Seit Dekaden schwirrt die smarte Armbanduhr durch die Fantasien technophiler Zeitgenossen — mal als echtes, geekiges Accessoire in Form eines Casio-Taschenrechners am Handgelenk, mal als coole Vision aus Knight Rider, mal als 3D-Projektor in der Science Fiction. Anno 2014 versuchen sich mit Google und Apple erstmalig zwei Big Player an dem Konzept, die über das Potenzial und die Innovationskraft verfügen, der Smartwatch endlich in der Breite zum Durchbruch zu verhelfen. Wohin geht die Reise aber; beziehungsweise: wohin sollte sie gehen?
Eines haben die letzten Jahre, in denen smarte Uhren Realität und vor allem erschwinglich geworden sind, gezeigt: Trotz aller diesbezüglicher Träumereien aus Literatur und Film haben sich mit Funktionen und Features voll gestopfte Modelle kaum verkauft. Zu nischig, zu geekig, zu kompliziert und oft auch zu unausgereift waren all jene Smartwatches, die zu viel wollten. Die wenigsten Nutzer wünschen sich bislang nämlich tatsächlich einen vollwertigen Computer am Handgelenk — sie mögen bereit sein, die Bedienung eines Smartphones zu erlernen, aber eine clevere Uhr, die soll bitteschön vorrangig einfach, dezent und im Idealfall schmückend sein.
Apropos schmückend: Völlig richtig haben die auf gutes Design fokussierten etablierten Uhrenhersteller wie TAG Heuer oder Bulova erkannt, dass der sperrige Look, den beinahe alle Smartwatches bislang gemeinsam haben, sein Übrigens tut, Nutzer zu verprellen: "Der Durchschnittskunde, der bereits ein Smartphone und andere Gadgets mit sich herumträgt, möchte eine unauffällige Uhr am Handgelenk und kein Star Trek-Requisit", zitiert TechHive dieser Tage Bulovas Kreativdirektor Thierry Casias. "Die sehen aus wie billige Plastikuhren", urteilt TAG Heuer-CEO Stephane Lindner hart, aber treffend.
"Macht sie einfach und macht sie schön."
Zwei Dinge gilt es also zu ändern, wenn Smartwatches das werden sollen, was Smartphones heute sind: Macht sie einfach und macht sie schön. Der erster Forderung hat Google sich gerade angenommen, die zweite liegt bei den Hardwareherstellern — und bei Apple.
Android Wear macht die Smartwatch einfach
Seit Ende Juni ist ausgiebig ausprobiert. Und wir dürfen festhalten, dass Google das Postulat der Einfachheit erfüllt hat. Keine Telefonie, keine Kamera, nicht mal einen Lautsprecher bieten die Android Wear-Devices der ersten Generation — sie sind reine Erweiterung des Smartphones, oder genauer, Googles mobilem Assistenten Google Now. Und exakt diese funktionale Begrenztheit macht sie so besonders.
Natürlich hat Mountain View den Smartwatch-Markt der letzten Jahre genauestens beobachtet und erkannt, woran Sonys Smartwatch, Samsungs Galaxy Gear und Kickstarter-Experimente wie Pebble und I'm Watch schlussendlich gescheitert sind. Und dann haben sie es riskiert, einen Gegenentwurf zu konzipieren, der sich nicht nur wider den Trend und den vorherrschenden Konzepten stellt, sondern in seiner Simplizität der Grundidee der Smartwatch zu widersprechen scheint.
"Android Wear ist intuitiv und einfach — und das ist ihr Erfolgsrezept."
Aber eben nur scheinbar; denn smarter ist es tatsächlich, am Handgelenk lediglich die notwendigsten, die sinnvollsten und die praktischsten Informationen und Funktionen zu bündeln, ohne dass der Nutzer sich zu bewusst und zu intensiv mit dem Gadget auseinander setzen muss. Android Wear ist intuitiv und einfach — und das ist ihr Erfolgsrezept.
Gleichzeitig ist Android Wear, wie es auch das Android OS ist und war, Work in Progress; und vor allem offen für Drittentwickler: Schon nach wenigen Tagen salternative Ziffernblätter auf. Google hat den Weg vorgegeben, und wer möchte, kann die Smartwatches auch nur so nutzen; wer mehr will, wird im Play Store über kurz oder lang ein El Dorado an Erweiterungen vorfinden.
Einfach ist sie also, die neue Smartwatch — aber auch schick? Noch nicht, und diesbezüglich warten wir aktuell auf zweierlei: Zum einen auf Motorolas Moto 360, die ob ihres runden Designs und der hochwertigeren Verarbeitung schon jetzt von vielen als das eigentliche Debüt von Android Wear — mit Betonung auf Wear — herbeigesehnt wird. Erst dieses Schmuckstück wird Googles Smartwatch-Offensive in den kommenden Wochen den richtigen Anschub geben. Und dann wird sich zeigen, wie bereit die Welt wirklich für das lange erträumte Gadget am Handgelenk ist.
Apple kann mit der iWatch neue Wege aufzeigen
Dann liegt es an jenem Unternehmen, das es in der Vergangenheit wie kein anderer Big Player verstanden hat, lange gehegte Visionen in wirtschaftlich erfolgreiche Produkte umzusetzen: Apple hat es im Herbst mit seiner gemutmaßten iWatch mal wieder in der Hand, alles zu ändern.
So könnte die iWatch unter Umständen noch einmal neue Wege aufzeigen und damit Googles Weg und die obige Einschätzung der Android Wear wieder aufheben. Vielleicht schafft Cupertino es ja, die Smartwatch mit Funktionen und Features vollzustopfen und trotzdem funktionieren zu lassen. Oder sie schlagen einen ähnlichen Weg wie Mountain View ein und beschränken sich auf das Wesentliche.
"Die Zukunft der Smartwatch entscheidet sich 2014."
Was Apple ziemlich sicher gelingen wird, ist vom Start weg ein optisch ansprechendes Produkt anzubieten: Die iWatch wird, nein sie muss schön werden. Vielleicht reicht das sogar schon, um sie zu einem kommerziellen Erfolg werden zu lassen — auch wenn das unseren Ansprüchen an das Unternehmen natürlich nicht genügen würde.
Die Zukunft der Smartwatch entscheidet sich also 2014: Google hat vorgelegt, Apple wird nachziehen — dann sind die Nutzer und der Markt gefragt. Ob Smartwatches zukünftig so sehr zu unserem Alltag gehören werden wie heute das Smartphone, liegt dann daran, ob auch renommierte Uhrenhersteller aufspringen. Und natürlich an den Konsumenten. Preise dürften dabei eine zweitrangige Rolle spielen (Uhren belegen heutzutage das Schmuck-Segment; und dafür gibt der geneigte Kunde ohnehin gerne mehr Geld aus, als für Gadgets) Und deswegen nochmal: Schmuck muss sie eben sein, die ideale Smartwatch, begrenzt, aber sinnvoll funktional und dezent.
Allerdings: Sollten sich aber weder Android Wear noch iWatch in den kommenden Monaten durchsetzen, dann dürfte das Kapitel Smartwatch so schnell nicht mehr in der realen Welt stattfinden, sondern und maximal noch in Film und Literatur zum wehmütigen Träumen animieren.