Bauen Microsoft und Cyanogen ein Anti-Android?

Windows Cyanogen
Windows Cyanogen (© 2015 CURVED Montage )
23

In der vergangene Woche polterte Cyanogen Inc.-CEO Kirt McMaster, sein Unternehmen wolle "Android von Google befreien" — wir waren zunächst der Meinung, hier brüllt einer, der ein wenig die Perspektive verloren hat und aus lauter Aktionismus gegen Windmühlen zu ziehen gedenkt. Nun meldet das Wall Street Journal allerdings, dass Microsoft Teil einer Gruppe von Investoren sei, die mit insgesamt 70 Millionen Dollar bei Cyanogen Inc. einsteigen. Sind die Pläne von McMaster damit plötzlich ernster zu nehmen? Und was könnte sich Redmond von einer solchen Offensive versprechen?

So schnell können sich die Vorzeichen ändern: Cyanogens Kampfansage, Google das Android OS wegnehmen zu wollen, sorgte in der vergangenen Woche eher für Irritation, denn für ernsthafte Sorgen um die Zukunft des mobilen OS. Am Freitag erreichte uns nun aber die Meldung, das hinter diesem tollkühnen Vorhaben eventuell nicht mehr nur Kirt McMaster und sein Team, sondern ein paar Big Player der Techwelt stehen können: So soll unter anderem Microsoft zu den Geldgebern gehören, die Cyanogen Inc. mit insgesamt 70 Millionen Dollar unterstützen.

Vor diesem Hintergrund wäre ein "Kapern" Androids durch CM und etwaige Kräfte dahinter zu eigenen Zwecken plötzlich nicht mehr nur denkbar — es würde auch ein paar interessante Perspektiven eröffnen. Die Ausgangslage dabei ist, dass Google mit Android eine Monopolstellung innehat, die zuletzt diversen großen Herstellern und Konkurrenten wie Samsung oder Amazon sauer aufgestoßen ist: Samsung versucht seit einiger Zeit, mit seinem eigenen OS Tizen einen Fuß auf den Boden zu bekommen, Amazon nutzt derweil bereits den quelloffenen Flügel von Android für sein Fire OS, das auf dem Fire Phone und den Kindle-Tablets zum Einsatz kommt. Während Tizen ein von Samsung selbst entwickeltes Betriebssystem ist, das es in absehbarer Zeit auf den meisten Ebenen kaum mit Android wird aufnehmen können, krankt Fire OS vor allem daran, dass es unterm Strich eine Verkaufsplattform für die Amazon-Inhalte darstellt — und eben keine attraktive, freie Alternative zu Googles Android.

Der Bedarf an einem Android ohne Google ist für einige Big Player da ...

Der Bedarf einer solchen Alternative, die ebenso poliert, stabil, App-kompatibel und komplex ist wie Googles Android, wäre für diverse große Mobile-Player also durchaus vorhanden. Und wenn wir nun davon ausgehen, dass eine von Cyanogen auf Basis des quelloffenen Android Open Source Projects entwickelte Software auf Geräten von namhaften Herstellern installiert ist, haben wir es zwar noch immer mit keinem Erfolgsgaranten zu tun ... aber zumindest eine spannende Perspektive.

Problematisch bliebe in einem solchen Szenario zwar weiterhin die fehlende Anbindung an den Play Store und die Abwesenheit populärer Google-Apps, wie etwa Maps oder YouTube. Cyanogen hat dazu zwar angekündigt, innerhalb von 18 Monaten einen eigenen App Store auf die Beine stellen zu wollen; abzuwarten blieb dann, was der Nutzer in diesem vorfindet und ob brauchbare Alternativen zu den genannten Google-Apps bereitstehen.

Gehen wir also für einen Moment ganz optimistisch davon aus, dass das Vorhaben von Cyanogen Inc. mit mehreren etablierten Unternehmen im Rücken gelingt und es einen Android-Fork ohne Google gibt, der so poliert wie die Cyanogen Mod ist, einen eigenen, gut gefüllten App Store hat und statt auf Google Maps beispielsweise auf Nokias HERE setzt. Welchen Wert hätte das ausgerechnet für Microsoft, die gerade erst Windows 10 vorgestellt haben und damit ihre Version eines Betriebssystems für alle Plattformen?

... aber auch für Microsoft?

Zwei Möglichkeiten sind vorstellbar: Microsoft investiert in Cyanogen Inc. schlicht als kleine Geldanlage oder, um Konkurrent Google zu ärgern. Denn entgegen der Schlagzeilen vom vergangenen Freitag steigt Microsoft nicht groß bei Cyanogen Inc. ein, sondern schiebt ein bisschen Kleingeld in ein Projekt.

Spannender freilich wäre ein direktes Einspinnen von Cyanogen in die Zukunft der Microsoft-Produkte: Smartphones und Tablets, die vielleicht parallel mit Windows 10 und CM-Android laufen, wären vorstellbar. Oder Einsteiger-Geräte mit CM statt Windows 10 — vorstellbar und spannend, nicht unbedingt wahrscheinlich. Dass Redmond gar mit dem Gedanken spielt, im Mobile-Sektor sein Windows gegen CM einzutauschen, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für vollkommen abwegig.

Zuletzt hat Micrsosoft im Bezug auf Android vor allem von sich Reden gemacht, indem der Konzern zahlreiche Windows-Apps portiert und im Play Store veröffentlicht hat, unter anderem sein Outlook. Aufgrund dessen lässt sich auch vermuten, dass ein Anbandeln Microsofts mit Cyanogen Inc. lediglich eine Zusammenarbeit in Sachen Applikationen bezwecken könnte. Für Letztgenannte könnte sich somit das oben beschriebene Problem des Verzichts auf die Google-Applikationen lösen.

Zum jetzigen Zeitpunkt: nur ein Investment von vielen

Weder Cyanogen Inc. noch Microsoft haben sich zum Bericht des Wall Street Journal bislang geäußert, im Grunde wissen wir noch nicht einmal ganz genau, ob die Meldung stimmt, geschweige denn, wie viel Geld aus Redmond tatsächlich in den vermeintlichen 70-Millionen-Dollar-Topf geflossen ist. Insofern gehen wir erstmal davon aus, dass Microsoft hier maximal ein bisschen spekuliert hat.

Für Cyanogen Inc. ist die ganze Sache ungleich bedeutender: Ob nun mit MS oder ohne - 70 Millionen Dollar wären für das Unternehmen nicht nur eine ordentliche finanzielle Basis für das ehrgeizige Vorhaben, sondern eine Bestätigung, dass Bedarf an und Glaube in eine Alternative zu Googles Android vorhanden ist. Wie die aussehen wird, wie sie ausgestaltet werden muss, damit sie funktioniert, das wird uns Kirt McMaster hoffentlich über die kommenden Monate erläutern. Wir sind gespannt, ob seinen großen Worten große Taten folgen.

Wie findet ihr das? Stimmt ab!
Weitere Artikel zum Thema