Galaxy S6 ohne Snapdragon 810: Qualcomm in der Krise?

Snapdragon
Snapdragon (© 2014 Facebook/Qualcomm )
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Qualcomm hat bestätigt, dass ihr neuer und den Ankündigungen aus dem Vorjahr nach omnipotenter Snapdragon 810-Chipsatz "in einer kommenden Version eines Flaggschiff-Gerätes eines großen Kunden" nicht verbaut werden wird. Alle Welt vermutet aufgrund der Berichte über Hitzerprobleme in den vergangenen Wochen nun begründet, dass also Samsungs Galaxy S6 auf die eigene Exynos-Power setzen wird. Was aber bedeutet der Verlust eines so prominenten Gerätes und eines so großen Abnehmers für Qualcomm? Und was hieße eine etwaige Krise des Chipherstellers für uns Nutzer?

Qualcomm hat geradezu paradiesische Jahre hinter sich: Der großen Konkurrenten aus der Anfangszeit der Smartphones haben die US-Amerikaner sich ganz leicht und nebenbei ohne großes Zutun entledigt — Texas Instruments hat irgendwann einfach klein beigegeben, Nvidia ist es 2012, 2013 und 2014 nicht gelungen, seine mobilen Chips in nennenswerten Produkten außer den eigenen unterzubringen. Beinahe jedes Top-Smartphone und Tablet  – von Googles Nexus-Serie bis zu Samsungs, HTCs, LGs und Sonys High-End-Riege – läuft läuft seit zwei Jahren (wenigstens in der westlichen Hemisphäre) mit Snapdragon-Power; und die meisten Mittelklasse-Geräte ebenso.

Damit könnte 2015 Schluss sein. Zum Stein des Anstoßes wird eventuell ausgerechnet der Snapdragon 810, der nach dem 800er, dem 801er und dem 805er eigentlich endlich mal wieder einen großen Schritt nach vorne bedeuten sollte. Seit Wochen hält sich das Gerücht, der Snapdragon hätte mit Hitzeproblemen zu kämpfen, was Samsung bereits dazu veranlasst hätte, sich einen Plan B in Form des eigenen Exynos 7420 zurechtzulegen.

Heute nun die Bestätigung seitens Qualcomm selber: Ja, ein großen Abnehmer für den Snapdragon 810 ist von Bord; und man korrigiert auch gleich die eigenen Umsatzprognosen nach unten. Es handelt sich also ganz klar um keinen marginalen Verlust – und das kann fast nur "Samsung Galaxy S6" bedeuten.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Bedeuten würde dies aber im Ergebnis und langfristig mehr als nur einen geringeren Umsatz. Wir müssen uns vor Augen führen, dass der Markt für mobile Chips deutlich dramatischer funktioniert als das Endkundengeschäft mit Smartphones: Wenn Samsung weniger Einheiten des Galaxy S5 absetzt als geplant, ist das ärgerlich. Es werden aber dennoch eine Menge Geräte verkauft. Wenn Qualcomm allerdings das Galaxy S6 verliert, dann sind auf einen Schlag all die Millionen geplanten Chip-Abverkäufe an die Koreaner gestrichen. Alle, nicht nur ein paar Prozent.

Neben den offensichtlichen und ganz konkreten wirtschaftlichen Folgen, die das für einen Chiphersteller hat, kann daraus ein ungleich größeres, wenn auch weniger greifbares Debakel entstehen: Ungeachtet tatsächlicher Probleme, die ein Chip haben kann — ob nun mit der Hitzeentwicklung oder etwa dem LTE-Modem — bleibt bei einer solchen Absage durch einen Branchenriesen wie Samsung ein Ripple-Effekt nicht aus.

Soll heißen, auch andere Abnehmer werden verunsichert, schauen sich eventuell nach Alternativen um und finden vielleicht günstigere, möglicherweise im eigenen Haus, wie Samsung, oder in Fernost, zum Beispiel bei MediaTek. Oder bei Nvidia. Oder Intel. Hat der Snapdragon 810 im Falle Qualcomms tatsächlich ein Problem, was wenigstens LG hinsichtlich seines OnePlus Hitzeprobleme mit dem S810 bemängelte und vorgeblich deswegen sogar den Release des One-Nachfolgers verschieben musste.

Erinnerungen an den Fall (im doppelten Sinne) Nvidias werden wach: Die standen noch 2012 mit dem Tegra 3 noch ganz gut im Futter und vor allem auf einem Performance- und Durchdringungslevel mit TI und Qualcomm. Dann aber wurde der Tegra 4 nicht rechtzeitig fertig beziehungsweise haperte es am LTE-Modem, das zu dieser Zeit schon Pflicht in der Oberklasse war — und schwupps, waren die Abnehmer, sprich die OEMs weg, namentlich bei Qualcomm, später auch bei Intel.

Nvidia bestand zwar weiter, konnte in der Folge aber auch den ausgezeichneten K1-Chipsatz außer in eigenen Geräten vom Schlage des Shield nicht mehr unterbringen. Und selbst für 2015 bleibt es bislang ungewiss, ob wir den nagelneuen Tegra X1 in einem Smartphone oder Tablet eines Drittherstellers sehen werden. Nvidia selbst konzentriert sich auch deswegen seit einiger Zeit vorsorglich auf den Automotive-Bereich und scheint die klassische Mobile-Branche halbwegs abgeschrieben zu haben.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Hersteller der anderen 810er-Kandidaten nun äußern und verhalten werden; auch HTCs One M9 soll mit dem neuen Chip ausgestattet sein, ebenso ein etwaig kommenden LG G4. Die Zeichen für Qualcomm stehen derzeit also auf Sturm; sollte der Snapdragon 810 tatsächlich Hitzeprobleme haben, stehen sie noch viel schlimmer.

Was bedeutet das für die Top-Smartphones 2015 und ihre Nutzer?

Keine Sorge, wir als potenzielle Nutzer der vielen neuen High End-Geräte, die uns in diesem Jahr erreichen werden, stehen halbwegs im Trockenen. Aus verschiedenen Gründen: Speziell im Fall des Galaxy S6 ist davon auszugehen, dass der kolportierte Ersatz-Chip, der Exynos 7420 hochgradig potent sein wird; schon mit dem 5420 in den Galaxy Alpha hat Samsung eindrucksvoll bewiesen, dass seine SoCs dem damals aktuellen Snapdragon 801/805 in Sachen Leistung nicht hinterherlaufen.

Tatsächlich scheinen die einzigen Gründe, warum die Koreaner bislang außerhalb Asiens überhaupt auf Qualcomm gesetzt haben, Patent- und LTE-Problemchen gewesen zu sein. Wenn Samsung die nun mit der 74-Reihe beheben konnte, dürfte im Ergebnis alles gut sein. Sofern die Produktion ungleich größerer Mengen an Chips freilich nicht zu zeitlichen Problemen führt — das wäre der eine große Nachteil, der uns speziell in Europa entstehen könne: Der Verkaufsstart des Galaxy S6 verspätet sich.

Für die anderen Hersteller und Geräte ist es im Worst Case — nämlich der tatsächlichen Unbrauchbarkeit des S810 — denkbar, dass andere in die Bresche springen: Nvidia könnte mit dem X1 doch wieder groß ins Smartphone-Biz einsteigen, und mit MediaTek wartet ein bisheriger Underdog mit hochpotenten Achtkern-SoCs auf seinen Einsatz auf der großen Bühne. Und Intel setzt bereits seit längerem auf 64-Bit-Architektur,  die in diesem Jahr dank entsprechender Kapazitäten von Android 5.0 Lollipop vor allem vermarktungstechnisch, zu gewissen Teilen aber auch ganz praktisch einen großen Stellenwert einnehmen wird.

So zynisch das klingen mag: Für uns Nutzer können Probleme beim Quasi-Monopolisten in der Regel zu guten Entwicklungen führen, weil sie der Konkurrenz eine Chance geben und den Marktführer unter Handlungsdruck setzen. Das kann in günstigeren Preisen, aber auch Innovationen münden — beides wäre für uns begrüßenswert.

Ist das das Ende von Qualcomm?

Sieht Qualcomm im schlimmsten Fall nun also seinem Ende entgegen? Glücklicherweise nicht. Die Amerikaner werden die Probleme mit dem S810 sehr wahrscheinlich zeitig in den Griff bekommen; für diesen Chipsatz ist es dann vielleicht dennoch zu spät, aber Qualcomm wird deswegen nicht hinwerfen, sondern weiterentwickeln. Spätestens 2016 melden die sich dann garantiert wieder zurück.

Hier tut sich übrigens eine schöne Parallele mit Clou zu HTC auf: Die Taiwaner, die lange Zeit ein tiefes Tal durchschreiten mussten und sich derzeit endlich wieder in einem ganz leichten Aufwärtstrend befinden, haben zu Beginn ihrer Krise einen Teufelskreis erlebt, der darin bestand, dass sie von Chipherstellern wie Qualcomm aufgrund ihrer schlechten Zahlen benachteiligt beliefert wurden; was zu noch mehr Absatzproblemen führte.

Auch wenn das in der sachlichen Wirtschaftswelt fast schon naiv-romantisch gedacht ist — es ist ein wenig ausgleichend gerecht, dass nun Qualcomm mal am anderen Ende dieser Kausalkette sitzt. Das meine ich gar nicht böse oder gehässig: Qualcomm hat für die mobile Welt in den letzten Jahren viel und Großartiges geleistet,  und ich wünsche ihnen und mir, dass sie sich wie Nvidia und wie HTC ganz bald von dieser kleinen Krise erholen werden.

Wie findet ihr das? Stimmt ab!
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