Die Beats-Übernahme zieht sich. Kippt sie vielleicht doch noch? Wie auch immer: Es gibt mindestens fünf interessantere Unternehmen, die Apple übernehmen könnte.
Steve Jobs hatte immer schon die klare Vorstellung davon, wie man mit Milliarden umgehen sollte. Entweder, man ließ sie im Geldspeicher von Cupertino von Quartal zu Quartal wachsen oder man zettelte "bis auf den letzten Cent einen thermonuklearen Krieg gegen Google" an.
Oder man wich von seinem Mantra ab und tätigte am Ende doch eine gigantische Übernahme: “Wenn wir in Zukunft einmal jemanden übernehmen müssen, um das fehlende Puzzlestück zu finden, um etwas ganz Großes Wirklichkeit werden zu lassen, dann könnten wir dafür einfach einen Scheck ausstellen”, erklärte der Apple-Gründer Anfang 2010 auf der turnusmäßigen Aktionärsversammlung.
Ob man relativ fraglich. Zumindest fünf Unternehmen würden besser zu Apple passen, weil sie Schwachstellen beseitigen, Produktlücken füllen und neue Wachstumsmöglichkeiten erschließen könnten:
5.) Pandora: 8 bis 10 Milliarden Dollar
Apple gibt sich mit der Beats-Übernahme eine gewisse Blöße: Warum in einen Hardware-Hersteller investieren, wenn man selbst die begehrteste Hardware der Welt herstellt? Warum eine begehrte Marke übernehmen, wenn man selbst die begehrteste Marke der Welt ist? Warum ihren Zenit überschritten haben?
Als Antwort wird immer wieder Beats’ Streaming-Dienst Beats Music genannt. Das Problem: Er verfügt über gerade mal 111.000 Abonnenten. Apple hingegen besitzt 800 Millionen iTunes-Konten – und gewinnt jeden Tag knapp 600.000 neue Kunden hinzu. Die Dimensionen könnten schiefer nicht sein.
Doch offenkundig ist spätestens seit den ersten Download-Rückgängen seit Einführung des iTunes Music Stores 2003 verbunden mit dem lauwarmen Start von iTunes Radio: Apple hat ein Streaming-Problem. Ein halbes Jahr nach dem Launch kommt das bisher nur in den USA verfügbare kostenlose Streaming-Angebot iTunes Radio nur auf 21 Millionen Nutzer vs. 70 Millionen Nutzer, die Platzhirsch Pandora zählt. Bonus: Apple würde auf einen Schlag ein trojanisches Pferd ins Android-Universum entsenden – synchron zum iTunes-Angebot für Windows PCs in den Nullerjahren.
Nach dem jüngsten Börsencrash von hochfliegenden Internetaktien ist Pandoras Börsenwert auf unter 5 Milliarden Dollar zusammengeschrumpft. Bei den üblichen Premiumaufschlägen bei Übernahmen von Wachstumsunternehmen an der Börse müsste Apple wohl 8 bis 10 Milliarden Dollar auf den Tisch legen. Der Zukauf wäre nicht kriegsentscheidend für Apple, aber fraglos sinnvoller als Beats.
4.) Yelp: 6 bis 7 Milliarden Dollar
Braucht Apple ein Social Network? „Nein“, fand Tim Cook auf der D10-Konferenz des Wall Street Journals vor zwei Jahren. „Aber Apple muss social sein“. Wie gut das gelungen ist, bleibt nach Rohrkrepierern wie Ping offen. Tatsächlich würde Apple ein Social Network alleine schon aus Image-Gründen mindestens ebenso gut zu Gesicht stehen wie die hippe Kopfhörermarke Beats. Doch was kaufen?
Die Chance, Facebook zu übernehmen und den vielleicht auf Jahrzehnte unangreifbarsten Techkonzern des 21. Jahrhunderts zu schmieden, ist dahin. Tatsächlich: Vor gerade mal zwei Jahren debütierte das weltgrößte Social Network zu Kursen von 38 Dollar an der Wall Street, um dann fürchterlich auf heute unfassbare 18 Dollar abzustürzen. Zu diesem Zeitpunkt war Facebook 60 Milliarden Dollar wert, Apple hätte den viel zitierten Scheck schreiben und sich Zuckerbergs Social Network für unter 100 Milliarden Dollar einverleiben können – wenn der Deal denn kartellrechtlich durchgegangen wäre.
Doch der Ball ist längst weg. Facebook notierte heute bei knapp 60 Dollar je Aktie und wird mit 150 Milliarden Dollar bewertet. Bedeutet: Heute müsste Apple mindestens 250 Milliarden Dollar berappen – zu viel.
Twitter? Wird immer wieder gerne als Übernahmeziel gehandelt und würde für vermutlich 30 Milliarden an Cupertino gehen (Börsenwert aktuell: 19 Milliarden Dollar). Allein: Wie der 140-Zeichen-Dienst tatsächlich zu Apple passt, ist immer noch nicht ganz klar. Die ständig wieder aufflammenden Übernahmegerüchte sind mehr eine Medienerfindung als der Realität geschuldet. Twitter ist zu wenig Mainstream, zu verkopft, zu sehr Medien-Intelligenzia und v.a.: Pseudo-Intelligenzia. Und es wächst kaum noch. Kurzum: Apple braucht so ein Produkt nicht.
Wer tatsächlich zu Apple passen würde: Yelp! Der Empfehlungsdienst ist seit iOS 6 tiefer in Apples mobilem Betriebssystem zur Aufwertung des schwach gestarteten Kartendienstes Maps integriert. Warum nach dem Börsencrash, der die Yelp-Aktie binnen zehn Wochen halbierte, nicht zuschlagen? Apple erhielte Zugriff auf 132 Millionen Nutzer – und die Hoheit über lokalbasierte Empfehlungen für mutmaßlich 6 bis 7 Milliarden Dollar (aktueller Börsenwert: 3,8 Milliarden Dollar). Es wäre auch ein Testlauf, wie gut Cupertino ein aufstrebendes Silcon Valley-Startup noch in seine immer bürokratischere Unternehmensstruktur zu integrieren vermag.
3.) Netflix: 30 bis 35 Milliarden Dollar
Apple und sein längst mythisch verklärter Fernseher: Das ist die Geschichte des wohl längsten Hobbys der Welt – und das spielt sich seit acht Jahren nur auf der Set-Top-Box Apple TV ab. Dabei hatte Steve Jobs doch am Sterbebett verkündet: „Ich habe es endlich herausgefunden.“
Tatsächlich braucht es keine Glaskugel, um zu erkennen, wie ein Apple-Fernsehen wohl aussehen würde: Der jüngste, extrem dünne iMac (ein 4 K Display vorausgesetzt) bietet hardwareseitig, die Set-Top-Box Apple TV softwareseitig die Blaupause. In anderen Worten: Der Apple-Fernseher ist als Prototyp längst fertig. Was fehlt, ist der Content.
“Wenn wir in Zukunft einmal jemanden übernehmen müssen, um das fehlende Puzzlestück zu finden, dann könnten wir dafür einfach einen Scheck ausstellen” - Steve Jobs (2010)
Dass Apple seit Jahren damit beschäftigt ist, mit den großen Kabelnetzbetreibern Content-Deals auf die Beine zu stellen, ist hinreichend dokumentiert – vor wenigen Monaten kochte das Gerücht hoch, dass Apple vor einem Abschluss mit Comcast stehen könnte. Passiert ist bis heute – nichts.
Wie erfolgreich man indes mit Streaming-Inhalten sein kann, macht Netflix, das im September auch endlich nach Deutschland kommt, seit Jahren vor. Der frühere Video- und DVD-Verleiher hat sich in den Nullerjahren zum Streaming-Anbieter gewandelt und mit den Produktionsgesellschaften Paramount Pictures, MGM, Lions Gate Entertainment exklusive Vereinbarungen abgeschlossen; zudem werden die Katalog-Titel von Time Warner, Universal Pictures, Sony Pictures, 20th Century Fox und Disney angeboten.
Seit vergangenem Jahr ist Netflix dann sogar selbst zum Produktionsstudio geworden und hat mit „House of Cards" den ersten Angriff auf die Popkultur gestartet. An der Börse ist Netflix eine der unglaublichsten Erfolgsstorys der vergangenen Jahre, die Anlegern binnen der vergangenen 24 Monate Zuwächse von unfassbaren 800 Prozent bescherte. Einer davon war Großinvestor Carl Icahn, der seinen Anteil jüngst zurückfuhr.
Apple indes könnte auch nach dem Wahnsinnslauf allerdings auf der anderen Seite des Trades stehen: Mit 20 Milliarden Dollar wird Netflix an der Wall Street aktuell bewertet, für mutmaßlich 30 Milliarden könnte Apple zum Zug kommen – und sich damit Zugriff auf 50 Millionen Abonnenten sichern. Der Kauf wäre fraglos teuer bezahlt, da Netflix bislang kaum Gewinne und recht überschaubare Umsätze einfährt (6 Milliarden Dollar pro Jahr). Damit besäße der iKonzern aber endlich den Hebel gegenüber den Kabelnetzbetreibern und großen Produktionsgesellschaften, um mit entsprechenden Inhalten einen Apple-Fernseher Wirklichkeit werden zu lassen.
2.) Dropbox oder Box: 15 bzw. 5 Milliarden Dollar
Apple und Internet-Services – das ist eine lange, unerfreuliche Saga, die am Ende fast schon an „Pleiten, Pech und Pannen“ erinnert. MobileMe, Ping, Apple Maps? Internet-Software ist nicht gerade Cupertinos Königsdisziplin, das ist klar.
An welcher Stelle also nachjustieren? Dass im Cloud-Storage-Bereich viel Luft nach oben besteht und man entsprechende Akquisitionsmöglichkeiten vor Augen hat, ist ein „no Brainer“, wie Carl Icahn sagen würde. Und das, obwohl Steve Jobs 2011 in seiner allerletzten Keynote auf der Entwicklerkonferenz WWDC eine flammende Lob-Rede auf die eigenen Cloud-Qualitäten hielt.
"Apple hat als Erster erkannt, dass der Rechner zum digitalen Knotenpunkt wird", erklärte Jobs im Gespräch mit Walter Isaacson noch einmal seine Vision vom Speichern und Abgleich von Inhalten in der Datenwolke.
"Wir müssen das Unternehmen für deine Musik- und Video-Streams aus der Cloud, für die Speicherung deiner Bilder und Informationen und womöglich sogar deiner medizinischen Daten sein" - Steve Jobs (2011)
Allein: Die Realität sieht anders aus. E-Mails gehen bis heute verloren, nur die letzten 1000 Bilder werden im Fotostream synchronisiert, vom Import des gesamten iTunes-Musikarchivs aus Cloud ganz zu schweigen: Trotz eines 25-Euro teuren iTunes Match-Abos ist der Export der iTunes-Bibliothek von einem Mac zum anderen eine veritable Katastrophe. Und was ist eigentlich mit einer regulären Dokumentverwaltung in einer 0815-Ordner-Struktur außerhalb der iWelt? Man muss kein Apple-Hasser sein, um iCloud als Downgrade in der cloudbasierten Dokumentverwaltung zu empfinden.
Die Lösung: Dropbox! Wenn es ein Cloudspeicher–Anbieter verstanden hat, seine Dokumente überall und systemübergreifend zuverlässig zugängig zu machen, dann der sieben Jahre alte Internet-Dienstleister, der bald an die Börse strebt. In der jüngsten Finanzierungsrunde wurde Dropbox mit 10 Milliarden Dollar bewertet, Apple müsste also wohl mindestens 15 Milliarden bezahlen. Eine Nummer kleiner geht es beim eher auf den Business-Einsatz zugeschnittenen Rivalen Box, der seine Börsenzulassung bereits eingereicht hat und wohl schon für 5 bis 6 Milliarden Dollar zu haben wäre. Verdammt Apple, fix die Cloud – und schnapp dir die (Drop-)Box.
1.) Tesla: 45 bis 50 Milliarden Dollar
Nichts ist für die Ewigkeit. Wer versucht, einen Ausblick auf das Apple im Jahr 2020 zu werfen, wie ich jüngst im Buch "Das Apple-Imperium" versucht habe, fängt am besten mit einem Blick zurück an. Nur acht Jahre – also zwei Weltmeisterschaften – ist es jetzt her, dass Apple ein noch gänzlich anderes Unternehmen war. Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski spielten seinerzeit bei der heimischen Weltmeisterschaft schon in der Nationalmannschaft, während Apple mit einem Produkt mehr als 50 Prozent seiner Umsätze bestritt: dem heute fast vergessenen iPod.
Während auf Bastian Schweinsteiger in vier Wochen wieder ein Großteil der deutschen Hoffnungen ruht, ist der Umsatz-Anteil des iPod in der jüngsten Quartalsbilanz auf ein überschaubares Prozent gesunken. Von 50 auf ein Prozent in acht Jahren: so schnell geht es in der Hightech-Industrie!
Ob man das Beispiel für die WM 2022 in Katar mit Mario Götze und dem iPhone fortschreiben kann, scheint nicht gesichert, zu universell erscheint doch die Notwendigkeit eines Smartphones in den kommenden Jahren – und zu klein das Kannibalisierungspotenzial von einer Smartwatch oder einer Datenbrille. Er erscheint nicht völlig ausgeschlossen, dass das iPhone auch noch zu Beginn des nächsten Jahrzehnts für die meisten Apple-Umsätze verantwortlich ist – zumindest in den kommenden zwei Jahren dürfte der iWatch zeichnet sich unterdessen mehr als deutlich der nächste Gadget-Nachfolger für die zweite Hälfte des laufenden Jahrzehnts ab – doch was dann?
Eher früher als später braucht Apple das nächste „one more thing“, ein komplett neues Produkt, wenn der Kultkonzern aus Cupertino auch in Zukunft wachsen will. Dabei muss es sich gar nicht mal um ein komplett futuristisches Gadget handeln, das wir heute noch nicht erahnen. Als Apple 2001 den ersten iPod einführte, wurde Steve Jobs belächelt. Ein digitaler Musikspieler? Gab es doch längst! Dasselbe Bild beim iPhone: Ein Apple-Handy? Oh, bitte! Und mit dem iPad knöpfte sich Apple eine Produktkategorie vor, die es bereits zur Jahrtausendwende gegeben hatte – nun schickte sich auch Cupertino an, ins Tablet-Geschäft einzusteigen. Alle Produkte existierten als Kategorie bereits – Apple verbesserte sie lediglich bahnbrechend.
Wohin könnte der Weg also in der nächsten Dekade gehen, wenn wir uns nach der iWatch wie heute nach dem iPad fragen, was als nächstes „one more thing“ erscheinen wird? Eine mögliche Antwort wird bereits vor allem in Kalifornien und Norwegen gezeigt: das Elektroauto Tesla! Dass Apple über ein Auto durchaus nachdachte, gab Marketingchef Phil Schiller im ersten Patentprozess mit Samsung halb augenzwinkernd zu.
"Bevor wir das iPhone gemacht haben, haben wir darüber diskutiert, was wir als nächstes entwerfen können", erklärte Marketingchef Phil Schiller bei der Anhörung im Sommer 2012.
"Die Leute haben eine Menge vorgeschlagen: Baut eine Kamera oder ein Auto – verrücktes Zeug!" - Phil Schiller (2012)
Aber wäre ein iCar wirklich so abwegig? Die Produktion vermutlich schon eher als eine einfache Übernahme, über die spätestens spekuliert wird, seitdem sich Telsa-Chef Elon Musk mit Apples führenden M&A-Managern zu einem Gespräch traf. Keine Frage: Der Tesla ist der Mac der Autobahn – Image und Wachstumsperspektiven sind so brillant wie bei Apple zu Beginn der iRevolution vor rund einer Dekade.
Die Börse weiß das natürlich und hat die Tesla-Aktie in den vergangenen 18 Monaten auf einen atemberaubenden Höhenflug geschickt: Bis auf 265 Dollar ging es in der Spitze, aktuell werden 190 Dollar je Anteilsschein bewilligt und Tesla damit mit 24 Milliarden Dollar bewertet. Angesichts des immensen Wachstumspotenzials erscheint eine Wertverdopplung im Falle einer Übernahme nicht ausgeschlossen.
Aber selbst für 50 Milliarden könnte sich Apple Tesla problemlos leisten – die Übernahme wäre mit dem Gewinn von fünf Quartalen oder einem Zehntel seines aktuellen Börsenwertes bezahlt. Wenn Apple sich dafür die Unternehmenssparte zukaufen könnte, die in der kommenden Dekade zum Wachstumstreiber wird, wäre der Zukauf allemal gerechtfertigt.
Und wenn es schiefgeht? Es gab schon verrücktere Übernahmen in der Wirtschaftsgeschichte, die mit Totalabschreibungen in dreistelliger Milliardenhöhe endeten, AOL lässt grüßen. Wenn Tim Cook Apple für alle Zeit seinen Stempel aufdrücken und mit Elon Musk einen potenziellen Nachfolger für die nächste Dekade an Bord holen will, dann wäre dies die Königsübernahme, die aktuell noch erstaunlich bezahlbar wäre. Geh all-in, Tim!