Der Prognose-Wettbewerb läuft auf Hochtouren: Kommt die Apple Watch im März, kommt sie nicht? Wird die smarte Uhr aus Cupertino ein Erfolg – oder floppt sie am Ende doch? Solange die Apple Watch nicht verfügbar ist, bleibt all das Spekulation. Allein: Was würde ein Flop für Apple bedeuten?
Die Kaffeesatzleserei erreicht ihren Höhepunkt. Wird der 27. März zum nächsten iDay? Es wäre der letzte Freitag im März, der Apple das Versprechen einhalten ließe, noch im ersten Quartal – also „early 2015“ – ausgeliefert zu haben. Und Apple liefert bekanntlich immer an einem Freitag aus…
Aber das sind nur die kurzfristigen Wetten auf das Launch-Datum. Viel wichtiger ist für Apple, was danach passiert. Kann sich die Apple Watch in die Ahnengalerie der vergangenen 15 Jahre einreihen – oder droht mit dem ersten unter Tim Cooks Ägide entwickelten Produkt der erste Verkaufsflop seit der Vor-Steve-Jobs-Ära bzw. dem Cube Mac, eine der raren Enttäuschungen unter Steve Jobs 2000? Kollege Jan hat für beide Szenarien schlagende Argumente geliefert.
Analystenschätzungen zwischen 10 und 40 Millionen Einheiten im ersten Jahr
Ein schneller und nachhaltiger Erfolg der Apple Watch könnte dem Kultkonzern aus Cupertino eine neue Honig-und-Nektar-Periode bescheren, solange das iPhone wächst. Darüber, welchen Anteil die Apple Watch im ersten Jahr zu Apples Geschäftsbilanz beitragen könnte, streiten die Analysten ebenso wie über die Anzahl an verkauften Einheiten.
Evercore-Analyst Rob Cihra prognostizierte zuletzt 18,5 Millionen Einheiten im ersten Verkaufsjahr. Das liegt im Mittelfeld zwischen den nur 10 Millionen Exemplaren, die Piper Jaffray-Staranalyst Gene Munster erwartetet und den extrem optimistischen Schätzungen von 30 bis zu 40 Millionen, die Katy Huberty von Morgan Stanley mehrfach nannte.
Ab wann ist die Apple Watch ein Flop?
Wie Cihra vorrechnet, würde die Apple Watch dem iKonzern – einen Durchschnittsverkauf von 500 Dollar vorausgesetzt – im ersten Geschäftsjahr damit 9 Milliarden Dollar zusätzliche Erlöse bescheren, das entspricht immerhin 36 Prozent des erwarteten Umsatzzuwachses.
Und wenn die Apple Watch nun, anders als erwartet, verhalten startet und schnell als Flop abgetan wird? Bleibt zunächst zu klären, ab wann die Apple Watch denn als Flop gelten würde. Die von Gene Munster geschätzten 10 Millionen Einheiten – durchschnittlich 2,5 Millionen pro Quartal – dürften angesichts der enormen Markenmacht von Apple, die ich an anderer Stelle als maßgeblichen Faktor angeführt hatte, schon als veritable Enttäuschung empfunden werden, vor allem, wenn sich die Verkäufe nicht im weiteren Jahresverlauf beschleunigen.
Möglicher Mai-Launch: Absätze der Apple Watch müssen im Jahresverlauf zulegen
Das erste Quartal, in dem die Apple Watch erkennbar in die Bilanz einfließt, dürfte der Dreimonatszeitraum zwischen April und Juni sein, verkündet im Rahmen der Quartalsbilanz Ende Juli. Es spricht einiges dafür, dass Fanboys, die sich unbedingt das erste Modell sichern wollen, schnell für die erste Verkaufsmillion sorgen – wer ist fünf Jahre nach dem iPad nicht heiß auf das erste neue Apple-Produkt seit 2010?
Im Sommer – traditionell die beste Zeit, etwas für die Fitness zu tun – muss Apple dann nachlegen und weiter steigende Verkäufe nachweisen können, um das Momentum zu halten und kritische Stimmen im Keim zu ersticken, nur die loyale Käuferschaft habe zugegriffen. Fürchtet Tim Cook ein Ausbleiben der Anschlusskäufe, könnte die Apple Watch möglicherweise auch erst Ende April bis Mitte Mai in den Handel kommen, um Apple die Sicherheit eines Absatzwachstums von Quartal zu Quartal zu geben – auf eine Verkaufszeit von sechs bis acht Wochen bis Ende Juni folgen dann zwölf bis dreizehn Wochen bis Ende September.
Im Weihnachtsgeschäft muss sich die Apple Watch als prädestiniertes Geschenk beweisen
Im Weihnachtsgeschäft muss die Apple Watch ein halbes Jahr nach dem Launch dann in jedem Fall Farbe bekennen: Die mit Abstand stärksten Verkäufe sind für ein schickes Gadget, das sich so gut wie kein anderes Apple-Produkt seit dem iPod für den Gabentisch eignet, absolut Pflicht. Mindestens 5 Millionen Einheiten muss Apple in jedem Fall im nächsten Weihnachtsgeschäft verkaufen, um den Spin einer Erfolgsstory weiterdrehen zu können.
Danach geht der Zyklus wieder von vorne los: Ab 2016 richtet sich der Blick bereits auf die zweite Apple Watch-Generation, Verkaufsrückgänge von Quartal zu Quartal sind einerseits wegen des vorangegangenen Weihnachtsgeschäfts, andererseits wegen der möglichen Käuferzurückhaltung vor den nächsten Modellen entschuldbar.
Hat Apple 2016 einen App Store-Trumpf in der Tasche?
Wichtig für Apple wird dann ein anhaltendes Momentum mit der zweiten Generation. 2008 machte Steve Jobs das iPhone mit dem zweiten Modell, dem iPhone 3G, erst massenmarkttauglich. Das lag maßgeblich am App Store, mit dem Apple plötzlich ganz neue Argumente für sein teures Smartphone lieferte.
Die Apple Watch braucht im zweiten Jahr ihres Bestehens fraglos ebenfalls ein starkes Kaufargument, um nicht das iPad-Schicksal zu erleiden, das viel zu früh im Lebenszyklus nicht mehr wachsen konnte und schon jetzt nicht mal fünf Jahre nach dem Launch als Auslaufmodell gilt. Die zweite Apple Watch muss einige erstaunliche, neue Features besitzen, die der Original-Launch vermissen ließ – das bedingt der Mechanismus des Hochkapitalismus, der nach immer mehr schreit.
Apple braucht gute Argumente für die zweite Generation
Käufer, die sofort bei der Apple Watch zuschlagen wollen, sollten sich also die ungeschriebene alte Regel von Apple-Produktlaunches ins Gedächtnis rufen: Von der ersten zur zweiten Generation passiert enorm viel wie die Quantensprünge vom ersten auf das zweite iPhone und iPad belegen.
Dies könnte etwa eine as Freundschaftsband für den Apple-Fan.
Was, wenn die Apple Watch an der Basis und bei Fashion Victims enttäuscht?
Doch was, wenn die Apple Watch entgegen aller strategischen Überlegungen floppt und schon kurz nach der Einführung keine Anschlusskäufer findet, wenn sie im Weihnachtsgeschäft nicht das Must-Have-Gadget der Stunde ist – und sich 2016 ab der zweiten Generation schon auf dem absteigenden Ast befindet, weil die Kategorie einer Smartwatch, in die die Apple Watch trotz aller rhetorischen Umdeutungsversuche aus Cupertino letztlich fällt, einfach nicht massenmarkttauglich ist?
Was, wenn der Rest der Welt einfach nicht dieselbe Lust hat wie Marathon-Mann Tim Cook, seine Fitness 24/7 überwachen zu lassen? Wenn die Apple Watch zu wenig im Fundament des Apfelkonzerns beheimatet ist, um Hardcore-Fans regelmäßig zumindest 350 Dollar aus der Tasche zu ziehen und launische Fashion Victims am Ende einfach gar kein Interesse am Nutzungsszenario von Apple Health haben und in Richtung klassischer Modelle einfach weiterziehen?
Ein Apple Watch-Flop wäre ein schwerer Rückschlag der Ära Tim Cook
Dann hat Tim Cook zumindest ein Problem in der Narrative, wie die PR-Branche so gerne zu sagen pflegt. Startet die Apple Watch schwächer als erhofft und bleibt dann hinter den Anfangsverkäufen des iPad zurück, verändert sich die Psychologie entsprechend gegen Apple. Die Bedenkenträger gewännen nach einem Jahr der totalen Dominanz wieder Oberwasser: Nur für ein Nischenprodukt haben Fanboys fünf lange Jahre gewartet?
Am Ende des Tages ist Apple 2015 weiter eine iPhone 6- und in der zweiten Jahreshälfte iPhone 6s-Story – daran würde weder der Erfolg oder Misserfolg der Apple Watch etwas ändern. Je mehr das erfolgreichste Produkt in der Wirtschaftsgeschichte allerdings Spuren einer Sättigung aufweist, die in den kommenden Jahren unweigerlich entstehen dürften, desto bedeutsamer wird die Apple Watch.
Startet die Apple Uhr im Sommer verhalten, während das iPhone 6s nur wenige Monate später nicht an den Verkaufserfolg des iPhone 6 anknüpfen kann, hätte sich das Momentum schlagartig gegen Tim Cook verschoben. Apple würde Ende 2015 wieder in eine Warteposition auf das nächste große iPhone-Update 2016 zurückkippen, das gleichzeitig aber die Frage aufwirft, wie lange sich der Smartphone-Hype noch ausreizen lässt.
Misserfolg der Apple Watch würde Krisenszenario heraufbeschwören
Kann die Apple Watch in die kommende iPhone-Sättigungsphase hinein nicht punkten, hat Tim Cook sowohl ein monetäres als auch rhetorisches Problem. Die Uhr ist das Produkt seiner Ära, sie ist der große Gradmesser seiner Amtszeit – sie muss performen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Produkt-Innovationen auch in Cupertino nicht auf den Bäumen wachsen.
Ist ein nachhaltiges Apple Watch-Desinteresse 2016 absehbar, während das iPhone zu schwächeln beginnt, könnte es ein ziemlich langes Jahrzehnt bis zum nächsten „One more Thing“ werden. Und ob ein smarter Fernseher 2018, 2019 oder 2020 die Antwort auf dann präsente Wachstumssorgen ist, ist die nächste Frage. Der Apple Watch-Launch auf dem Gipfel des iPhone 6-Booms ist damit kritischer als er heute aus der Position der Stärke erscheint.