Ganz klar: iTunes ist (fast) tot – es lebe Apple Music. Aber was steckt eigentlich hinter dem neuen Service und was verspricht sich der Konzern vom Streaming? Eine Annäherung.
Apple gilt für viele als größter Innovator im Technik-Business. Dabei sind es selten die eigenen Erfindungen, die den iPhone-Hersteller zum derzeit wertvollsten Konzern der Welt gemacht haben. Apple hat es wie kein anderes Unternehmen verstanden, bereits bestehende Konzept so zu adaptieren, dass sie für den Massenmarkt geeignet und damit äußerst lukrativ sind. In Cupertino wurde nicht der Computer erfunden, vor Apple hatten andere Hersteller mit MP3-Playern, Smartphones, Tablets, smarten Uhren und Download-Portalen Erfahrungen gesammelt. Teilweise waren diese Erfahrungen ernüchternd.
Auch digitale Musik stammt nicht aus dem genialen Kopf von Steve Jobs, er hat daraus nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell gemacht: Apple hat einzelnen Songs und Alben einen einheitlichen Preis gegeben und Musikverlage dazu gezwungen, nach seiner Melodie zu tanzen. Doch die Zeiten der Downloads sind gezählt, so wie einige Jahre zuvor die der Handy-Klingeltöne. Immer mehr Musiklieber setzen auf Streaming-Dienste – dabei vor allem auf den Platzhirschen Spotify. Weltweit will das schwedische Unternehmen 60 Millionen Nutzer beschallen, rund ein Viertel davon zahlt monatlich zehn Euro. Offenbar ist das die Art, wie wir künftig Musik hören werden. Und damit es es der perfekte Zeitpunkt für Apple, hier einzusteigen.
Bekannt und dennoch neu
Auf den ersten Blick ist Apple Music tatsächlich nichts anderes, als alle anderen Streaming-Dienste. Wie bei Spotify zahlen Nutzer zehn Euro monatlich, dafür haben sie dann Zugriff auf mehrere Millionen iTunes-Songs und zehntausende Musik-Videos in HD-Qualität – jederzeit und an jedem Ort. Und für nur fünf Euro mehr können sich bis zu sechs Familienmitglieder den Service teilen.
Der Unterschied zu Diensten wie Spotify ist aber die Marktmacht von Apple. Der Konzern ist nicht darauf angewiesen, dass Hardware-Hersteller den Service nutzbar machen, denn Apple-Produkte stecken weltweit bereits in mehreren hundert Millionen Hosentaschen. Mit dem Update auf iOS 8.4, welches für den 30. Juni erwartet wird, hat jedes iPhone und iPad auf diesem Planeten die neue App von Apple Music auf dem Bildschirm. Mehr noch: Apple wird den Dienst auch für Android- und Windows-Nutzer öffnen.
Ein Novum, schließlich haben bisher nur wenige Apple-Anwendungen den Kosmos der eigenen Betriebssysteme verlassen. Doch es geht ums Geschäft: Mit Musik will Apple den eigenen Geräten einen Mehrwert verpassen, vor allem aber auch Nutzer anderer Geräte dazu animieren, Geld nach Cupertino zu überweisen – am besten per Abo-Modell. 100 Millionen Abonennten strebt Apple an. Vorerst.
Ein Kessel Buntes
Dank schnellen und kostengünstigen Internetverbindungen sind Streaming-Modelle inzwischen en vogue. Es ist nicht mehr wichtig, ob Musik, Filme oder Spiele auf Datenträgern geliefert werden oder aus der Cloud kommen. Nutzer sollen nicht mehr merken, dass sie aktiv Umsätze generieren. Einmal zahlen, ständig hören, sehen und spielen. Und bevor andere Unternehmen in diesen Sektoren zu groß werden, verteilt eben Apple die Medien-Dauerkarten.
Natürlich genügt es nicht, einfach nur Musik anzubieten, denn dann wäre das Angebot tatsächlich nicht besser als das der vermeintlich etablierten Konkurrenz. Nein, es muss ein Mehrwert her. Auf der Keynote zum WWDC 2015 zeigte Apple auch, wie sich der Konzern die künftige Art des Musikhörens vorstellt. Und vieles davon wirkte wie ein Blick zurück. Künstler können per Apple Connect mit ihren Fans in Kontakt treten, was getrost als eine Mischung aus MySpace, Twitter und Facebook durchgehen kann. HD-Videos von Musikern findet man auch bei YouTube und Vimeo, News zu den Interpreten braucht man nur googlen oder liest diese auf deren Webauftritten. Auch Radiostationen, die rund um die Uhr "nur die besten Songs spielen", sind nun wirklich nicht neu.
Auf Du und Du mit den Fans
Neu ist allerdings, dass alle diese Funktionen und Services äußerst bequem in einer App gebündelt sind. Es könnte stimmen, dass dadurch Künstler näher an ihre Fanbasis heranrücken. Auch wenn der Service an sich nicht einzigartig ist, könnte er vom Volumen her gleich vom Start an konkurrenzlos sein. Apple holt sich die größten Stars ins Boot, die fleissig die Werbetrommel schlagen. Ihnen wird der Konzern auch sicher freudig eine beträchtliche Summe aufs Konto überweisen.auch wenn sich nicht jeder über ein kostenlose Album der Rockband gefreut haben mag. Pharrell Williams spielt auf einem Firmenfest des Konzerns, Musiker wie Drake lassen sich vor den Karren spannen, um den neuen Service mit Lob zu überschütten. Und das ist nur der Anfang.
Apple verdient so viel Geld mit dem Verkauf von iPhones, dass Apple Music nicht sofort schwarze Zahlen schreiben muss. Zudem könnte der Service jederzeit kostenlos für alle iPhone-Käufer angeboten werden. Ganz nach dem Motto: Kaufe ein Telefon und höre jederzeit Musik, quasi die smarte Drückerkolonne für den Musikdienst. Und demnächst noch mit passenden Beats-Kopfhörern on top. Doch noch ist das nicht nötig, noch kann Apple ein wenig mit Streaming herumspielen und ausprobieren, was die Nutzer wirklich hören wollen – und wie sie es konsumieren.
Es gibt kein Zurück
Radiohead können sich noch so sehr gegen Streaming-Angebote sträuben: Apple hat mit seinem Musik-Dienst den Schalter umgelegt, ein Zurück wird es jetzt nicht mehr geben. Und selbst wenn man die Songs von den Beatles zwar bei iTunes zu kaufen aber nicht per Apple Music streamen kann – es ist nur eine Frage der Zeit, bis tatsächlich fast alle Künstler ihre Musik darüber zugänglich machen werden. Denn wer nicht dabei ist, wird irgendwann nicht mehr gehört.
In diesem Jahr wird es mit ziemlicher Sicherheit noch ein paar spannende Produktvorstellungen geben, mit denen Apple seinen Anspruch untermauern wird, für Medieninhalte die Anlaufstelle Nummer eins zu sein: Apple TV wird als eine Art Homeserver Musik, Filme und vielleicht sogar Spiele im Haushalt verteilen, Beats-Produkte werden auf Ohren sitzen oder den Wohnraum beschallen und mit smarten Wearables – denn die Uhr wird ganz sicher nur der Anfang sein – lässt sich der ganze Kram dann steuern.
Am Montag hat Apple auf dem WWDC mit einer eigentlich langweiligen Keynote, auf der nur Updates oder bereits von anderen Herstellern bekannte Services vorgestellt wurden, kurzerhand die Geschäftsmodelle anderer Unternehmen torpediert. Ob Flipboard, für dessen Installation dank der neuen News-App eigentlich kein Grund mehr besteht, oder eben Spotify, wo künftig sicher ein gigantischer Mitgliederschwund zu verzeichnen sein wird: Apple hat gezeigt, wo und vor allem wer die Musik spielt.