Neun Teams mit je zwei Fahrern, zehn Rennen und Autos mit Elektromotoren. Das ist die Formel E. CURVED war beim ePrix in Berlin vor Ort.
Ausstieg S-Bahn-Bahnhof Alexanderplatz in Berlin. Hier in der Nähe sollen gleich 18 Boliden um die Pole Position vom ePrix (dem Pendant zum Grand Prix in der Formel 1) in Berlin kämpfen. Zu sehen ist davon nichts. Was rund um den "Alex" am meisten auffällt, sind die zahlreichen Fußballfans, die sich für das abendliche Pokalendspiel zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund in Stimmung bringen. Von Rennautos keine Spur. Erst am Übergang von der Alexanderstraße in die Karl-Marx-Allee geht es plötzlich nicht mehr weiter. Hier befindet sich die Rennstrecke.
Auf dem Gelände herrscht Volksfeststimmung. Es gibt Bratwurstbuden, einen Truck mit Merchandising, eine Live-Band und jede Menge Aktionsangebote rund ums Thema Elektromobilität. Dazu nutzen Renault und BMW die Bühne, um aktuelle Elektroautos auszustellen. Die Laune der Rennbesucher ist durchgehend gut, obwohl sich laut Spiegel Online zahlreiche Anwohner im Vorfeld beschwert hatten. Man wolle den Lärm und die Verkehrseinschränkungen nicht in Kauf nehmen. Als ich mit einer Berlinerin darüber spreche, die das Geschehen von außen durch einen Zaun beobachtet, winkt diese ab. "Ich finde es toll, dass so etwas in Berlin stattfindet. Das ist doch eine gute Werbung für die Stadt und zeigt, dass hier immer etwas los ist." Ein paar Nörgler gebe es halt immer.
Fünf Autos fahren um die Pole
Den ersten Blick auf die Rennautos der Formel E gibt es auf dem Weg zum Pressezentrum. Die Boxengasse ist nur durch eine kleine Auslaufzone und einen simplen Bauzaun vom Publikum getrennt. Man kann die Mechaniker live bei der Arbeit beobachten. Rund um die Strecke sind die Zäune dagegen zugehängt – man will dem nicht zahlenden Publikum auch nicht zu viele Einblicke gewähren. Um kurz vor 12 Uhr füllen sich die Tribünen. Zum High Noon beginnt das Qualifying. Das Rennen um die besten Startplätze findet in vier Grüppchen statt. Die fünf Fahrer mit der besten Zeit qualifizieren sich für den Showdown, die sogenannte Super Pole.
In dieser Session hat jeder Fahrer nur eine Runde, um eine Top-Zeit in den Asphalt zu brennen. Auf den Rängen brandet gleich zweimal Jubel auf, denn mit Daniel Abt und Nick Heidfeld können sich zwei von drei Deutschen für die Super Pole qualifizieren. Für den Spitzenplatz reicht es bei beiden nicht, den sichert sich Jean-Eric Vergne von Virgin Racing. Abt geht als Dritter ins Rennen, Heidfeld qualifiziert sich nach einem Fahrfehler als Fünfter, bekommt im Nachhinein von der Rennleitung aber noch eine Strafe aufgebrummt und muss von Platz 15 ins Rennen gehen. Sein Reifendruck soll nicht regelkonform gewesen sein.
Nach dem Qualfiying sind drei Stunden Pause bis zum Rennen angesetzt. Es ist also genug Zeit, sich etwas mit den Autos auseinanderzusetzen. Wie eingangs erwähnt, kommen Formel-E-Autos ohne Verbrennungsmotoren aus. Anders als bei der großen Formel 1, herrscht bei den Elektroflitzern größtenteils Einheit: Alle Teams bekommen das gleiche Chassis, die gleichen Reifen und die gleiche Batterie. Nur am Motor, am Getriebe, dem Inverter und der Kühlung darf gearbeitet werden. Die Motorleistung ist genormt. Im Qualifying haben die Fahrer Zugriff auf die kompletten 200 kW, im Rennen stehen 170 kW zur Verfügung. Das sind immer noch gut 230 PS. Die Spitzengeschwindigkeit liegt bei etwa 225 km/h. Zum Vergleich: Bei den Testphasen zur aktuellen Formel-1-Saison erreichte Mercedes auf dem Circuit de Catalunya in Spanien einen Top-Speed von 340 km/h.
"Das wird nicht spannend."
Insgesamt sorgen die Regelungen in der Formel E dafür, dass die Leistungsunterschiede in der Klasse nicht so groß sind wie in der Formel 1, sodass das Können der Fahrer in den Vordergrund rückt. Der beste Beweis ist Lucas di Grassi: Der Brasilianer fuhr in der Saison 2010 für das Team Virgin Racing in der Formel 1 und holte im unterlegenen Auto in 18 Rennen keinen einzigen Punkt. In der Formel E führt er des Klassement vor dem ePrix in Berlin mit elf Punkten Vorsprung an. Und gerade weil die Ingenieure so wenig Handlungsspielraum haben, ist Spannung angesagt. In den sieben Rennen vor Berlin gab es vier verschiedene Sieger. Lucas di Grassi und Jean Eric-Vergne liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Meisterschaft. Der nächste Showdown findet um 16 Uhr statt.
"Das wird nicht spannend", behauptet ein schwedischer Kollege vor dem Start. "Die Strecke ist viel zu eng. Monaco (Anm. der Red.: das bekannteste Straßenrennen der Formel 1) ist ein Fußballfeld dagegen." Er glaubt an einen langweiligen Start-Ziel-Sieg von Polesetter Vergne. Dabei ist die Pole auf der Strecke in Berlin alles andere als die halbe Miete: Durch den sogenannten FanBoost können drei Fahrer in der zweiten Hälfte die Leistung ihres Motors für fünf Sekunden auf 180 kW steigern. Welche Fahrer das sind, hängt vom Votum der Fans ab. In Berlin profitierte unter anderem Lokalmatador Heidfeld von der Regel.
Um kurz vor 16 Uhr Rollen die E-Flitzer in die Startaufstellung, bereit für 48 Runden auf dem gut zwei Kilometer langem Kurs rund um den Strausberger Platz. Um Punkt 16 Uhr gehen die Lichter der Ampelanlage an. Kurios: Zuerst hört man nichts. Erst als die Ampel aus und das Rennen freigegeben ist, heulen die Boliden auf wie 18 Staubsauger auf Speed. Es nicht so laut wie bei der Formel 1. Leise geht trotzdem anders. Und von Langeweile keine Spur. Schon vor der Zufahrt auf Kurve 1 kassiert Sebastian Buemi Pole-Mann Vergne. Der holt sich die Führung nur eine Runde später zurück, bevor sich Buemi in der sechsten Runde endgültig nach vorne schiebt. Nur in Runde 25 übernimmt Titelaspirant di Grassi für kurze Zeit die Führung.
Boxenstop mit Autowechsel
Der Grund: Buemis Batterie ist leer. Zeit für einen Boxenstop – denn der Akku eines Formel-E-Autos fasst "nur" 28 kWh. Zum Vergleich: Das Tesla Model S 70D kommt mit einer 70 kWh starken Batterie. Weil das Aufladen des Autos trotzdem zu lange dauern würde, stehen jedem Fahrer zwei Boliden zur Verfügung. In der Boxengasse kommt es also darauf an, wer am schnellsten vom alten ins neue Auto wechselt. So flink, wie es Buemi schafft, bekommt man den Eindruck, dass er das nicht zum ersten Mal macht.
Auch in der zweiten Hälfte des Rennens geht es spannend weiter. Immer wieder krachen die Boliden über die Abweiser der einzigen Schikane. Das kostet im Laufe des Rennens so manchen Fahrer Teile am und Jean-Eric Vergne kurz vor dem Boxenstop sogar den kompletten Frontflügel. Bruno Senna legt an der Stelle einen spektakulären Dreher hin. Kurz vor Ende verliert Loíc Duval die Kontrolle über seinen Renner und kracht in die Mauer. Auf so einer engen Strecke bedeutet das: Safety Car! Natürlich kommt auch hier ein Elektroauto zum Einsatz. Ein BMW i8 gibt für fünf Runden das Tempo vor.
Eine Runde vor Schluss ist das Rennen wieder frei. Der mittlerweile auf Platz 2 vorgefahrene Daniel Abt kann den führenden Buemi aber nicht mehr attackieren, soll im Gegenteil sogar den Teamkollegen und Gesamtspitzenreiter Lucas di Grassi passieren lassen. Der ist schneller unterwegs und kann die Punkte nebenbei auch gut für den Meisterschaftskampf gebrauchen. Am Ende passiert nichts mehr. Abt ignoriert die Stallorder, Buemi gewinnt und heimst die 25 Punkte für den Sieger ein, Rivale di Grassi wird Dritter. Dadurch schwindet sein Vorsprung in der Gesamtwertung von elf auf einen Zähler.
E-Autos sind die Zukunft
Auf der anschließenden Pressekonferenz geht es noch einmal hoch her. Den Fahrern hat die Schikane auf der Strecke gar nicht gepasst. Di Grassi findet deutliche Worte: "Wäre die Schikane so gebaut gewesen, wie sie sollte, hätte sich hier keiner den Frontflügel kaputt gemacht. Wir haben das beim Fahrermeeting angesprochen, aber man hat nicht gehört." Auch Nick Heidfeld, der am Ende auf einem guten siebten Platz landet, sagt auf CURVED-Nachfrage: "Die [Schikane] ist hier nicht gut gelöst." Letztendlich habe die Schikane wohl keinem Fahrer gefallen. "Ein Hauptpunkt ist der, dass es nicht so sein sollte, dass derjenige, der viel riskiert, dann schneller ist", so Heidfeld.
Am Ende des Tages hat die Formel E in Berlin viel Unterhaltung geliefert und gezeigt, dass man sich nicht vor der großen Formel 1 verstecken muss. Abseits vom Sport ist die Rennserie natürlich vor allem eines: eine Machbarkeitsstudie. Denn die Teams von Renault und Co. zeigen, was mit Elektromotoren grundsätzlich möglich ist und erhoffen sich nebenbei Erkenntnisse für Serienfahrzeuge.
Schließlich sind Autos mit Akku außerhalb der Rennstrecke voll im Trend. Tesla sorgt mit Verkaufsrekorden, riesigen Fabriken und großen Software-Updates regelmäßig für Aufsehen, die autonomen Google-Autos haben Elektromotoren, auch Apple wird nachgesagt, an einem Wagen mit Akku zu arbeiten. Das E-Auto steht trotz der Erfolge Teslas noch ganz am Anfang – genau wie die Formel E, deren zweite Saison sich mit einem Doppel-Event in London dem Ende zuneigt. Sowohl dem Straßenauto als auch der Rennserie gehört die Zukunft.