe brauchen, um genug Kapazitäten für längere Laufzeiten zu haben, sind diese nun einmal reglementiert. Das gilt für Notebooks, Smartphones und Tablets ebenso wie für Smartwatches wie die Apple Watch. Nur mit dem Unterschied, dass wir die eingeschränkte Laufzeit eines Notebooks nicht abstrafen würden, nur weil es Computer mit Netzanschluss gibt. Alles relativ!
Purer Luxus! Braucht man nicht…
Muss wirklich alles, was wir uns kaufen können, einen elementaren Nutzen haben? Reicht es manchmal nicht auch, dass es einfach gefällt? Dass es gut aussieht? Und dazu noch mein vorhandenes Mobil-Arsenal praktisch erweitert? Auch Apple weiß, dass die Apple Watch irgendwo zwischen Tech, Mode und Schmuck angesiedelt wird. Nicht umsonst gibt es die Smartwatch auch in Gold. Und nicht umsonst hat der Konzern erstmals Modeblogger zur Keynote eingeladen.
Die „iWatch“, wie selbst Cook sie in Interviews noch nennt, ist Apples Eintrittskarte in einen völlig neuen Markt, in neue Käuferschichten, für die nicht Taktraten über den Kauf entscheiden, sondern der Look. Als Techblogger mag man vielleicht kurz schmunzeln, wenn technische Daten bei einem technischen Gerät plötzlich keine Rolle mehr spielen. Aber hey: Vermutlich würden die Fashion-Kollegen ähnlich über Menschen denken, die Kleidung nur danach auswählen, ob sie warm hält, oder?
Nein, man braucht die Apple Watch nicht. Aber sie am Handgelenk zu haben, wird die die Kommunikation und den Zugriff auf Daten vom iPhone angenehmer machen. Wer dazu noch Wert auf einen guten Look legt und Technik unter dem Aspekt eines modernen Lifestyles betrachtet, der will eine Apple Watch.