Schon lange vor seinem finalen Erscheinen in ersten Geräten stand Qualcomms High-End-Chip in der Kritik. Die damals kolportierten Hitzeprobleme haben sich im HTC One M9 unserer Meinung nach auch bestätigt. Dennoch spricht der Marketing-VP des Chipherstellers gegenüber Forbes von einer Kampagne gegen Qualcomm, die zum einen auf falschen Meldungen beruhe und zum anderen Samsung sehr gelegen gekommen wäre.
Die Geschichte des Snapdragon 810 ist eine Geschichte voller Missverständnisse – zumindest wenn es nach Qualcomm geht. Wir erinnern uns, dass dem aktuellen Top-Chipsatz der bisherigen Marktführer schon zum Jahreswechsel 2014/2015 nachgesagt wurde, dass Samsung bei seinem damals noch nicht vorgestellten Galaxy S6 komplett auf den Snapdragon verzichtet und auch erstmalig auch international auf seinen eigenen Exynos 7420 setzt.
Für Samsung war das tatsächlich die richtige Entscheidung, denn wie sich später anhand der direkten Vergleiche der finalen Modelle des HTC One M9 mit Snapdragon 810 und des Galaxy S6 mit dem Exynos-Chipsatz zeigte, war letzterer dem Qualcomm-SoC nicht nur hinsichtlich der reinen Rechenleistung überlegen, auch drosselte der 810er im One M9 unter Dauerlast merklich – eben um ein Heißlaufen zu verhindern. Wir haben das seinerzeit anschaulich der Revision, die jüngst im Xiaomi Note Pro gesichtet wurde, definitiv ein Problem - wenn auch eines auf sehr hohem Niveau. Dennoch: Bei Qualcomm sieht man das notgedrungen und in der Form doch recht irritierend anders ...
"Alles Müll, es gibt kein Problem", behauptet Qualcomm
Denn Marketing VP Tim McDonough sieht sein Unternehmen und sein Produkt als Opfer eine perfiden Gerüchte-Kampagne, die letztlich nur einem genutzt hätte: Samsung. Gegenüber Forbes erklärte er nun, "die Gerüchte sind Müll, es gab nie ein Überhitzungsproblem mit dem Snapdragon 810 in kommerziellen Geräten." Vielmehr ist er der Meinung, dass "irgendjemand" aufgrund der Tatsache, dass Qualcomm mit einem neuartigen Application-Prozessor im 810 eventuell einen tollen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz gehabt hätte und anhand einiger Test-Ergebnisse von Vorserien-Versionen des Chipsatzes mut- und böswillig falsche Gerüchte gestreut hätte: "Ich glaube, jemand hat [die Ergebnisse der Vorserien-Modelle] sehr raffiniert dazu verwendet, die Gerüchte weiter anzufeuern und hat somit etwas ganz Normales [Probleme mit Vorserien-Modellen, d. Red.] benutzt, weniger anspruchsvollen Publikationen eine Story zu beschaffen." Klingt für uns eher nach wilden #Lügenpresse-Behauptungen, als nach ein fundierten Erklärung der Geschehnisse der vergangenen Wochen. Aber McDonough hat noch nicht fertig — denn die Frage "Wer hätte davon wohl am meisten profitiert ..?" stellt er gleich auch noch in den Raum.
Nicht so richtig begründen kann der Qualcomm-Marketing-Mann leider, warum erste Benchmarks bereits gezeigt, dass die Adreno 418-Grafikeinheit des Snapdragon 808 der 430er im Snapdragon 810 deutlich unterlegen ist und der kleinere Chipsatz somit allgemein bislang nicht unbedingt nach High End riecht. LG wird Gründe gehabt haben, bei ihrem aktuellen Flaggschiff derart downzugraden.
Klar hat Samsung profitiert. Aber nicht von Gerüchten, sondern von Tatsachen.
Entscheidend ist, was hinten rauskommt — nach dieser Kohlschen Prämisse dürften die meisten Endkunden eben auch ihre Kaufentscheidung treffen. Und rausgekommen ist ein in Sachen Chipsatz deutlich überlegenes Galaxy S6. Das hat Samsung genützt, aber das ist eben ein Faktum und kein gestreutes Gerücht. Überdies darf angezweifelt werden, dass es sonderlichen vielen Käufern, die sich zwischen One M9, G Flex 2, G4 oder Galaxy S6 entschieden haben, großartig um die tatsächliche Leistung der Geräte ging. Auch in unserem Kommentarbereich gab und gibt es zahlreiche Besitzer beispielsweise des One M9, denen die Leistung des darin verbauten Snapdragon 810 völlig ausreicht und die sich von Problemen mit Hitzentwicklungen nicht abhalten ließen, ein S810-Gerät zu kaufen. Weil für sie unterm Strich andere Dinge als reine Prozessorleistung zählen. Immer wieder hören wir, dass vielen Anwendern egal ist, wie viel schneller nun ein Exynos oder ein Snapdragon ist, solange alles flüssig läuft. Das ist freilich ein Argument, das Nutzer bringen können – ein Chiphersteller, dessen Brot und Butter nun mal diese kleinen Leistungsunterschiede sind, darf sich darauf nicht ausruhen.
Inwiefern könnte Samsung also davon profitiert haben, dass der Snapdragon schon vor seinem finalen Release kein gutes Image mehr hatte? Maximal insofern, als dass der Wechsel der Koreaner auf den eigenen Chipsatz dadurch besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, die er, wie wir nun wissen, aber ob seiner Leistung auch verdient hat.
Qualcomm täte gut daran, nun nicht den schlechten Verlierer zu geben und sich stattdessen – gerne auch leise – einzugestehen, dass mit dem Snapdragon 810 eben Einiges schief gelaufen ist und nach vorne zu blicken. Offensichtlich befinden sich die Amerikaner mit der neuesten Revision des 810er, die mithilfe von Xiaomi entwickelt wurde, nun wieder auf dem rechten Weg. Über mangelnde Solidarität der zugegeben auf Gedeih und Verderb auf Qualcomm und den problematischen Chipsatz angewiesenen Hardware-Partner kann sich der Chiphersteller auch nicht beklagen. Im Nachgang nun also noch die Konkurrenz und Teile der berichterstattenden Medien schlecht zu reden, macht aus unseres Sicht nur das ganze Ausmaß des Snapdragon 810-Dilemmas deutlicher.
Lieber wäre es uns, das Kapitel "Hitzeprobleme des Snapdragon 810" könnte nun zugeschlagen werden und wir alle dürfen uns auf die optimierten Versionen des 810 sowie dessen im 14 nm-Verfahren gefertigten Nachfolger freuen. Und auf weitere spannende Duelle mit Samsung – lediglich in Benchmarks, versteht sich.